BGH gibt Saarbrücker Zeitung recht

Mehrere Zeitungen druckten das Interview eines freien Journalisten: die „Saarbrücker Zeitung“ (SZ), die WAZ, die „Mittelbayerische“, die „Main-Post“ etc.. Im Prozess kam das nicht zur Sprache – „Focus“-Chef Helmut Markwort hat nur die „SZ“ verklagt. Jetzt ist er vorm Bundesgerichtshof (BGH) abgeblitzt. „Heute wird offen gelogen“ stand über dem Interview in der „SZ“. Anlass war ein gemeinsamer Bühnenauftritt des Autors und Kabarettisten Roger Willemsen und Dieter Hildebrandt mit dem Titel „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Die Weltgeschichte der Lüge“. Im Gespräch sagte Willemsen auf die Frage nach neuen Lügen: „Das Focus-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in, Bunte‘ erschienen.“ Markwort hatte aber gar kein Interview mit Jünger geführt, der „Bunte“-Text war auch nur stellenweise in „Focus“ erschienen. Markwort sah sein Ansehen beschädigt und klagte. Nicht gegen Willemsen, nur gegen die „SZ“.

Zunächst mit Erfolg. In einem ersten Urteil gab das Landgericht Hamburg im Februar 2008 dem Kläger recht – mit der Begründung, generell sei nicht ausreichend, dass eine Zeitung zu den Äußerungen des Interviewten nur dadurch Distanz hält, dass sie sich die Äußerungen nicht “zu eigen” macht (in diesem Punkt habe die “Saarbrücker Zeitung” sich korrekt verhalten). Vielmehr sei eine zusätzlich inhaltliche Distanzierung erforderlich, indem der Journalist kritische redaktionelle Anmerkungen macht. Das kommentierte Presserechtlerin Dorothee Bölke in mm 6/2008 (http://bit.ly/7boKSn) bereits als höchst „fragwürdig“ und verwies auf den Satire-Charakter, der von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, somit nicht justiziabel sei.

Die „SZ“ ging damals in die 2. Instanz. Doch das Hanseatische Oberlandesgericht gab erneut dem Kläger recht – allerdings mit einer anderen Begründung: Die „SZ“ habe die Behauptung Willemsens nicht nur verbreitet, „sondern sie sich in einer Weise zu eigen gemacht, dass sie ihr als eigene Behauptung zuzurechnen ist“. Von der vom Landgericht geforderten Distanzierung war in diesem Urteil nicht die Rede. Eine Revision ließen die OLG-Richter nicht zu. Die „SZ“ musste sich diese durch eine Beschwerde beim BGH erkämpfen. Der Fall sorgte für Aufregung. Befürchtet wurde, ein für die Zeitung ungünstiger Ausgang in letzter Instanz könnte eine rechtliche Einschränkung künftiger Interviews bedeuten.

Der BGH stuft die Willemsen-Äußerungen dagegen nicht als Tatsachenbehauptungen ein. Es handele sich um eine „nicht gegen den Kläger persönlich gerichtete Meinungsäußerung mit einem wahren Tatsachenkern. Die Aussage ‚Heute wird offen gelogen’ richtet sich gegen die Berichterstattung im Magazin „Focus“, für die der Kläger als Chefredakteur verantwortlich war.“ Sie gebe die Meinung Willemsens über die mangelnde Wahrheitsliebe in den Medien wieder. „Zwar wird der Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht tangiert, doch überwiegt das von Roger Willemsen verfolgte Interesse der Öffentlichkeit an der Wahrheit und Seriosität der Medienarbeit.“ (Aktenzeichen VI ZR 226/08)

„Es ist ein Urteil von grundsätzlicher Bedeutung, wenn nun die Publikation unwahrer oder rufschädigender Behauptungen dann nicht mehr unter die Haftung der Presse fällt, wenn sie mit einer Meinungsäußerung verbunden sind“, ärgert sich Helmut Markwort. Bernard Bernarding, stellvertretender Chefredakteur der „Saarbrücker Zeitung“, der das Verfahren mutig bis nach Karlsruhe geboxt hat: „Das BGH-Urteil ist auch eine Ohrfeige für die Hamburger Gerichte, die das Presserecht gern eng auslegen.“ Chefredakteur Peter Stefan Herbst ironisiert: „Wir haben den Prozess auch für die „Focus“-Redakteure gewonnen. Damit auch sie in Zukunft gute Interviews führen können und diese auch gedruckt werden können.“ Jochen Reiss

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 10 bis 10. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.