Stimmt’s?

1. Stimmt‘s, dass journalistische Freunde dem großen „Spiegel“-Reporter Jürgen Leinemann ihre Stimme leihen?

Wer Mitte September an der Präsentation des Buches „Das Leben ist der Ernstfall“ teilgenommen hat, erlebte einen zwar körperlich geschwächten Jürgen Leinemann. In Sachen Schlagfertigkeit, Humor und intellektueller Brillanz überragte der ehemalige „Spiegel“-Reporter und –Büroleiter so manchen der Anwesenden. Wer es nicht wusste, nahm die Sprachkanüle, der Leinemann nach einer Operation verdankt, überhaupt reden zu können, nicht einmal wahr. Man sah und hörte aber die Anstrengung, die ihm das Sprechen bereitet.

Eine Lesereise, das versteht sich von selbst, könnte Leinemann wegen der Folgen seiner Krebserkrankung nicht absolvieren. Michael Jürgs hatte die Idee: Wir leihen Leinemann unsere Stimme. Er startete einen Rundruf bei Freunden, Weggefährten und Bewunderern Leinemanns, ob sie bereit wären, im Rahmen einer Veranstaltung, die der Verlag Hoffmann & Campe organisiert, ein paar Minuten aus Leinemanns neuem Buch, aber auch aus früheren Arbeiten zu lesen.

Bereit erklärt haben sich Stefan Aust, Jakob Augstein, Wibke Bruhns, Birgit Lahann, Cordt Schnibben, Hans Leyendecker, Manfred Bissinger, Erich Follath, Gerhard Krug, Michael Naumann, Giovanni di Lorenzo und Stephan-Andreas Casdorff. Offensichtlich gibt es doch noch so etwas wie Solidarität unter Journalisten, Hochachtung vor einem so großen Kollegen und ein Bewusstsein für die Wurzeln des Berufs und diejenigen, die ihn zu einem achtenswerten gemacht haben.

2. Stimmt‘s, dass Bernd Buchholz und Dieter von Holtzbrinck über gemeinsame Projekte sprechen?

Im Interview mit Bernd Buchholz wollte der „Spiegel“ (Nr. 39/09) wissen, ob es in den Gesprächen, die der Vorstandschef von Gruner + Jahr mit Dieter von Holtzbrinck geführt haben soll, um eine gemeinsame Zukunft gegangen sei. Buchholz antwortete, in einer solchen Krise spreche jeder mit jedem, über alle Richtungen, Verlag, Vertrieb, Redaktion. Seither rätselt die Branche, was Buchholz mit dem Verleger von „Wirtschaftswoche“ und „Handelsblatt“ aushecken könnte.

Fakt ist: Die beiden kennen sich gar nicht. Sie haben auch noch nie miteinander geredet, sagen jene, die es wissen müssten. Auch Michael Grabner – Dieter von Holtzbrincks Vertrauensmann – und Buchholz kennen sich nur von gemeinsamen Auftritten bei irgendwelchen Podiumsdiskussionen. Es gibt also weder Gespräche noch gemeinsame Projekte. Vielleicht hat da jemand die beiden Halbbrüder Die- ter und Stefan verwechselt. Stefan von Holtzbrincks Vertrauensmann Jochen Gutbrod und Buchholz kennen sich zumindest, und tatsächlich sprachen sie darüber, ob G+J ein Kaufinteresse an den Wirtschaftstiteln hat. Bekanntlich hat Stefan von Holtzbrinck die Verlagsgruppe Handelsblatt doch lieber seinem Halbbruder Dieter zurückgegeben.

3. Stimmt‘s,dass die Zeitungsverleger die Höhe ihrer Online-Umsätze lieber verschweigen?

Jahr für Jahr erhebt der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger die Online-Umsätze, die die Zeitungen erwirtschaften. Veröffentlicht werden die Zahlen nicht. Wieso das? „Die Ergebnisse sind leider noch so marginal, dass eine separate Ausweisung nicht sinnvoll ist“, bestätigt Hans-Joachim Fuhrmann. Dazu, wie marginal sie sind, mag der BDZV-Mann nur so viel verraten: Sie liegen prozentual im „niedrigen einstelligen Bereich“, bei überregionalen Zeitungen etwas höher, bei regionalen etwas niedriger.

Fragt man jene, die die Daten kennen, erfährt man: Überregionale erwirtschaften online gerade einmal drei bis fünf Prozent ihres Gesamtumsatzes, regionale Zeitungen im Durchschnitt 1,5 bis 2,5 Prozent. Bei nicht wenigen liegt der Anteil sogar unter einem Prozent. Von einem Geschäftsmodell kann im Online-Geschäft noch lange keine Rede sein.

Zur Orientierung: Nach Angaben des BDZV erwirtschafteten die 352 Tageszeitungen im vergangenen Jahr einen Gesamtumsatz von rund 8,5 Milliarden Euro.

