Wahrheit oder Dichtung

Der polnische Journalist und Autor Ryszard Kapuscinski genießt in Deutschland unter Journalisten Kultstatus, und viele Kollegen nennen seinen Namen, wenn sie nach einem Vorbild befragt werden. Auch ich habe seine Reportagen und Berichte aus der Dritten Welt und Krisengebieten immer mit großer Begeisterung gelesen. Aber nach einer Recherche in Zentralamerika zum Krieg zwischen El Salvador und Honduras anlässlich eines Fußballspiels vor 40 Jahren bin ich mir nicht mehr so sicher, wie sehr Kapuscinski Wahrheit und Dichtung vermischt hat. Kapuscinski ist praktisch der einzige Autor, der zu dem Konflikt von 1969 geschrieben hat. Er selbst hat ihn „Fußball-Krieg“ getauft und damit so etwas wie eine Marke geschaffen. Bei den Recherchen zu meiner Geschichte vor Ort ist mir aufgefallen, dass sein Essay Ungenauigkeiten und Fehler enthält, die sich bis heute in unzähligen Seminararbeiten und Artikeln über den Krieg reproduzieren. Das flagranteste Beispiel ist das des Mädchens Amelia Bolaños, die sich angeblich mit der Pistole ihres Vaters das Leben nahm, nachdem Salvador das erste Spiel verloren hatte. Kapuscinski schreibt von einem Begräbnis, an der Präsident und Nationalmannschaft teilnahmen und das im Fernsehen übertragen wurde. In Salvador erinnert sich kein Spieler und sonstiger Zeitzeuge von damals an diese Beerdigung. In ganz El Salvador starb in dem fraglichen Zeitraum keine Amelia Bolaños. Und die Zeitung „El Nacional“, die der Autor im Zusammenhang zitiert, war bereits Jahre vor dem Fußballkrieg eingegangen.

http://11freunde.de/geschichtsstunde/121421

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Dr Klaus Ehringfeld, San Salvador. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.