Unabhänge Wahlprognosen glaubwürdiger Institute zum Ausgang beispielsweise der Parlamentswahl gibt es im Libanon nicht. Sie werden auch gar nicht benötigt. Die Libanesen haben ihr eigenes System, wie wir am Wahltag bei einem Besuch im umkämpften Bezirk Zahle im Bekaa-Tal erfuhren. Wir waren mit dem Soziologen Melhem Shaoul zum Gespräch verabredet, woraus nach libanesischer Manier ein ausgedehntes Mittagessen wurde, bei dem Verwandte, Politiker und Wissenschaftler sich zwanglos um einen großen Tisch scharten und lokale Köstlichkeiten genossen. Plötzlich klingelten die Handys der Gäste ohne Unterlass. Es waren Anrufe aus den Wahllokalen, wo alle Parteien ihre Helfer positioniert haben. Die Nachrichten: Familie X und Y und Z sind komplett zur Wahl erschienen, das bedeutet, das pro-westliche Bündnis liegt nun vorn. Da jeder jeden kennt in den Wahlbezirken, wissen die Beobachter, wie viele Wahlberechtigten eine Großfamilie hat. Und weil die Familien traditionell ihre Stimme dem einen oder anderen Kandidaten beziehungsweise einem bestimmten politischen Lager geben, ist die Entscheidung beim Urnengang im Libanon eben doch nicht so geheim. Egal ob hinterm Vorhang abgestimmt wird oder nicht. Auf diese Weise und durch die von den Parteien verteilten und in einer ganz bestimmten Weise gedruckten Stimmzettel offizielle Stimmzettel gibt es nicht lässt sich zudem einfach ermitteln, ob gekaufte Wähler gespurt haben. So hatten wir kurz vor Schließung der Wahllokale schon fast Gewissheit, wie der Bezirk Zahle abgestimmt hatte. Wer braucht da noch so etwas wie Infratest.
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Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 62 bis 62 Autor/en: Birgit Kaspar, Beirut. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.