Lust kontra Last

Die Frage: Was halten Sie vom „Schlämmer-Effekt: Fördert Infotainment und die Berichterstattung da- rüber das Politikinteresse?

Die Zeitungsmacher:

Christoph Grote,

Chefredakteur (ChR)

„Stuttgarter Nachrichten“:

„Nein. Schlämmer macht‘s eher noch schlimmer. Nun ist die Politik auch offiziell da, wo manch einer sie schon lange sieht: in der Lächerlichkeit.“

Horst Seidenfaden, ChR „HNA“, Kassel:

„Schlämmer ist das Beste, was der Politik passieren konnte. Und wir nutzen Figur und Film – und sei es nur mit Verlinkungen über Print und Netz. Schlämmer weckt ein Grundinteresse – wem gelingt das sonst noch? Andrea Nahles?“

Jörg Riebratsch,

ChR „Darmstädter Echo“:

„Comedy & Infotainment machen Politik lächerlich und führen dazu, dass sich die Menschen noch eher von ihrer Aufgabe als Wähler abwenden. Deshalb: Wählt Schlämmer ab.“

Thomas Hauser,

ChR „Badische Zeitung“:

„Lernen kann man da höchstens, wie man sich gut verkauft.“

Volker Quak,

ChR „Main-Post“, Würzburg:

„Ist ein von zig Medienberatern getrimmter Spitzenkandidat nicht genauso eine Kunstfigur wie Horst Schlämmer? Wir verfolgen das aufmerksam, vor allem aber ist es oft Gegenstand von Wahlkampfkommentaren. “

Clemens Wlokas,

stv. ChR

„Heimatzeitung Madsack“:

„Das hat aus meiner Sicht eine Ventilfunktion. Mir fällt zu Horst Schlämmer ein Zitat von Joachim Ringelnatz ein: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“.

Ilse Stein,

ChRin „Göttinger Tagblatt“:

„Ich schätze Hape Kerkeling, aber ob dies das Politikinteresse positiv beeinflusst, möchte ist doch sehr bezweifeln.“

Uwe Ralf Heer,

ChR „Heilbronner Stimme“:

„Es ist bezeichnend, dass sich viele Bürger erst durch solche Comedy-Effekte in Sachen Politik ansprechen lassen. Dies sollte den Parteien zu denken geben. Wir sollten aber sachlich berichten und die Comedy dort belassen, wo sie hingehört: Auf den Freizeit- oder Kulturseiten.“

Torsten Duibmann,

ChR „Die Glocke“:

„Nein, fördert es nicht. Viele verstehen noch nicht einmal, das Schlämmer nur eine Comedyfigur ist, die sich zwar weitgehend verselbstständigt hat, aber gar nicht zur Wahl antritt. Das bringen viele Medien (Print, TV) nicht deutlich genug rüber.“

Jutta Kramm,

stv. ChRin „Berliner Zeitung“:

„Nein. Wir amüsieren uns über Schlämmer – und Politik nehmen wir ernst. Ich bin sicher, dass die große Mehrheit unserer Leser sehr genau zwischen Schlämmer, Steinmeier und Merkel, zwischen Parodie und Politik, zu unterscheiden weiß.“

Carsten Heil,

stv. ChR

„Neue Westfäische“:

„Ich sehe das skeptisch und halte die Politik mit ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit (vor der Wahl keine Steuererhöhung, nach der Wahl Mehrwertsteuer rauf), ihren eigenen Versuchen mit Dekolleté-Plakaten (Lengsfeld) und nackten Hintern (Grüne in NRW) für mitverantwortlich. Spaß ist gut, aber die Politiker sollten sich nicht lächerlich machen. “

Jürgen Metkemeyer,

ChR „Pforzheimer Zeitung“:

„Es fördert nicht das Politik-Interesse. Das ist Klamauk, zur rechten Zeit für Kerkelings Geschäft inszeniert. Die „Pforzheimer Zeitung“ wird daraus keine neue Formen für Poli- tkvermittlung entwickeln. Auf die Realität gemünzt bestätigt Schlämmer den aktuellen Trend, kleine Parteien wählen zu wollen, die nicht regierungsfähig sind.“

Christian Lindner,

ChR „Rhein-Zeitung“

„Schadet der Politik. Fördert das Verkennen von Politik und Politikern, schürt herablassende Haltung, mehrt die Haltung, sich von Politik auch aus Bequemlichkeit fernzuhalten. Show wollen wir nicht mitmachen. Wir versuchen aber, Politik + Wahlkampf nicht nur staatstragend und freudlos daherkommen zu lassen.“

Thomas Satinsky,

ChR „Südkurier“:

„Ja, übers Phänomen Schlämmer zu berichten, das ist ein Genuss. Und es bindet jüngere Leser an die Zeitung. Andererseits macht es auch deutlich, wie beliebig Politik halt ist und wahrgenommen wird.“

Frank Nipkau,

ChR Zeitungsverlag

Waiblingen:

„Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ ist ein mäßig lustiger Film mit einer wirkungsvollen Marketingkampagne. Das sich hier Journalisten einspannen lassen, zeigt nur die mangelnde Distanz vieler Kollegen in der Zeitungsbranche zu PR-Kampagnen.

