„Werdet wie Google!“

Google ist überall: Wir suchen Antworten und Webseiten, verschicken E-Mails, finden Adressen, klicken auf Kleinanzeigen, lesen digitale Bücher oder fliegen virtuell um die Welt. Alles mit Google. Zumindest in der Medienszene allgegenwärtig ist dieser Tage auch Jeff Jarvis. Der New Yorker Journalismusprofessor, Medienberater, Blogger, Webvordenker und Autor rät Verlagen, den Titel seines neuen Buches zu beherzigen: „What would Google do?“ Die Frage, was Google tun würde, dekliniert Jarvis darin für viele Branchen durch. Das Akronym „WWGD?“ ist sogar schon zum geflügelten Begriff in der Webszene geworden. Im Mittelpunkt des Buches aber steht die These, dass Verlage sich im Zeitalter von Google radikal neu erfinden müssen: Sie sollen sich öffnen, vernetzen, ihre eigenen Stärken erkennen und anderen Nutzern helfen, von ihnen zu profitieren. Das werde von Google belohnt in Form von Links – dem gewinnbringenden „Google Juice“.

Seine wichtigsten Thesen lauten:

* Die Linkökonomie verändert alles

* Tue, was du am besten kannst und verlinke auf den Rest

* Kostenlos ist ein Geschäftsmodell

* Verteile deine Inhalte im Netz, mauere sie nicht auf einer geschlossenen Plattform ein

* Wer nicht gesucht werden kann, wird auch nicht gefunden

* Werde Teil einer Gemeinschaft

* Der Massenmarkt ist tot, jetzt gibt es massenhaft Nischen

Mit diesen Thesen ist Jarvis rund um die Welt zum vielgefragten Referenten und Interviewpartner geworden. Wenige Tage vor Erscheinen der deutschen Ausgabe seines Buchs im Mai druckte die „Wirtschaftswoche“ exklusive Auszüge. Auch auf deutschen Web-Kongressen ist der Experte des Wandels ein begehrter Redner, ob im Januar auf der Digital Life Design in München oder im Mai auf der Hamburger next 09. Dort beweist der New Yorker echte Entertainer-Qualitäten. Jede Pointe sitzt. Jede Powerpointfolie verdeutlicht eine eingängige These. Behende rennt der drahtige 54-Jährige bis in die letzten Reihen des Veranstaltungssaals, um Fragen des Publikums entgegenzunehmen. Am Ende seines 45-Minuten-Auftritts signiert Jarvis sein Buch und wird dabei so sehr bestürmt, dass die ersten Interviews mit ihm erst mit einer halben Stunde Verspätung beginnen können.

Dabei hat er in seinem Vortrag nur das gesagt, was er immer sagt und was man wortwörtlich auch in seinem Buch nachlesen kann. Aber das ist nicht unbedingt das, was die von der Werbekrise gebeutelten deutschen Verlagsmanager in diesen Tagen hören wollen. Deshalb besuchen nicht webaffine Verlagsmanager und Journalisten Konferenzen wie die next09 lieber gar nicht erst.

Abschied vom Feindbild. Jarvis rät den Verlagen, ihr so oft bemühtes Feindbild Google aufzugeben. Statt zu jammern, weil die Suchmschine mit der Verlinkung von Zeitungsinhalten Geld weitaus mehr Geld verdient als die Verlage, sollten sie lieber selbst „googeliger“ werden. Der Verlagsberater beschreibt, wie die von Google geschaffene „Linkökonomie“ die alten Mächte der Medienwelt verändert. Druckmaschinen und teure Vertriebsstrukturen zu besitzen, sei kein Wert mehr, weil sich Nachrichten im Web viel schneller und billiger verbreiten. Der Wert von Allerweltsnachrichten, wie alle anderen sie auch anbieten, sinke gen null. Darauf lässt sich laut Jarvis kein Geschäftsmodell mehr begründen, und schon gar nicht gebührenfinanziert, weil es immer jemanden gebe, der die gleichen Inhalte kostenfrei zur Verfügung stellt. Stattdessen müssten Medien Wert darauf legen, einzigartige Inhalte zu schaffen.

