Selbst gedreht

Was wollte ich mehr? Ende der 90er war ich endlich beim Fernsehen, hatte einen geregelten Acht-Stunden-Tag und das bei angemessener Bezahlung. Doch bald war mir diese Art des Fernsehmachens zu wenig: Neben der rein journalistischen Arbeit reizte mich besonders die Technik, also die Herstellung von Fernsehen. Ich wollte nicht untätig daneben stehen, wenn der Kameramann „meine“ Bilder drehte. Da passte es, dass gerade erste kompakte Kameras in guter MiniDV-Qualität auf den Markt gekommen waren. Und weil der Steuerberater Investitionen empfahl, kaufte ich mir eine Canon XM2.

Es war der Startschuss für meine Arbeit als Videojournalist. Videojournalisten (VJs) drehen, schneiden und vertonen ihre Beiträge alleine, sind also nicht nur Journalisten oder Reporter, sondern auch Kameramann und Cutter. In Zukunft wollte ich das alles selbst machen. Ganz so schnell ging es dann aber doch nicht. Schritt für Schritt lernte ich erst einmal die Kamera kennen. Sie wurde mein ständiger Begleiter. Stadtansichten, Freunde – alles wurde gefilmt. Drei Monate später drehte ich erste Bilder für einen Beitrag, Monate darauf das erste Interview, dann kam der erste komplett selbst gedrehte Beitrag. Ich hatte das Glück, mit dem Nachrichtensender „n-tv“ einen Partner und Kunden zugleich zu haben. Neuen Techniken und alternativen Produktionsformen stand man beim Sender offen gegenüber – eine entscheidende Voraussetzung. Tricks beim Drehen hatte ich Kameraleuten abgeschaut oder mir angelesen. An den Schnitt war allerdings noch nicht zu denken. Denn damals gab es nur teure Avid-Systeme, und deren Anschaffung wäre selbst für mich ein Schritt zu weit gewesen.

Also drehte ich meine Stücke zwar selbst, schnitt sie aber traditionell mit einem Cutter. Das änderte sich auch nicht, als ich Anfang 2001 als freier Korrespondent nach Madrid ging. Ich hatte keine Abnahmegarantien, wenigstens aber – rechtzeitig vor dem Umzug – das Interesse eines zweiten Senders geweckt. Ein halbes Jahr gab ich mir Zeit, um das Projekt „Freier Video-Journalist als Auslandskorrespondent“ erfolgreich umzusetzen.

Anfangs war es Stress pur. Ein fremdes Land, dazu eine Produktionsfirma, bei der fast jeder Schnitt Probleme verursachte und schließlich die eigene Technik, die noch immer nicht perfekt war. Schnell war mir klar: Ich wollte nun wirklich alles selbst machen – auch das Schneiden. Zwar konnte ich auch in Spanien Kamerateam und Schnittplatz mieten, dann wäre am Ende aber nicht mehr genug Geld übrig geblieben. Selbst drehen, schneiden, texten – dahinter stand somit nicht allein der Spaß am Fernsehmachen, es war auch die Notwendigkeit, als freier Korrespondent meine Ausgaben zu kontrollieren. Madrid als Standort hatte ich bewusst gewählt, denn dort arbeitete bisher niemand für den Nachrichtensender. Allerdings war und ist Madrid nicht der Nabel der Welt: Die monatlichen Aufträge konnte ich anfangs problemlos an einer Hand abzählen.

Im Gegensatz zu heute gab es damals nur wenige Videojournalisten, mit denen ich mich über die beste Ausstattung und Technik austauschen konnte. Erst durch den Kontakt in meist englischen Internetforen ging es Schritt für Schritt voran. Welches Stativ, welches Licht, welcher Kontrollmonitor – und wie nehme ich den Ton sauber auf? Die richtigen Lösungen fand ich nicht immer auf Anhieb, Fehlkäufe gehörten dazu. Irgendwann war dann aber meine Ausrüstung komplett, ich hatte sogar ein gutes und erschwingliches PC-Schnittsystem gefunden und konnte nun vom Homeoffice aus selbstständig arbeiten. Von da an machte es Spaß.

Als einige Zeit später der Videojournalismus in Deutschland groß aufkam und als Zukunft des Fernsehjournalismus gefeiert wurde, wunderte ich mich dennoch sehr. Denn so einfach ist die Sache nicht. Wer sich für Technik begeistert, ein Auge für Bilder hat, Mühen in Kauf nimmt und vor allem gut ausgebildet wird, der kann mit Kamera und Schnitt arbeiten. Aber es gibt immer Grenzen, Themen und Situationen, in denen man allein nicht weiter kommt. Ich nenne das Videojournalismus 2.0 – vernetztes Arbeiten, denn man sollte stets abwägen, welche Arbeit man allein macht und welche besser nicht. Deshalb nehme ich in einigen Fällen auch einen Kameramann mit oder buche mir einen Cutter – beide arbeiten jedoch mit meiner Ausrüstung.