4. Stimmt‘s, dass die Verlage Print aufgegeben haben?

Diesen Eindruck vermittelt das Programm der Münchner Medientage (28.-30. Oktober). Wie jedes Jahr ist es genrespezifisch unterteilt in Bereiche wie Werbung, Internet, Fernsehen, Produktion, Hörfunk und eben auch Print. In Sachen Internet gibt es Veranstaltungen zu Themen wie Social Communities, bei Fernsehen geht es unter anderem um Unterhaltungstrends, bei Produktion um Serien, im Hörfunk um den kleinteiligen Radiomarkt – und worum geht es bei den Panels, die sich mit Print beschäftigen sollen? Um Zeitschriftenmarken und das Internet, um mobile Mehrwertdienste, die Öffentlich-Rechtlichen als Kooperationspartner, E-Books, Network Publishing, Communities und die Auswirkungen der Krise. Eine Auswirkung steht nach Lektüre dieses Programms fest: Selbstbewusstsein besitzt Print keines mehr. Zumindest jene, die das Programm zusammengestellt haben, scheinen Print nicht mehr zuzutrauen, aus eigener Kraft Neues auf die Beine stellen und sich, in welcher Form auch immer, aus sich heraus erneuern zu können. Ein Panel über neue Formen der Zielgruppenansprache mit Gedrucktem? Neue Konzepte, Formate, Geschäftsfelder, Organisations- oder Vermarktungsformen? Fehlanzeige! Da muss man sich nicht mehr wundern, dass es so ist, wie es ist.

5. Stimmt‘s, dass Gabriele Fischer zehn Jahre nach Gründung von „Brand Eins“ froh ist, dass der Spiegel-Verlag ihrem Projekt keine Chance gegeben hat?

Kürzlich wurde Gabriele Fischer von der Vergangenheit eingeholt. Als feststand, dass Redaktion und Verlag von „Brand Eins“ ihr Quartier in der Schauenburger Straße in Hamburg verlassen müssen, schaute sie sich alternative Räumlichkeiten an. Unter anderem jene, in denen einmal die Hamburger Grüne Alternative Liste ein Büro unterhielt. Die Anschrift: Speersort 1 – das Pressehaus, in dem auch Verlag und Redaktion der „Zeit“ sitzen. Als Gabriele Fischer im zweiten Obergeschoss die Tür öffnete und den Teppichboden sah, überkamen sie Erinnerungen. Es war dasselbe Haus, dasselbe Stockwerk und derselbe Teppichboden, den sie aus ihrer Anfangszeit als junge Redakteurin des „Manager Magazins“ kannte. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen. Jetzt sitzt Fischer mitsamt Redaktion und Verlag erneut in diesen Räumen – mit einem Unterschied: Das Magazin ist ihr eigenes. Natürlich musste vor dem Umzug als Erstes der Teppich raus. Er wurde ersetzt durch eleganten Steinfußboden.

Wie es Gabriele Fischer nach zehn Jahren als Gründungschefredakteurin von „Brand Eins“ geht? Ohne die Tiefschläge der Vergangenheit wäre sie nie auf die Idee gekommen, hätte sich womöglich gar nicht getraut, sich selbstständig zu machen. Und ohne das zweimalige Ende von „Econy“ (erst beim Spiegel-Verlag, dann bei der VF Mediengruppe in Mainz) gäbe es „Brand Eins“ heute nicht und würde am Kiosk nicht fast genau so viel verkaufen (27588 IVW II/09 ) wie das Traditionsblatt „Manager Magazin“ (27699) – das mit sieben Euro sogar 60 Cent günstiger ist als „Brand Eins“.

6. Stimmt‘s, dass Verleger Dirk Ippen die „Abendzeitung“ lieber heute als morgen kaufen würde?

„Ja“, sagt Dirk Ippen, „interessiert sind wir am Kauf der „Abendzeitung“ – unser Interesse ist aber ein theoretisches“. Es ist nicht lange her, als seine Anwälte mal wieder die kartellrechtlichen Möglichkeiten ausgelotet und prompt vom Kartellamt eine Abfuhr erteilt bekommen haben.

Ippens „tz“ und Anneliese Friedmanns „Abendzeitung“ sind direkte Konkurrenten auf demselben Markt. Im Einzelverkauf liegt die „tz“ mit mehr als 92.000 Exemplaren weit vor der „AZ“ (52.000). Was die „Abendzeitung“ falsch macht? Ippen schmunzelt und gibt zwei Beispiele: Am Tag nach der Eröffnung des Münchner Oktoberfests titelte die „tz“: „Wiesnstart 200
9: Gemütlich wie lange nicht mehr“; die „Abendzeitung“: „Wiesn brutal wie nie – Fast 800 Verletzte am ersten Tag. Polizei nimmt 60 Diebe und Schläger fest.“ Beide melden auf den Seiten 1 dieses Tages den Tod von Eduard Zimmermann. Bei der „Abendzeitung“ lautete die Zeile „TV-Legende (80) stirbt in Münchner Altenheim“; die „tz“ zitiert Zimmermanns Nachfolger Rudi Cerne mit einem leisen „Servus“.

Sag da noch einer, in Bayern gebe es nur eine Sicht der Dinge.

Erschienen in Ausgabe 10+11/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 14 bis 15 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.