Top und Flop des Monats

IN: Immunität gegen Marktschreier

„Killervirus ergreift die Welt.“ „Zahl der Toten steigt weiter.“ „Droht weltweite Katastrophe?“ „Wie viele Menschen müssen noch sterben?“ Ein neuer Katastrophenfilm made in Hollywood? Nein: Ein Streifzug durch den deutschen Blätterwald der vergangenen Wochen. Die Botschaft ist eindeutig: Es ist Zeit, schreiend im Kreis zu laufen. Dass allgemeine Kopflosigkeit viel schlimmer ist als die Ansteckungsgefahr von deutschlandweit fünf Patienten, scheint niemand zu bemerken. Niemand? Doch: „Der Neue Tag“ aus der bayerischen Oberpfalz kommentiert, die Schlagzeilen und Bilder aus Zeiten der Vogelgrippe seien heute „ein Fliegenschiss der Weltgeschichte“. Und empfiehlt: „Wir tun gut daran, eine gewisse Immunität gegen die Marktschreier zu entwickeln.“ Womit auch die gemeint sind, die die Schlagzeilen machen: Wir – die sonst so aufgeklärten Journalisten. Egal, dass „Müssen wir alle sterben?“ so gut über einen Zweispalter passt.

OUT: Der 140-Zeichen-Hype

Fasse dich kurz, stand bis vor 30 Jahren noch an jeder Telefonzelle. Heute, dem Internet sei Dank, ist das nicht mehr nötig. Wenn dann eine Plattform wie Twitter prägnanten Formulierungen zu einer Renaissance verhilft, dann ist das mit Recht eine kleine Sensation.

Aber: Jede Sensation ist irgendwann keine mehr. Sondern gehört entweder zum Alltag oder ist egal. Anstatt jetzt aber zur Tagesordnung überzugehen und Twitter darin einzubinden (wie es etwa „WELT Kompakt“ oder die „Abendzeitung“ auf grandiose Weise tun), starten immer noch ein paar Kollegen den Selbstversuch. Und versuchen sich für ein, zwei Tage am grenzenlosen Online-Smalltalk zu beteiligen – nur, um danach zu sagen: So ein Schmarrn. Woraufhin andere kontern: Endlich hat das Internet einen Sinn. Fakt ist: Twitter existiert jetzt seit drei Jahren. In der Zeitrechnung des WWW also seit Jahrhunderten. Und: Regt sich heute noch jemand über den Buchdruck auf?

Text: Florian Zinnecker (24) ist Mitglied im Netzwerk jungejournalisten.de, die in „medium magazin“ regelmäßig ihre aktuellen persönlichen „in & out“-Favoriten vorstellen

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.