In der aktuellen Politikberichterstattung zum Beispiel ist ein Videojournalist fehl am Platz: Ein Protagonist, umgeben von einer Traube Journalisten – der Einzelkämpfer ist da chancenlos. Anders jedoch im vergangenen Sommer bei den Waldbränden in Spanien. Sie loderten hunderte Kilometer von Madrid entfernt. Nie wusste man, wie groß sie wirklich sind, ob das Thema wirklich für die Nachrichtenredaktionen relevant ist. Das Risiko, einen Kameramann mitzunehmen, wäre deshalb zu groß gewesen. Also habe ich Kameratasche und Stativ ins Auto gepackt und bin losgefahren. Vor Ort konnte ich zudem problemlos allein arbeiten, da Betroffene und Behördenvertreter gut und exklusiv erreichbar waren.

Inzwischen wurde ich auch schon außerhalb Spaniens eingesetzt: Bei einer Sonderproduktion zum Ende des Israel-Libanon-Krieges machten wir zu dritt (Producerin, Moderator, Videojournalist) eine tägliche 11-Minuten-Zulieferung von Beitrag, Aufsager und Moderation, vor Ort gedreht und geschnitten, überspielt per Internet.

Der freie Videojournalist ist eben im Idealfall sehr flexibel und entsprechend vielfältig einzusetzen. Voraussetzung dafür ist jedoch nicht nur eine gute Ausbildung, man braucht vor allem auch gute Kontakte zu Redaktionen, die die Qualitäten des VJ zu schätzen und zu nutzen wissen. Meine Erfahrung zeigt gerade an diesem Punkt, dass es nur sehr wenige solcher Redaktionen gibt oder dass sie schwer zu finden sind. Das gilt vor allem für die aktuelle Berichterstattung. Anders ist es bei Reportagen und Magazinbeiträgen. Es gibt zahlreiche Formate, von Kultur bis Hightech, die Inhalte zuzukaufen. Dabei kommt es vor allem darauf an, dass die Beiträge handwerklich und inhaltlich gut gemacht sind – ob von einem Videojournalisten oder einem Team, spielt am Ende keine Rolle.

Wie viel man als freier Videojournalisten verdient, hängt somit auch eng damit zusammen, wie und in welchen Bereichen man arbeitet. Zwar steigt der Bedarf nach bewegtem Bild durch Internetportale stetig. Allerdings sind Lokal- und Regionalzeitungen selten bereit, einen angemessenen Preis für Ankäufe zu zahlen. Sie schicken lieber Festangestellte los, um ein paar Videobilder mitzubringen. Die Portale von „Spiegel“ und „Zeit“ zahlen akzeptabel für Zukäufe, drehen vieles aber auch selbst oder nehmen gleich Agenturmaterial. Und selbst beim Fernsehen gibt es unterschiedlichste Modelle für die Abrechnung, die Honorare schwanken sehr. Sowohl bei Zeitungen als auch Fernsehsendern ist gerade für freie Videojournalisten die Gefahr groß, als billige Bilderbeschaffer verheizt zu werden. Wir sitzen da im selben Boot wie die freien Print- oder Radiokollegen: Auf der einen Seite muss man sein Handwerk (technisch und inhaltlich) beherrschen, auf der anderen Seite muss man sich einen Markt, eine Nische suchen. Und man sollte nie nur für eine Redaktion arbeiten, denn Wirtschaftskrisen wird es immer wieder geben. Ich selbst werde im neuen Jahr wieder verstärkt in Deutschland arbeiten, auch aus Überzeugung frei. Die Suche nach weiteren Kunden und neuen Geschäftsmodellen läuft. Ich denke derzeit viel über Kooperationen unter Videojournalisten nach – und kann mir vorstellen, dass da ein Weg in die Zukunft liegt.

Linktipp

www.videojournalismus.net

www.r73.net

www.boehnisch.de/videos

Tipp: In der „medium magazin“-Reihe Journalisten-Werkstatt ist 2008 erschienen: „Videojournalismus“, (Autoren: Jörg Wenzel und Thomas Röhr), 3,10 Euro zzgl. Versandkosten, zu bestellen unter

http://bit.ly/4kOIED.

Serie „Freie Köpfe“:

„mediummagazin“ stellt hier gemeinsam mit Freischreiber e.
V., dem Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten, Projekte und Profile von Freien vor und wie sie sich im Markt behaupten.

Bisher sind erschienen: Das Online-Magazin „16vor“ (mm 4-5/09),

Das Büro „Freizeichen“ (mm 6/09), „Spezialist in der Nische“, Hinrich Neumann (mm 7-8/09), „Audio-Slideshows“, Matthias Eberl (mm 9/09), nachzulesen auch unter

www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 16 bis 16 Autor/en: Markus Böhnisch. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.