Mitten im Labor

Am Anfang war es ganz furchtbar“, erinnert sich Jan Rost. Dabei hatte der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden alles so gut vorbereitet: Eine Bewerbung in der „Zeit“ hatte freie Journalisten aufgefordert, sich als für ein „Dresden Fellowship“ zu bewerben – drei Monate Aufenthalt in den drei Max-Planck-Instituten in Dresden, mit 5.000 Euro im Monat gut bezahlt, freie Themenwahl, eigener Büroplatz. „Mir schwebte das Modell ‚Stadtschreiber‘vor: Wir wollten jemanden einladen, sich auf unsere Arbeit als theoretische Physiker einzulassen, die Atmosphäre hier am Institut zu spüren. Jemanden, der neugierig ist herauszufinden, woran wir Spaß haben und was wir acht Stunden am Tag tun“, sagt Rost.

Doch als die Journalistin dann tatsächlich da war, wurde alles ganz anders: Die Autorin fahndete nach Geschichten, nach Themen, die sie in Redaktionen loswerden würde – und geriet prompt mit den Forschern aneinander. „Es gab Wissenschaftler, die meine Suche nach spannenden Themen, die ich verkaufen könnte, als „Kommerz“ ablehnten. Sie fanden das oberflächlich. Wichtiger war es ihnen, ihre tägliche Arbeit in einem Film dargestellt zu sehen“, erzählt Petra Dahl, die Journalistin, die als freie Fernsehautorin für Sendungen wie „Nano“ arbeitet, aber auch Imagefilme für die Max-Planck-Gesellschaft macht.

Ein typischer Streit zwischen Forschern und Journalisten: Der wissenschaftliche Alltag, oft unspektakulär und langwierig, prallt auf die journalistische Gier nach steilen Thesen und Nutzwert für Leser und Zuschauer. Um diesen Konflikt zu entschärfen, bieten verschiedene Forschungseinrichtungen Programme für Journalisten an, um diesen einen tieferen Einblick in die jeweiligen Arbeitsgebiete zu ermöglichen. Auch das „Dresden Fellowship“, das 2007 zum ersten Mal ausgeschrieben war, gehört dazu. „Wir wollen die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Journalisten verbessern“ ist die Standardantwort der Programmverantwortlichen auf die Frage nach den Zielen. Der Weg dahin sieht jedoch bei jedem Programm anders aus – und damit auch die Möglichkeiten, die sich Journalisten bietet.

„Selbst erleben“ ist das Motto bei der „European Initiative for Communicators of Science“ (EICOS), dem ältesten dieser Programme im deutschsprachigen Raum. Seit 1993 werden jährlich zwölf Journalisten aus ganz Europa an ein Institut der Max-Planck-Gesellschaft eingeladen, um dort in einer Art Labor-Crashkurs unter Anleitung von Wissenschaftlern selbst naturwissenschaftlich zu experimentieren. Anschließend können sie bis zu zwei Wochen in einer der großen europäischen Forschungseinrichtungen verbringen. Den Anstoß für diese Initative gab die kritische Berichterstattung über Gentechnik Anfang der 90er-Jahre. „Die Wissenschaftler fanden sich in dieser Berichterstattung nicht wieder, sie entdeckten Fehler in den Artikeln und hatten den Eindruck, dass die Forschung nicht richtig verstanden worden war“, sagt Reinhard Jahn, Neurobiologe und Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, das Eicos seit 1999 ausrichtet. Die Hoffnung der Forscher: Wenn die Journalisten selbst unmittelbar erleben, wie wissenschaftliche Arbeit funktioniert und wie Wissenschaftler denken, wenn sie möglichst objektiv über die Forschung informiert werden, dann zeigen auch ihre Berichte mehr Verständnis.

Eine besonders subtile Form der PR? „Den Eindruck hatte ich nicht. Mir war klar, dass wir die Arbeit in der Wissenschaft kennenlernen sollten, verstehen, wie die Abläufe funktionieren. Es wurde nicht erwartet, dass ich darüber berichte“, sagt Rainer Klüting, Wissenschaftsredakteur bei der „Stuttgarter Zeitung“, der 2007 als „Fellow“ dabei war. Für ihn sei das Eicos-Programm eine Art Fortbildung gewesen, der erweiterte Wissenshintergrund helfe ihm oft, Meldungen besser einschätzen zu können – ohne dass sich seine praktische, tägliche Arbeit dadurch entscheidend verändert habe.

Eine Evaluation des Programms ergab 1998 Ähnliches: Die Einstellung zur Forschung, insbesondere zur Genforschung, änderte sich bei der Mehrzahl der Teilnehmer nicht, ebensowenig die Auswahl der Themen. Allerdings zeigte die Studie auch: Etliche der am Programm teilnehmenden Journalisten wechselten während der Labor-Woche ihre Rolle: Sie sahen sich eher als Wissenschaftler denn als Journalisten. Und je mehr sie sich in die Wissenschaftlerrolle einfinden, um so mehr sinke ihre Kritikfähigkeit, so die Untersuchung.