Die Fernsehmacher:

Kai Gniffke,

ChR ARD-Aktuell:

„Man kann uns wirklich nicht nachsagen, dass wir humorlos sind, aber nach unserer Nachrichtenauffassung hat die Kunstfigur Schlämmer in einer seriösen Nachrichtensendung nichts verloren. Auch wenn wir alle unter dem doch sehr lauen Wahlkampf leiden, werden wir nicht der Versuchung erliegen, unsere Berichterstattung durch eine Ulkfigur aufzupeppen. Das wäre dann Infotainement pur. Vielleicht liegt das ja im Interesse des einen oder anderen Wahlkämpfers. Dagegen helfen nur die Urtugenden eines jeden Journalisten: fundierte Recherche und kritische Nachfrage. Nur so lässt sich Show durch Substanz im Wahlkampf ersetzen.“

Thomas Baumann,

ChR ARD, Koordinator für Politik, Gesellschaft, Kultur: „Die Gefahr des Infotainments ist so groß, wie man ihr zu erliegen droht. Heißt: Wenn Infotainment in einen zweifelhaften Showcharakter abgleiten sollte, dann haben wir es in der Hand, das zu verhindern. Ich vermag bislang aber nicht zu erkennen, dass uns die Parteien im großen Stil eine Show vorzuspielen versuchen. Sonst wäre ja auch kaum erklärbar, dass sich so viele Journalisten über die angebliche Langeweile dieses Wahlkampfs mokieren. Infotainment kann, wenn es gut ist und nicht in billigen Showcharakter abdriftet, richtig gut sein. Unser innovatives Format „Abgeordnet – Der Politiker-Praxistest“ ist der Beweis. Es ist einfach spannend zu sehen, wie Politikerinnen und Politiker reagieren, wenn ihre politischen Vorstellungen im Alltagsleben auf den Prüfstand kommen. Das bringt auf unterhaltsame Weise Erkenntnisgewinn.“

Peter Kloeppel,

ChR RTL:

„Der Wahlkampf und die Kandidaten selber boten zu diesem Zeitpunkt wenig Gesprächsstoff, und da freut sich jeder Journalist, ob politischer Korrespondent oder Feuilletonist, über ein wenig Abwechslung. Das Thema bietet ja auch viel Platz für Besinnung über die mediale Wirkung von fiktionalen und realen Personen, die Vermischung von Wunsch und Wirklichkeit. Mittlerweile haben Film, Schlämmer und die HSP schon wieder Normalmaß angenommen, was allen Betroffenen und Beteiligten wohl auch nur recht ist.. Die Gefahr von Infotainment ist eher gering, wenn ich mir anschaue, was die großen Sender wie ARD, RTL, ZDF und SAT.1 und auch die Nachrichtensender n-tv und n24 an ernsthaften Formaten im Programm haben. Angefangen von einer höheren Schlagzahl bei politischen Talk-Sendungen über Porträts und Reportagen aller Längen bis hin zu Wahlaufrufen und Programmen mit Bürgerbeteiligung.“

Peter Limbourg,

ChR N24 und Moderator der 20-Uhr-Nachrichten von SAT.1

„Nachrichten sollten das ganze Spektrum von Tagesereignissen abbilden. Der Film von Hape Kerkeling gehört damit auch dazu. Ich habe nichts gegen Infotainment – auch das hat seine Berechtigung und viele Menschen erreicht man eben nur, wenn man sie auch unterhält. Das ist immer eine Definitionsfrage: Für manche ist der Dienstwagen von Ulla Schmidt oder das Ackermann-Essen im Kanzleramt schon zu viel. Aber der Wahlkampf findet nicht nur in den Feuilletons statt, sondern auch auf der Straße. Und somit hat der Boulevard seine Berechtigung.“

Linktipp:

TiPP: mm-Special Detaillierte Konzepte, wie Regionalzeitungen die Politik- und Wahlberichters
tattung 2009 angehen, finden Sie unter www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Politik“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Umfrage Annette Milz, Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.