Schreiben für die Freiheit

Im Spätsommer 2007 erhoben sich im südostasiatischen Burma buddhistische Mönche, gingen auf die Straße und demonstrierten gegen überhöhte Preise und gegen eine brutale Militärdiktatur. Internationale Medien berichteten wochenlang – bis das Regime die ohnmächtigen Proteste gewaltsam niederschlug. Dann ebbte das Interesse am Schicksal der Burmesen schnell ab. Als im Mai dieses Jahres die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi aus jahrelangem Hausarrest verhaftet wurde, ging ein halbherziger Aufschrei um die Welt. Anfang August wurde die Ikone der Demokratiebewegung erneut verurteilt und ihr Hausarrest um anderthalb Jahre verlängert. Den internationalen Medien war das lediglich eine kurze Meldung wert.

„Das ist ein generelles Problem“, sagt Kyaw Zaw Moe, stellvertretender Chefredakteur des exil-burmesischen Nachrichtenportals „The Irrawaddy“. „Die meisten Medien sind nur an Neuigkeiten interessiert.“ Ereignisse werden schnell vergessen – wie die gebeutelten Burmesen und ihr Streben nach Demokratie. „The Irrawaddy“ berichtet auch nach der Nachrichtenflut weiter aus dem abgeschotteten Land. Jeden Tag. Aktuell. Ihren Sitz hat die Redaktion in der nordthailändischen Stadt Chiang Mai, nur 100 Kilometer Luftlinie von der burmesischen Grenze entfernt: nahe genug am Heimatland, um intensive Kontakte zu pflegen, weit genug weg, um vor dem Militärregime sicher zu sein.

Objektiv, exklusiv, anerkannt. Durch die geografische Nähe und ein großes Netzwerk an Informanten im Land gehörte „The Irrawaddy“ vor zwei Jahren zu den Ersten, die von den demonstrierenden Mönchen berichteten. „CNN und BBC haben bei uns angerufen und gefragt, was gerade im Land passiert“, sagt Kyaw Zaw. Seit 1993 gibt es „The Irrawaddy“. Anfangs war die Zeitschrift nur ein vierseitiges, kopiertes Heftchen, mittlerweile sind die Online-Portale in Englisch und Burmesisch wichtiger als das monatliche Heft. Die Webseiten werden täglich aktualisiert – während der Mönchsdemonstrationen 2007 wurden sie das sogar stündlich. Seit einigen Wochen beherrscht der anstehende Prozess gegen Aung San Suu Kyi die Berichterstattung. Größtenteils widmet sich die Redaktion aber Themen, die sonst in internationalen Medien nicht auftauchen, wie Zwangsumsiedlungen, die tausenden Flüchtlinge, umstrittene Staudammprojekte, Streitigkeiten zwischen den Rebellenarmeen der verschiedenen Minderheiten, der Opiumhandel oder die engen Wirtschaftsbeziehungen zu China, die dem Regime ein Überleben garantieren.

Informationen stehen dabei im Vordergrund, die Texte sind nüchtern und analytisch, wie sie es in englischsprachigen Publikationen wie „Newsweek“ oder „The Economist“ sind. Das gilt auch für die Zeitschrift, die Hintergrundberichte und Analysen bietet. In der August-Ausgabe geht es unter anderem um die neuen, nuklearen Ambitionen des Militärregimes, das gute Verhältnis zu Nordkorea, um die Chancen des neuen, harten Umgangs der USA mit der Junta und um den langsamen Verfall der ehemaligen Hauptstadt Rangun, nachdem die Generäle ihren Regierungssitz Anfang 2006 in die Retortenstadt Naypyidaw verlegt haben.

Acht Jahre im Gefängnis. Journalismus ist für die Mitarbeiter von „The Irrawaddy“ eine idealistische Angelegenheit. Kyaw Zaw Moe sieht seine Arbeit als Fortsetzung der Zeit als Studentenaktivist. Der 37-Jährige ist ein jungenhafter Mann, der mit Begeisterung von der Kraft des Journalismus spricht, langsam und mit langen Pausen zwischen den Sätzen. Wie die meisten Mitglieder der Redaktion war er 1988 an den Studentenprotesten für Demokratie und freie Wahlen beteiligt. Als das Militärregime den Sieg von Aung San Suu Kyis Partei „National League for Democracy“ (NLD) in den ersten freien Wahlen 1990 nicht anerkannte, wurde Kyaw Zaw, wie viele andere NLD-Anhänger, verhaftet. Acht Jahre saß er im Gefängnis. Danach floh er nach Thailand. Vor neun Jahren fing er als Laufbursche bei „The Irrawaddy“ an. „Früher habe ich demonstriert, jetzt schreibe ich“, sagt Kyaw Zaw, der 2005 Journalismus an der University of California in Berkeley studiert hat. Seine obersten Gebote: Wahrheit, Genauigkeit und Unabhängigkeit.

