Das Antifoto

Zum Glück war an dem Tag nicht viel los,“ sagt Alfons Kaiser. Zum Glück nicht nur für ihn als den Spiritus rector der Idee, ein Dokument des schlimmsten Ferienerlebnisses zum Titelfoto der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu machen. Glück hatte so auch die Urheberin des Fotos, Birgit Schultz, die damit in die Geschichte der „FAZ“ eingeht: Sie ist die erste „Leserreporterin“, deren Foto und Name den Titel der traditionsbewussten Qualitätszeitung zierte.

Leserreporter? Ferienerlebnisse?- nicht gerade Themen, die man auf Anhieb mit der ehrwürdigen „FAZ“ verbindet. Doch gerade dieses Beispiel verdeutlicht gut den Kurs der Frankfurter, seitdem sie vor nun genau zwei Jahren das Foto auf der Titelseite zur Regel und nicht mehr nur zur Ausnahme für historische Ereignisse erklärten.

„Wir wollten mit diesem Foto gegen den Strich bürsten und eine Anti-Aktion setzen zu den ganzen `Mein-schönstes Ferienerlebnis-Aktionen‘ in vielen Lokalredaktionen“, erklärt Alfons Kaiser, Ressortleiter „Deutschland und die Welt“. Und freut sich über das gelungene „Ping-Pong“-Spiel, das das Antifoto mit dem Aufruf zur Leseraktion ausgelöst hat: Binnen Stunden nach der Veröffentlichung schickten Leser etliche weitere Fotos, die bei faz.net in einer Bildergalerie erscheinen, wovon die besten wiederum gedruckt werden. Das hat auch die Skeptiker überzeugt, die in der Titelbild-Konferenz (stets um 15.15 Uhr) erst widerstrebend auf die Antifoto-Idee reagiert hatten.

Gemeinschaftswerk. An dieser Konferenz sind neben der Bildredaktion sämtliche Ressortleiter beteiligt, denn das Titelfoto ist ein Gemeinschaftswerk, hinter dem nicht wenig Arbeit steckt. „Der durchschnittliche Zeitaufwand für das Seite-1-Motiv beträgt täglich etwa 10-12 Stunden,“ sagt Christian Pohlert, Chef der „FAZ“-Bildredaktion. Zwischen 7.000 und 8.000 Foto täglich (davon etwa ein Viertel aus eigener Produktion) wollen gesichtet werden, Motive, passend zur Nachrichtenlage diskutiert und bestimmt werden, Infos dazu recherchiert, das Titelbild bearbeitet und getextet werden.

Den Auftakt macht morgens ein Telefonat zwischen Christian Pohlert und Jasper von Altenbokum, dem Nachrichtenchef – der eine verantwortlich für das Foto, der andere für den Bildtext, und beide, wie sie selbst und andere sagen, sehr assoziationsfreudig. Abgegriffene Sprachbilder und entsprechende Fotomotive sind ihnen ein Graus, so etwas wie ‚Der Wind am Arbeitsmarkt dreht sich‘ und dazu ein Foto von der Kieler Förde mit geblähten Segeln: „Das geht gar nicht“, sagt Pohlert und man hört durchs Telefon, wie er sich förmlich bei dieser Vorstellung schüttelt. Fotomontagen sind ebenfalls tabu auf dem Titel, sonst gibt es keine Grenzen für die Gestaltungsmöglichkeit. Nur die Regel, dass das Titelfoto stets nachrichtlich getrieben und angebunden sein muss, wie Pohlert betont.

„Unser Ziel war es von Anfang an, uns von der Konkurrenz durch einen eigenen Stil abzuheben und das Foto als eigene Marke auf der Seite 1 zu etablieren“, sagt auch Jasper von Altenbokum. Eine tragende Rolle spielt dabei die Grundidee: „ein Bild zu zeigen, das erst über den Text richtig an Leben gewinnt“. So wie beim nebenstehenden „Anti-Foto“, zu dem Jasper von Altenbokum die schönen Worte einfielen: „Ein Tourist, der keine Fotos nach Hause bringt, ist wie ein Foto, das nie gemacht wurde – er kann nicht beweisen,was ihn zum Touristen macht. Das gilt auch für Fotos, die so schrecklich sind, das niemand Tourist sein wollte.“

So werden selbst aus Antifotos Kultbilder. Und ein aktuelles Zeitungsfoto zur Marke, die den Tag überdauert.

Annette Milz/Thomas Strothjohann

Linktipps:

Die Anti-Foto-Galerie: http://bit.ly/asvh9

Das Titelbild-Voting: http://bit.ly/XYK3i

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 6 bis 7. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.