An der Front

Die Ereignisse nach der Wahl im Iran im Juni haben dpa und all die anderen Nachrichtenagenturen auf eine harte Probe gestellt. Fast alle westlichen Korrespondenten wurden entweder unter Hausarrest gestellt oder mussten, weil ihre Arbeitsvisa nicht verlängert wurden, das Land verlassen. In dieser Informationsstarre blieb vielen, die nicht auf ungeprüfte Social Media-Quellen wie Twitter, Facebook und Flickr vertrauen wollten, nur eine Quelle: Nachrichtenagenturen. Aber wie werden sie dieser Anforderung gerecht? Wie und mit wem arbeiten die Agenturen im Ausland?

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat 65 fest angestellte Korrespondenten in 32 Büros weltweit – etwa 40 davon sind aus Deutschland entsandt, die anderen vor Ort angeheuert.

dpa konkurriert aber nicht nur hierzulande mit AFP, AP und Reuters, sondern auch im Rest der Welt. Für Spanien und Lateinamerika betreibt dpa einen spanischen Dienst (Zentrale: Madrid), für den 60 feste Mitarbeiter arbeiten. Ein arabischer Dienst operiert von Kairo aus mit insgesamt 77 Mitarbeitern. Und für einen englischen Dienst schreiben 136 Mitarbeiter, deren Arbeit von Berlin aus gesteuert wird und vor allem Kunden im Nahen Osten und Südost-Asien erreicht.

Wenn Auslandschef Heinz-Rudolf Othmerding die Mitarbeiter der Auslandsdienste samt freien Kräften, die irgendwie vertraglich an die Agentur gebunden sind, zusammenzählt, kommt er zu dem Ergebnis: „Unser Netz zieht sich durch 180 der 192 Länder, die in den Vereinten Nationen vertreten sind.“

Für die dpa sind die eigenständig arbeitenden Auslandsdienste, die täglich jeweils etwa 300 Meldungen verbreiten, vor allem eine weitere Erlösquelle: Nach Angaben der dpa machen der arabische und der englische Dienst Gewinn. Othmerding beschreibt den arabischen Raum deshalb auch als „wichtigen Markt, auf dem sich Geld verdienen lässt“. Im Wettbewerb mit arabischen Diensten von AFP und APA hat dpa einen Feature-Dienst gestartet. Im Juli folgt ein arabischer Themendienst.

Othmerding betont, die drei fremdsprachigen Dienste seien „existenziell wichtig für unsere Auslandsberichterstattung im deutschen Dienst“. Denn neben der zusätzlichen Erlösquelle für die gesamte dpa-Gruppe profitierte auch der deutsche Basisdienst von den Auslandsaktivitäten der Agentur. Deshalb halte sich dpa weiter den spanischen Dienst – trotz Verlusten.

Was sich abstrakt anhört, funktioniert so: Die 65 Korrespondenten lesen den jeweiligen Auslandsdienst von dpa mit, der in ihrer Region arbeitet. Sie übersetzen die Meldungen oder nutzen sie als Alarmgeber, um selbst aktiv zu werden. Ähnlich funktioniert das auch bei der Konkurrenz: Die dpa arbeitet zwar in vier Sprachen, AFP aber in sechs.

Die dpa hat zudem Abkommen mit 76 Agenturen geschlossen, die sie lesen und zitieren darf. Dazu gehören auch Dienste, mit denen dpa hierzulande konkurriert, wie AP: dpa zahlt dafür, Meldungen über den US-Sport zu übernehmen.

Klar ist aber auch: AFP und AP bieten deutschen Kunden deutlich mehr Material aus dem Ausland und ein deutlich dichteres Korrespodenten-Netz. Für AFP etwa arbeiten nach eigenen Angaben etwa 1.100 Redakteure in 165 Ländern der Welt. AFP erhält jedoch aktuell pro Jahr 109 Millionen Euro aus französischen Steuern. Die dpa sieht darin eine Wettbewerbsverzerrung. Allerdings erhalten auch Agenturen in Ländern wie Italien, Spanien, den Niederlanden und Kanada Subventionen. Eine komplett privatwirtschaftliche Finanzierung wie bei dpa und AP ist eher selten.

AP weist sogar weltweit 2.000 Redakteure und ebenso viele Freie aus. Wie viele aber davon tatsächlich außerhalb des Heimatmarktes USA arbeiten: unklar.

Unstrittig ist hingegen, dass AP und AFP oft für längere Zeit exklusive Inhalte bieten – wie auch der Wirtschaftsdienst Reuters, der in der Hauptsache Unternehmen und Börsenexperten beliefert. Dabei helfen ihnen klare Heimvorteile: AP ist vor allem in den USA aktiv, AFP in Frankreich und den Ex-Kolonien in Afrika.

Die beiden in Deutschland aktiven ausländischen Agenturen haben aber auch einen Nachteil: Sie sind am Ende nur Verlängerungen ihrer Weltdienste. Die deutsche AFP-Dependance – die eine eigenständige GmbH ist und mindestens keine direkten Subventionen erhält, sondern sogar Gewinne an ihre Mutter abführt – hat lediglich acht eigene Kräfte im Ausland, der Ableger von AP sogar nur einen in Brüssel und einen in Paris. Die Stelle in Paris soll sogar abgebaut werden (siehe Beitrag „AP stellt sich in Deutschland neu auf“, www.mediummagazin.de).