Diese Rollenfrage sei im Wissenschaftsjournalismus ein großes Problem, meint Franco Zotta, Projektleiter der Initative Wissenschaftsjournalismus an der Universität Dortmund, einem Qualifizierungsprogramm für Wissenschaftsjournalisten, das von Robert Bosch-Stiftung, Stifterverband und BASF getragen wird. Zwar rät er von Programmen wie Eicos nicht ab, empfiehlt aber, die journalistische Sicht auf die Dinge während solcher Programms nicht abzulegen. „Wissenschaft und Journalismus folgen unterschiedlichen Logiken“, so Zotta: Man könne entweder Wissenschaftler oder Journalist sein, aber nicht beides gleichzeitig. „Journalisten, die sich als Sprachrohr der Wissenschaft sehen, denken nicht mehr journalistisch, also kritisch und mit einem wachsamen Auge darauf, ob sie sich von bestimmten Interessen instrumentalisieren lassen“, warnt Zotta.

Programme, die Journalisten wissenschaftliches Denken vermitteln wollen, seien vor diesem Hintergrund nur begrenzt sinnvoll: „Die Vorstellung, man könne Verständigungsprobleme primär durch Kommunikation und Kennenlernen lösen, ist ein Mythos.“ Alleine schon Verständnis dafür zu gewinnen, dass die andere Seite völlig anders funktioniere, sei bereits ein hehres Ziel, so Zotta.

Möglichkeit zur Recherche. Dieses Ziel zur Verständigung verfolgt das „Journalist in Residence“-Programm von Volkswagenstiftung und dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Hier betrachtet man die Journalisten nicht als Lernende, denen man die Arbeit der Wissenschaftler nahebringen will, sondern Ziel ist es eher, den Teilnehmern eine tief gehende Recherche zu einem selbstgewählten Thema zu ermöglichen – länger und intensiver, als dies im normalen Arbeitsalltag möglich ist. Bis zu drei Monate lang können sie dafür Bibliotheken nutzen, an Kolloquien teilnehmen und mit Wissenschaftlern diskutieren – die Journalisten entscheiden selbst, wie sie ihr Thema angehen. Zentraler Bestandteil des Programms sind umgekehrt aber auch Kurse, in denen die Journalisten den Wissenschaftlern erläutern, wie der Medienbetrieb funktioniert.

Eine solche Herangehensweise liege in den Sozialwissenschaften wahrscheinlich näher als in den Naturwissenschaften, vermutet Ralf Grötker, der als freier Journalist in Berlin arbeitet: „In den Sozialwissenschaften berichtet man ja ohnehin weniger über einzelne Forschungsergebnisse, sondern die wissenschaftlichen Fragen sind in breitere Themen in der Politik- oder Wirtschaftsberichterstattung eingebunden.“

Gespräch statt O-Ton. Während im normalen Redaktionsalltag gerade bei tagesaktuellen Medien allerdings oft nur Zeit ist, einen kurzen O-Ton einzuholen, soll das Stipendium die Möglichkeit geben, intensiver mit den Forschern ins Gespräch zu kommen. Ein Stück weit könne so das Misstrauen der Wissenschaftler gegenüber Journalisten wohl abgebaut werden, sagt Grötker.

Vielleicht sind es nämlich gar nicht die Journalisten, die ihre Sicht auf die Wissenschaft ändern müssen – sondern die Wissenschaftler, die ihr Bild vom Journalismus verändern müssen, meint Franco Zotta von der Initative Wissenschaftsjournalismus: „Viele Wissenschaftler messen journalistische Produkte immer noch an ihren eigenen Maßstäben und halten einen Artikel für schlecht, wenn er sich anders liest und andere Fragen stellt als eine Fachveröffentlich
ung. Wenn der Artikel dann noch komplexe Zusammenhänge vereinfacht oder Positionen prägnant zuspitzt, bedingt das oft eine Generalkritik der Wissenschaft am Journalismus“, sagt Zotta, der unter dem Dach der Initiative ein eigenes Stipendien-Programm für Wissenschaftsjournalisten entwickelt hat. Einige Probleme zwischen Wissenschaftlern und Journalisten ließen sich aber auch mit noch so viel Programmen nicht lösen – weil beide Bereiche nun einmal ganz unterschiedliche Ziele verfolgten, warnt Zotta vor zu viel Verständigungs-Optimismus.

In Dresden haben die Max-Planck-Forscher und die Journalistin Petra Dahl ihren Konflikt am Ende beigelegt. Die Autorin gelangte während ihres Aufenthalts am Institut zu neuen Erkenntnissen. „Ich habe während der Zeit realisiert, dass ich nicht mehr nur in den medialen Verwertungskriterien denken möchte, sondern dass es mir wichtiger ist, die wissenschaftliche Arbeit der Öffentlichkeit näher zu bringen und um Unterstützung zu werben. Letztlich habe ich gemerkt, dass ich mich stärker der Wissenschafts-PR widmen möchte als dem Journalismus.“ Die Wissenschaftler waren von dem Film, den Petra Dahl während ihrer Zeit in Dresden drehte, am Ende so begeistert, dass sie ihn auf die Website ihres Instituts stellen wollen.

Service:

Eine Liste mit Infos über die (bezahlten) Wissenschaftspraktika & Kontakten zu den genannten Wissenschaftseinrichtungen finden Sie unter www.mediummagazin.de

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Linktipp:

Am 16.11. endet die Bewerbungsfrist für das Programm „Journalist in Residence“.

www.mpifg.de/service/pressestelle/jir_de.asp

Erschienen in Ausgabe 10+11/2009 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 66 bis 67 Autor/en: Eva-Maria Schnurr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.