Die eher moralisch als logisch begründete Forderung, die Nutzer „sollten“ für Zeitungsinhalte im Netz bezahlen, sei dagegen kein funktionierendes Businessmodell, sagt der Verlagsberater und nennt als Beispiel die „New York Times“. Als die Zeitung ihre Gebühren für das Online-Angebot „Times Select“ wieder abschaffte, stiegen die Besucherzahlen um 40 Prozent und die zusätzlichen Werbeeinnahmen machten den Gebührenverlust mehr als wett. Anstatt ihre Inhalte hinter einer Gebührenschranke auf der eigenen Plattform verstecken zu wollen, sollten Zeitungen dafür sorgen, dass ihre Webseiten von Google gut gefunden werden, damit die Suchmaschine ihnen möglichst viele Besucher vorbeischicken kann, fordert Jarvis. Und wenn nicht genügend Besucher auf Zeitungsportale kommen wollen, dann sollten die Zeitungen „distribuiert denken“ und mit ihren Inhalten dorthin gehen, wo die Webnutzer schon sind: bei Facebook, YouTube oder Flickr.

„Leistungsschutzabgabe“ als Lösung? Doch nicht nur viele US-Verlage, die Abgeordnete momentan zum Beispiel für Steuernachlässe gewinnen wollen, sondern auch viele deutsche Medienmacher denken eher an die Aufrechterhaltung ihrer gewohnten Strukturen mit Hilfe zusätzlicher Einnahmen im Gegenzug für wegbrechende Printwerbung. Springer-Chef Matthias Döpfner wünscht sich eine „Leistungschutzabgabe“ für das Zitieren und Verlinken von Webtexten, sozusagen GEMA-Gebühren für Zeitungsinhalte. Der NRW-Verleger-Verband warnte jüngst bei einer Anhörung im Düsseldorfer Landtag vor einer „bedrohlichen Kostenlos-Mentalität“ im Internet. Der Verband gehört zu einer größer werdenden Phalanx von Medienexperten und Verlagslobbyisten, die eine „Kulturflatrate“ für Zeitungsinhalte im Internet eingeführt sehen möchten. Auch über neue Online-Abogebühren oder Micro-Payments für einzelne Artikel wird wieder lauter nachgedacht.

Projekt Zukunft. Doch all das sind für Jarvis vergebliche Versuche, das Unaufhaltsame aufzuhalten. Für seine Thesen, die darauf abzielen, Zeitungsjournalismus im Web radikal neu zu definieren, wird Jarvis von den Apologeten des digitalen Wandels gepriesen und von Skeptikern, vor allem aus der US-Verlagsszene, angefeindet: er tanze „mit Freude auf dern Gräbern untergegangener Zeitungen“. Auf seinem Blog wehrt sich Jarvis mittlerweile beinahe wöchentlich gegen Unterstellungen, er habe ein Interesse daran, dass es Zeitungen schlecht geht, denn dann hätten sie mehr Beratungsbedarf und würden New Media-Agenturen wie Daylife konsultieren, bei der Jarvis Partner ist.

Jarvis hält dann stets dagegen, dass er die Zukunft begrüßt, aber auch anderen dabei hilft, in der neuen Medienwelt erfolgreich zu sein. An der City University of New York (CUNY) hat er das Projekt „New Business Models for News“ gestartet, das Verlagen helfen soll, tragfähige Konzepte im Webzeitalter zu finden. In dem Projekt soll zum Beispiel erforscht werden, wie verkleinerte Redaktionen in Netzwerkstrukturen gemeinsam mit interessierten Amateuren arbeiten können, um vor allem lokale Inhalte zu aggregieren. Es wird sich auch damit beschäftigen, wie man auf lokalen und hyperlokalen Plattformen Unternehmen für Werbung gewinnen kann, die noch niemals eine Zeitungsanzeige oder Werbebanner geschaltet haben.

Zweite Jugend. Jarvis selbst betont mit leuchtenden Augen, er liebe den Medienwandel. „Das Internet gibt mir eine zweite Jugend“, sagt der Vater eines 17-jährigen Sohnes, der bereits ein erfolgreicher Webprogrammierer ist. Den Medienwandel zu meistern, bedeutet für ihn auch, den Umgang mit neuen Techniken und neuer Technik zu beherrschen. „Wenn ich das kann, könnt ihr das auch“, sagt der grauhaarige Professor zu 20 Jahre jüngeren Kollegen am CUNY-College.

Den Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, beeindruckte Jarvis beim World Economic Forum in Davos im souveränen Umgang mit seiner kleinen Flip-Videokamera so sehr, dass „Bild“ inzwischen erfolgreich gebrandete Flip-Kameras als Merchandisingartikel verkauft. Mit vorinstallierter Video-Hochladefunktion zu Bild.de. Das wiederum beeindruckte Jarvis.

Linktipp:

Interview von Ulrike Langer mit Jeff Jarvis unter www.mediummagazin.de (Kurzfassung) und http://medialdigital.wordpress.com (Langfassung und englische Originalfassung).

Exzerpt aus „Was würde Google tun?“ in der „Wirtschaftswoche“: http://is.gd/tUxP

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt
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