Neue Wege

Ist dpa mit dem bisherigen Geschäftsmodell noch zukunftsfähig?

Dirk Ippen: Gundsätzlich ja – unter den notwendigen Veränderungen, die durch das Internet und die beliebige Verfügbarkeit von Nachrichten geboten sind. So wie wir alle in unseren Häusern muss sich sicher auch dpa neu aufstellen und fragen, wo sie in den guten Jahren womöglich zu viel Ressourcen aufgebaut hat und flexiblere Strukturen und Angebote schaffen kann. Zu Beispiel weiß ich nicht, warum dpa Zeitungen, die es allein nicht mehr stemmen können, nicht auch fertige Seiten anbieten kann. Aber wir bleiben darauf angewiesen, dass jemand Nachrichten sammelt und Korrespondenten vor Ort stellt, was ein einzelner Verlag nicht leisten kann.

Das bieten aber auch andere Agenturen an. Das Besondere am dpa-Modell ist ja die Solidar-Eigentümergemeinschaft der Verleger, also der eigenen Kunden. Die aber droht nun zu zerbrechen, wenn immer mehr Verlage wie die WAZ ausscheren. Muss sich dpa neue Erlösquellen suchen?

Ja, unbedingt. Ich plädiere dafür, dass dpa auch Geschäftsmodelle im Internet als Nachrichtenaggregator verwirklichen darf. Das ist aber nach der geltenden dpa-Satzung – wonach sie ja keine Endverbraucher beliefern darf – nicht möglich. Dazu sollten die Gesellschafter den Weg mit einer Satzungsänderung öffnen.

Welcher Weg schwebt Ihnen da vor?

In den USA macht es die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) mit einem Portal vor, mit dem sie versucht, eigene Erlöse aus dem internet zu generieren. Unabhängig davon beliefert sie weiter Zeitungen. Das sollte, mit einer entsprechenden Satzungsänderung, auch für dpa möglich sein.

Nun klagen aber viele Blattmacher, dass dpa-Nachrichten schon im Netz verfügbar ist, bevor sie in der Zeitung stehen und sie alt aussehen lässt.

Aber ob die Zeitung veraltet erscheint, hängt doch von der einzelnen Redaktion ab. Ein bezeichnendes Beispiel aus jüngster Zeit ist die Nachricht, dass der Polizist Kurras, der Benno Ohnesorge erschossen hat, Stasi-Mitarbeiter war. Viele Zeitungen haben noch Tage später damit aufgemacht, statt mit eigenen Geschichten z. B. zu fragen: Wäre die Geschichte der Republik anders verlaufen, wenn man das schon vorher gewusst hätte? Oder: Warum weiß man das erst jetzt? So aber sage ich meinem Leser vor allem eins: dass ich von gestern bin. Da kann aber dpa nichts dafür. Natürlich muss man die Nachricht bringen, aber in der Zeitung von morgen weiterspielen.

Die meisten Zeitungen engagieren sich ja längst auch multimedial, viele wünschen sich deshalb von dpa zusätzliche Angebote – z. B. eine Art Netzschau wie den „HNA“-Scout mit Links zu Drittanbietern. Halten Sie es für richtig, die eigene Website für fremde Inhalte zu öffnen?.

Ja, wir müssen uns einfach davon verabschieden, im Netz allein etwas Eigenständiges machen zu können. Wir müssen ganz klar sehen: Das Wesen des Internet ist die Vernetzung. Spalten und Platz spielen da keine Rolle mehr. Da kommt es darauf an, inwieweit meine Seite vernetzt ist und angereichert werden kann auch mit Informationen von Dritten, die meine Nutzer interessieren. Unabhängig von der dpa-Frage muss es uns gelingen, die Nutzer selbst aktiver zu beteiligen.

Apropos „bezahlen“. Was sagen Sie denn Redaktionen, die sich unter zunehmendem Spardruck überlegen: Wenn wir auf dpa verzichten, können wir dafür mehrere eigene Redakteursstellen sichern. Sehen Sie noch anderes Sparpotenzial in den Verlagen?

Was andere betrifft, kann ich schlecht mitreden. Wir waren immer schon sehr sparsam. Bei uns galt stets der Spruch: Ob das Licht im Keller ausgemacht wird, entscheidet mit über den Gewinn. Ich kann nur sagen: In Redaktionen sollte man möglichst als Letztes sparen. Und ob die Rechnung bei einem dpa-Verzicht tatsächlich so aufgeht, wage ich zu bezweifeln, denn drei Redakteure in der Heimatredaktion können keinen Korres- pondenten in Washington oder Hamburg oder München ersetzen. Dann ist man auf andere Nachrichtenquellen angewiesen wie auf ap oder ddp..

Manche sehen im dpa-Verzicht auch deshalb einen Vorteil, weil die Redaktionen selbst mehr gefordert sind, eigenständiger zu arbeiten.

Da muss man sich offen und schuldbewusst an die eigene Brust schlagen: Manche Zeitungen wurden ja tatsächlich recht bequem mit dpa-Inhalten gemacht. Wenn diese Art von Journalismus erschwert wird, kann das auch ein Vorteil sein. Der österreichische, nicht gerade unbegabte Verleger der „Kronenzeitung“, Hans Dichand, hat deshalb Nachrichtenagenturen immer abgelehnt. Diesen Standpunkt kann man auch vertreten, wenn man lieber etwas Eigenständiges machen will.

Aber das ist nicht der Ihre, oder?

