„Ein großes Experiment“

Herr Eck, welchen Titel würden Sie einem Buch über den Wahlkampf 2009 geben?

Klaus Eck: Ein großes Experiment.

Experiment? Inwiefern?

Es wird zwar viel von Social Media gesprochen, aber die Parteien sind weit davon entfernt, sie zu nutzen. Bei den YouTube-Videos der Abgeordneten und Wahlkämpfer wird immer noch Fernsehen gemacht. Der Dialog wird, wenn man sich die Kommentare zu den YouTube-Filmen anschaut, nicht ernstgenommen. Es gibt meist keinerlei Moderation oder nur Antworten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das hat nichts mit dem Wahlkampf zu tun, wie er von Sarkozy in Frankreich und vor allen Dingen Obama in den USA betrieben wurde. In Deutschland wird gehüpft und gesprungen, aber es fehlen Konzepte, die über das reine Marketing hinausgehen.

Bei „Zensursula“ funktioniert Politisierung im Netz. Warum schaffen das die etablierten Parteien nicht?

Die Debatte wurde von der Ministerin und den meisten anderen Politikern überhaupt nicht verstanden: Es war ja niemand für Kinderpornografie. Die Einwände richteten sich nur gegen die Zensurentwicklung im Internet. Das zeigt, welch verschiedene Kulturen da aufeinandertreffen. Es war bei allen Parteien ein großes Unverständnis zu finden, gegenüber dieser neuen, noch sehr, sehr kleinen Bürgerbewegung, die jetzt zum großen Teil in der Piratenpartei gemündet ist. Die Parteien müssen aufpassen, dass ihnen nicht wieder eine ganze Generation verlorengeht, wie in den 80er- Jahren bei der Friedensbewegung. Derzeit sind es vielleicht nur zwei Prozent – sicher nicht genug, einer Partei zum Erdrutsch-Sieg zu verhelfen. Aber es reicht, das Parteiengefüge zu beeinflussen und Mehrheiten zu verhindern.

Aber dann müsste es doch spannendere Überschriften geben als „18 Prozent für Horst Schlämmer“, wie das „Hamburger Abendblatt“ kürzlich titelte …

Das ist die Boulevardisierung von Inhalten. Welche Themen werden denn in der Tagesschau, im heute journal gesetzt? Im Vergleich zu vor 10 Jahren sind die Themen viel boulevardesquer geworden. Politiker werden vorgeführt statt Inhalte. Das war bei Schröder schon so und das ist auch ganz im Stile von Obama. Man kann Politikern natürlich schon vorwerfen, dass sie vor ihrer eigenen Chuzpe zurückschrecken. Im vergangenen Wahlkampf hatten Union und FDP noch eine sehr klare Vorstellung von dem, was sie politisch umsetzen wollten. Die Union hat harte Einschnitte angekündigt, das wurde abgestraft. Jetzt haben wir eine Sozialdemokratisierung der CDU, nachdem Schröder schon die SPD christdemokratischer gemacht hat. Da ist es doch klar, dass die Konflikte ihre Schärfe verlieren. Und wo kein Konflikt herrscht, ist es langweilig.

Wie schlagen sich denn die Medien in diesem Wahlkampf?

Das ZDF ist mit seiner Berichterstattung zur Europawahl hervorzuheben: Die haben geschaut, was die Politiker in den neuen Medien alles machen und haben die Politiker, die noch nicht so vertraut damit sind, abgeholt. Sie durften direkt nach der Wahl auf die Twitter-Anfragen reagieren. Ein interessanter Ansatz. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben das Internet ohnehin als wichtiges Instrument erkannt, deshalb passiert viel: Sie bauen eigene Plattformen, kooperieren mit YouTube, wo das ZDF mit „Ich kann Kanzler“ experimentiert und zur Bundestagswahl „Open Reichstag“ gestartet hat.

Und die Printmarken im Netz?

Da passiert noch nicht sehr viel. Ich nutze die Twitter-Suchmaschine twazzup.com, um mir einen Überblick zu verschaffen, was gelesen, geklickt und diskutiert wird. Dabei stoße ich des Öfteren auf das ZDF. Ab und zu schaffen es „Spiegel“ und „Zeit“ und „Welt“ sowohl über ihre herkömmlichen Auftritte als auch über Twitter und Facebook, auf ihre Angebote aufmerksam zu machen. „Der Freitag“ und „Der Westen“ gehen noch etwas weiter und setzen stark auf Interaktion. Insgesamt nutzen die Printmedien die Möglichkeiten des Netzes für ihre Marken aber bei Weitem noch nicht gut genug. Da wird, ähnlich wie in der Politik, noch zu sehr in einer Einbahnstraße gedacht, und deshalb werden die Anbieter von den Digital Natives ignoriert. Es genügt nicht mehr, eine eigene Seite ins Netz zu stellen und darauf zu warten, dass die Nutzer kommen. Die Marken müssen dort präsent sein, wo sich die Leser bewegen: in sozialen Netzwerken, Blogs und Mikroblogs, denn da entscheidet sich der Wert einer Marke. Und sie dürfen diese Kanäle nicht automatisiert über programmierte Schleifen bedienen, die am Abend 20 Meldungen raushauen und damit die Nutzer auch zeitlich überfordern. Es kommt auf die richtige Dosis an, darauf, dass ein redaktioneller Mitarbeiter entscheidet, wann er dem potenziellen Leser zum Beispiel über einen Tweet eine Geschichte schmackhaft machen möchte, dass Diskussionsplattformen geboten werden und das Angebot moderiert wird.

Matthias Thiele ist Absolvent der Henri-Nannen-Schule und freier Journalist in Berlin. Kontakt: autor@mediummagazin.de

Linktipp:

Was Klaus Eck von Twitter-Vorabmeldungen hält und welche Wirkung er sozialen Netzwerken auf die Politik zuschreibt, lesen Sie unter www.mediummagazin.de, magazin +

Zur Person

Klaus Eck (44) hat sich als Kommunikationsberater auf die Themen Corporate Blogs, Social Media Marketing sowie Online Reputation Management spezialisiert. Sein jüngstes Buch „Karrierefalle Internet“ beschäftigt sich mit Strategien für die persönliche und unternehmerische Reputation im Netz. Der Social Media-Experte betreibt mit www.pr-blogger.de einen der erfolgreichsten PR-Blogs und twittert unter @klauseck.

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Politik“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Interview: Matthias Thiele. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.