In Aktivistenkreisen schätzt man vor allem die Unabhängigkeit von „The Irrawaddy“ und empfindet den Nachrichtendienst als professioneller als andere Portale burmesischer Exilanten. Im Gegensatz zum bekannten Radio- und Fernsehsender „The Democratic Voice of Burma“ aus Oslo, der als Oppositionskanal gilt und der burmesischen Exilregierung nahe steht, ist „The Irrawaddy“ objektiver und veröffentlicht auch Nachrichten der anderen Seite. Darum geben sogar ausländische Diplomaten, die sich nicht in oppositionellen Medien äußern würden, „The Irrawaddy“ Interviews. Die Redaktion kann auf ein umfangreiches internationales Netzwerk zurückgreifen: Regierungen in Europa und den USA, Nichtregierungsorganisationen (NRO), Journalisten. Finanziert wird das Projekt durch Spenden von NROs und europäischen Regierungen. Ohne Mitspracherecht. „Wenn jemand darauf besteht, mitzureden, nehmen wir das Geld nicht“, beteuert Kyaw Zaw. Journalistische Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, darauf hat Chefredakteur Aung Zaw von Anfang an Wert gelegt. „Wir sind allen Seiten gegenüber kritisch“, sagt Kyaw Zaw. Das geht sogar so weit, dass die Redaktion auch Kontroversen zwischen burmesischen Exilgruppen recherchiert und sich auf diese Weise nicht nur Freunde macht. „Wir erlegen uns keine Selbstzensur auf, auch nicht, wenn es um Aung San Suu Kyi geht.“

Gefährlicher News-Schmuggel. Rund 160.000 Besucher pro Monat hat die englische Webseite, 170.000 die burmesische. Letztere richtet sich an Burmesen im In- und Ausland. „Die Leser des englischen Portals sind Politiker, Diplomaten, Aktivisten, Mitarbeiter von NROs, Studenten und normale Leute, die sich für Burma interessieren“, sagt Kyaw Zaw.

Es ist ein kleines Team, das die Welt mit Neuigkeiten aus dem abgeschotteten Land versorgt: Acht Reporter und drei Redakteure arbeiten in einem Großraumbüro im Zentrum von Chiang Mai. Fünf Korrespondenten schreiben trotz großer Gefahren regelmäßig aus Burma für sie. Ihre Artikel verschicken sie per E-Mail. Dank eines ausgedehnten Untergrundnetzwerkes, zu dem Internet-Café-Besitzer und Computerfachleute gehörten, kämen Informationen immer durch, sagt Kyaw Zaw, obwohl die Regierung Internet-Cafés kontrolliere. „Wenn sie die Internet-Cafés allerdings völlig schließen, haben wir große Schwierigkeiten, aktuelle Informationen zu erhalten.“ Dann würden mehr Mobiltelefone zum Einsatz kommen. Die sind in der Redaktionsarbeit ohnehin ein unerlässliches Hilfsmittel, um Informationen zu bekommen und Interviews zu führen. „Im Extremfall gelangen Informationen auch mit persönlichen Kurieren aus dem Land“, sagt Kyaw Zaw.

Schutz durch Neue Medien. Die kurzzeitige, intensive Berichterstattung der internationalen Medien über die Proteste der Mönche, empfand er als „rundum positiv“ und im Sinne der Mönche. „Führende Mönche haben uns kontaktiert, um das, was sie machen, nach außen zu bringen“, erzählt er. „Sie wussten, dass das Militär ohne das große Medienecho härter reagieren und wie 1988 Tausende töten würde.“ Damals drangen keine Nachrichten nach außen, 19 Jahre später sah die ganze Welt zu – dank Kamerahandys und Internet. Die breite internationale Berichterstattung hat sich außerdem positiv auf die Arbeit der Redaktion ausgewirkt. „Wir haben seitdem mehr Leser“, sagt Kyaw Zaw. „Und ich habe das Gefühl, dass viele Burmesen jetzt besser über Journalisten denken. Mehr Menschen helfen uns – aus allen Schichten der burmesischen Gesellschaft.“ Es ist eine Hilfe auf dem Weg zu einem „transparenten, offenen und demokratischen Burma“ – dem eigentlichen Ziel von Kyaw Zaw Moe und den anderen Journalisten von &#x
84;The Irrawaddy“.

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 48 bis 49 Autor/en: Katja Hanke. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.