Nein, das ist nicht der unsere. Denn ich glaube, wir brauchen beides – also dpa und die Fähigkeit, auf dieser Grundlage etwas Eigenständiges zu machen.

Das journalistische Ideal war immer ein Mix an Agenturen mit ihren unterschiedlichen Stärken. Gilt das für Sie heute noch?

Das war ja früher Glaubenssatz. Aber die Bedeutung der Nachricht für die Zeitung hat sich dramatisch verändert: sie ist überall kostenlos verfügbar. die Nutzer sind nicht mehr bereit, dafür zu bezahlen. Ob man unter diesem Aspekt noch Geld ausgeben kann für verschiedene Agenturen, da habe ich meine Zweifel.

Aus Amerika schwappen nahezu täglich neue Hiobsbotschaften von Zeitungseinstellungen. Droht uns eine ähnliche Entwicklung?

Es gibt da fundamenale Unterschiede:

1. Eine amerikanische Zeitung hat auch heute noch 80 Prozent ihrer Erlöse aus dem Anzeigenbereich und nur 20, maximal 30 Prozent aus dem Verkauf der Zeitung. Bei uns ist das Verhältnis inzwischen 50:50. Wir sind also nicht so werbeabhängig.

2. Unsere Regionalzeitungen mit ihren vielen Lokalausgaben haben ihr Umfeld viel besser erschlossen als zumindest die amerikanischen Großstadtzeitungen .Beispiel „Boston Globe“: Obwohl es in seinem Einzugsbereich zig Vor- und Wohnstädte gibt, hat er nur eine Ausgabe, wir würden da ungefähr 20 Bezirksausgaben machen. Dieses Prinzip haben die Amerikaner nie so weit entwickelt. Den Provinzzeitungen, die ähnlich arbeiten wie wir, geht es im Übrigen wirtschaftlich noch recht gut. Neulich war zu hören, dass eine Zeitung der Garnett-Gruppe in Wisconsin 2008 sogar eine Umsatzrendite von rund 40 % hatte. Und den gro- ßen Zeitungsketten, die es so bei uns auch nicht gibt, ginge es auch noch sehr gut, wenn sie nicht für teures Geld Zeitungen ohne Ende aufgekauft und so diese Milliarden-Schuldenberge angehäuft hätten.

Droht den deutschen Verlagen keine Schuldenlast?

Nach meiner Kenntnis sind die meisten deutschen Zeitungen noch nicht mal verschuldet, geschweige denn überschuldet und stehen sehr viel besser da. Aber gleichwohl, machen wir uns da keine Illusionen: Das Internet hat unsere Bedeutung dramatisch vermindert, nimmt uns auch Leser weg und ein Bereich nach dem anderen bricht aus der Zeitung weg – nehmen Sie nur mal das Handelsregister oder die Wetterinformation, die im Internet viel aktueller zu bekommen ist.

Wo liegt denn dann noch die Chance der Zeitung?

Ich glaube, indem wir das, was wir machen, immer besser machen müssen: Die lokale Berichterstattung, aber auch die Politik verständlicher zu machen, Meinung, Stellung zu beziehen – nicht so ängstlich, vorsichtig sein. Und wir müssen die Stellung, die wir mit unseren Marken in unseren Verbreitungsgebieten haben, übertragen auf Netzwerke im Internet. Da genügt es nicht, einfach nur Inhalte reinzustellen, das müssen wirklich interaktive Netzwerke werden, wo unsere Leser, aber auch Nichtabonnenten sich mit eigenen Beiträgen beteiligen und miteinander kommunizieren können. Ein lokales youtube auf unseren Seiten, das wäre der Traum.

Und wie soll sich das finanzieren?

Auch durch Internetwerbung. Vielleicht auch irgendwann durch ein Modell wie i-tunes und micropayment. Aber es hat noch keiner eine 100%-Lösung. Interessant finde ich auch die Entwicklung der ebooks, so etwas wie der Kindle von Amazon könnte auch eine Lösung sein. Denn elekt
ronische Abos könnten wir viel kostengünstiger anbieten, indem wir so an Kosten für Papier, Druck und Zustellen sparen.

Noch aber ist das Zukunftsmusik. Und in der Wirtschaftskrise wird immer lauter überall nach Staatshilfe gerufen. Sollte er auch den Verlagen helfen?

Ich bin gegen staatliche Subventionen – nicht nur bei Zeitungen, aber dort ganz besonders: Wenn wir wollen, dass der Staat uns subventioniert, sägen wir selbst den Ast ab, auf dem wir sitzen: Zeitung braucht Staatsferne. Auch wenn es das in anderen Ländern wie Frankreich oder Österreich gibt, lehne ich das für uns total ab, zumal es ja in unserem Fall nicht um das Überleben der Information, der Nachricht an sich geht. Wenn es wirklich so sein sollte, dass der Markt keine gedruckte Zeitung mehr will, dann haben wir auch keine Zukunftsberechtigung mehr. Das ist doch Wahnsinn, wenn der Staat etwas unterhält, das der Verbraucher nicht mehr will.

Was nutzen Sie selbst denn im Netz?

(lacht) Abends schaue ich mir immer noch spiegel online an, den „Guardian“ – eine sehr gute liberale Internetplattform – den economist und auch mal bild.online. Ich bin übrigens auch bei facebook. Es ist ganz erstaunlich, was man da so alles erfährt. Ich muss zugeben, ich infomiere mich sehr stark auch im Internet – aber morgens eben in der Zeitung.

Tipp: Weitere Aussagen von Dirk Ippen, z. B. zu Synergien von Redaktionen, siehe www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.