Ansonsten „übertragen“ die Redakteure von AFP und AP in Deutschland die Meldungen ihrer Weltdienste, d.h. sie schreiben die Meldungen um und reichern sie mit deutschen Informationen an. Die Auslands-Chefin des deutschen AFP-Dienstes, Christine Longin, räumt aber ein: „Wenn deutsche Politiker in einer Region unterwegs sind, in denen wir keinen deutschen Korrespondenten haben, fehlt uns oft der deutsche Ansatz.“ Andererseits berichten sowohl Longin als auch ihr AP-Kollege Peter Zschunke, inzwischen würden fast alle Bitten an die Reporter ihrer Mutterdienste um spezielle Geschichten für deutsche Kunden erfüllt. Bei AFP sprechen sie von „98 Prozent“, bei AP von „nahezu 100 Prozent“. Beide müssen dafür allerdings über ihre Europa-Zentralen in Paris und London gehen, einen direkten Kontakt zu den Korrespondenten gebe es nur selten.

Und sie teilen ein Problem: Bei AFP und AP bemängeln sie, unter Angela Merkel häufiger als noch unter Gerhard Schröder keinen Platz in den Begleitdelegationen zu bekommen. Bei AFP ist von einer „Bevorzugung der dpa“ die Rede und AP teilt mit, man sei in dieser Sache „wiederholt vorstellig geworden“ und habe „zum Teil gemeinsam mit anderen Agenturen“ eine Gleichbehandlung eingefordert.

Die dpa punktet wiederum damit, dass ihre Landesdienste auch viele Reisen von Landespolitikern begleiten. Das wiederum ist bisher das einzige Feld, auf dem der sonst bislang nur im Inland aktive Deutsche Depeschendienst (ddp) im Wettbewerb um Auslandsmeldungen mitspielt. Der ddp plant jedoch schon länger, in Brüssel ein erstes Auslandsbüro zu eröffnen. Und er arbeitet daran, einen Auslandsfeature-Dienst aufzuziehen (siehe MM 03/2009).

Was die dpa mehr beunruhigt: Derzeit geistert das Gerücht durch die Branche, der ddp wolle mit AP kooperieren. Der ddp dementiert auf Anfrage, AP will die Gerüchte gar nicht kommentieren – und tut das auch intern nicht. Die deutschen Mitarbeiter sind deswegen recht ratlos. Sie wissen nicht, woran sie sind.

Angriff auf den Marktführer. Die neuen Eigentümer des ddp hätten jedenfalls das nötige Spielgeld, um zu expandieren. In die Strategie der AP-Muttergesellschaft würde ein Abstoßen des deutschen Dienstes zudem gut passen, denn Ähnliches geschah bereits in Holland: 2007 verkaufte AP ihren Dienst an eine andere Agentur. Denkbar wäre also, dass die AP auch seinen deutschen Dienst dicht macht und ddp gegen Gebühr das Recht einräumt, Meldungen zu übernehmen.

Bisher ist das allerdings pure Spekulation. Bei der dpa halten sie es sogar für möglich, dass der ddp dann auch noch schnell einen Sportdienst auf die Beine stellt. Der vor wenigen Jahren noch insolvente Dienst würde damit den Marktführer in allen Bereichen angreifen.

Der Vergleich, was dpa, AFP und AP ihren Kunden in Deutschland zumindest quantitativ aus dem Iran bieten, zeigt: AFP setzte in den ersten drei Tagen (13. bis 15. Juni) 41 Meldungen von sechs Korrespondenten ab, dpa 50 von zweien und AP 35 von vieren. Zumindest in der Meldungszahl muss sich die dpa also nicht verstecken.

Auslandschef Othmerding sagt auch, er sei „heilfroh“, die richtigen Mitarbeiter vor Ort zu haben. Demnach sind auch die dpa-Leute Iraner, die im Mutterland der Agentur aufgewachsen sind. Sie haben den Journalismus nach westlichen Standards gelernt, können sich mit ihrer Biografie aber im Zielland meist unauffällig bewegen und unter
die Leute mischen – anders als viele TV-Reporter.

Einig geben sich die drei Dienste bei der Frage, wie sie mit sozialen Netzwerken wie Twitter und Amateur-Diensten wie YouTube umgehen: Sie verzichteten darauf, diese Angebote als Primärquelle zu nutzen. Die Pariser Chefredaktion von AFP verbietet das gar im Stylebook, an das sich auch der deutsche Dienst hält, der eben nur juristisch, aber nicht inhaltlich von Paris losgelöst arbeitet.

Einzige Ausnahme: In den Korrespondentenberichten tauchten bei allen Agenturen Zitate aus Twitter und Beschreibungen aus YouTube auf. Das aber auch nur als Stimmungsbild, nicht als Nachricht. Und alle Agenturen wiesen ihre Kunden darauf hin, dass sie diese Informationen nicht verifizieren konnten.

Bei dpa überlegen sie unterdessen, wie sie angesichts dieser Entwicklung künftig mit Twitter & Co. umgehen sollen: Ein erstes internes Seminar mit dem designierten Chefredakteur Wolfgang Büchner, der von „Spiegel Online“ kommt, wird sich mit dem Thema „dpa und soziale Netzwerke“ beschäftigen.

Auslandschef Othmerding sagt, dabei stehe die Frage im Vordergrund, wie glaubwürdig das Gezwitscher sei. „Aber auch, wie politisch Twitter oder andere Netzwerke sind.“ Othmerding spricht von „Massenbewegungen von Zehntausenden von Menschen“, die Gegenstand der Berichterstattung werden könnten.

Die Europäische Pressphoto Agency (EPA), der auch die dpa angehört, hat aus dem Iran bereits Fotos vom Amateur-Bilderdienst Flickr.com verteilt (siehe Foto oben) . Sie hat die Bilder als „Handout“ markiert, also wie PR-Material. Othmerding: „Das ist eine neue Dimension.“

Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.