Die Archiv-EU-Auster

Das Europaparlament leistet sich ein TV-Archiv, das man auch „TV-Auster“ nennen könnte: Große Klappe, wenn keiner hinschaut. Aber wenn man etwas braucht, hält die Auster von innen mit aller Kraft zu. „Wir haben 8.000 Stunden Plenarsitzungen archiviert, davon 1.000 Stunden historischer Aufnahmen,“ tönt das Parlamentsarchiv im Internet. Überprüfen kann man das nicht, weil die Archivare ihre Pretiosen nur sehr ungern herausrücken. Für ein paar Original-Aufnahmen aus der ersten Sitzung von 1979, gedacht für ein Radio-Feature zur Europawahl, musste ich vier Wochen betteln, drei Archivare anmailen, zwei Pressesprecher bearbeiten und bekam letztlich doch nur einen Wahlspot auf Italienisch und die Stimme einer Frau, die 1979 im Europaparlament monoton ein Abstimmungsergebnis vortrug, aber offensichtlich keinen Namen hatte.

Dabei betreibt das Europaparlament sehr viel Aufwand, um endlich in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden: Unzählige Websites, ein eigenes Parlaments-TV, besagtes Archiv und allein drei Dutzend Pressesprecher – nur für die Parlamentsdienste, die Parteien haben ihre eigenen Sprecher. Das Problem ist nur, dass kaum einer eine Ahnung von Journalismus hat. Die meisten kommen aus dem Bauch der Bürokratie, haben Jura studiert und sich über viele Jahre die Reflexe der Geheimhaltung antrainiert. Von Journalisten hält die Parlamentsverwaltung nicht so viel, weil die immer so viel kritisieren und man nicht weiß, was die aus den Informationen machen. Deshalb hält die Auster lieber dicht.

www.europarl.europa.eu/eplive/archive/default_en.htm

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Alois Berger, Brüssel. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.