Stimmt’s?

1.Stimmt‘s, dass die Redaktion des „Hamburger Abendblatts“ die Euphorie ihres Chefredakteurs Claus Strunz nur schwer erträgt?

Ein Boulevardblatt unterscheidet sich von einer Abonnementzeitung wie, sagen wir, die Bayern von den Hanseaten. Den Redakteuren des „Hamburger Abendblatts“ kommt ihr aus dem Oberfränkischen stammende Chefredakteur Claus Strunz, zuvor in selber Position bei der „Bild am Sonntag“, bisweilen vor wie ein Lautsprecher, aus dem Reden dröhnen, als hätte Guido Westerwelle sie formuliert. Sie passen zum neuen Sound des „Abendblatts“, von dem sich im dritten Quartal weitere 6.500 Abonnenten verabschiedet haben. Insgesamt sank die Auflage um 5,5 Prozent auf 235.178 Exemplare.

Doch von solchen negativen Aspekten ist in den sogenannten „Freitagsmails“, die Strunz an seine Redaktion verschickt, kaum die Rede. Vielmehr tippt der 43-Jährige Jubelmeldungen in die Tasten: über den tollen Newsroom (in dem nur leider keine vertraulichen Telefonate mit Informanten möglich sind); darüber, dass das „Abendblatt“ nunmehr zu den meistzitierten Zeitungen gehört (wie das nicht gerade renommierte Institut Media-Tenor von Roland Schatz herausgefunden haben will); über die erneut gestiegenen Page Impressions und Visits von „abendblatt.de“ (während die Auflage sinkt). Kurzum: Strunz schreibt, dass seine Strategie die richtige, dass seine Arbeit auf ganzer Linie von Erfolg gekrönt ist. Wo Strunz steht, so könnte man meinen, strahlt die Sonne, da ist weit und breit kein Schatten. Ein Umstand, der Hamburgern generell etwas fremd ist.

Einer der Adressaten dieser „Freitagsmails“, ein Journalist aus dem Sportressort, hatte genug von der ewigen Lobhudelei. Er mailte zurück. Von Beschönigen, vom Ausblenden der Realität ist in dieser Antwort die Rede. Couragiert und wohl formuliert erinnert er an die 32 Kollegen, die von heute auf morgen kaltgestellt worden sind. An Strunz schreibt der Journalist, „wenn um Sie herum Menschen einfach verschwänden, weil wichtige Einsparungen gemacht werden müssen“, wenn „Sie selbst als freier Mitarbeiter immer weniger Aufträge bekämen und dementsprechend immer weniger verdienten“, würde er sich da nicht auch fragen: „Was nützen mir die Page Impressions und Visits? Was bedeutet ein gescheites Google-Ranking für das Vorwärtskommen des Verlages, welchen Nutzen habe ich davon, für die meistzitierte Zeitung zu arbeiten?“ Als Redakteur, der die Realität ganz anders wahrnimmt, sitze man dann da und frage sich, „ob bald im Himmel Jahrmarkt sei“. Und wenn es in der nächsten E-Mail stünde, frage man sich, ob man das dann glauben solle.

Der Kollege bekam für seine Reaktion viel Zuspruch aus der Redaktion. Sie kennt die Kritik der Leser. Nicht etwa, heißt es in der Antwortmail weiter, Leser „in Saarbrücken, nicht in Frankfurt, auch nicht in Berlin, sondern in Hamburg.“ Sie würden nämlich erzählen, „dass sie sich nicht mehr für die Zeitung interessierten.“ Dort stünde nämlich alles über die Welt, „aber immer weniger über Hamburg, weil gerade die Dinge, die das, Hamburger Abendblatt‘ zu einer Zeitung der Hamburger gemacht hat, langsam verschwänden oder verschwunden sind.“ Doch dann komme der nächste Freitag, und wieder träfe eine E-Mail ein, „voller Lob und Energie“, man säße da, den Kopf in den Händen vergraben und überlege: „Irgendetwas stimmt hier doch nicht.“

Strunz war schon immer ein guter Verkäufer in eigener Sache. Insofern könnte man vermuten, die wahren Adressaten der „Freitagsmails“ sind weniger die Mitarbeiter als vielmehr jene Entscheider in der Berliner Springer-Zentrale, die – für „Abendblatt“-Redakteure nicht ersichtlich – ebenfalls auf dem Verteiler der „Freitagsmails“ gelistet sind: Vorstandschef Mathias Döpfner etwa. Er konnte die Vorwürfe des Sport-Journalisten an Strunz ebenfalls lesen. Wie aus der Redaktion zu hören ist, fand mittlerweile ein Treffen zwischen Strunz und dem Sportjournalisten statt. Strunz soll seither weniger Superlative in seine „Freitagsmails“ streuen und über ehrlichere Dialogformen mit der Redaktion sinnieren. An seiner Blattstrategie hält er fest.

2.Stimmt‘s, dass SWR-Intendant Peter Boudgoust ein gutes Händchen bei der Auswahl von Laudatoren hat?

Wenn diese Ausgabe des „medium magazin“ erscheint, hat Stefan Niggemeier seinen mit 10.000 Euro dotierten Hans-Bausch-Mediapreis bereits entgegengenommen. Die Verleihung fand am 18. November statt. Eine Begebenheit verdient aber auch noch jetzt erzählt zu werden:

Wochen bevor feststand, dass der Medienjournalist die Auszeichnung erhält, fühlte Intendant Peter Boudgoust, der Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung Hans-Bausch-Mediapreis, bei dem möglichen Preisträger vor. Ob er einverstanden wäre, wenn Kai Diekmann die Laudatio hält? Man kann sich Niggemeiers Reaktion vorstellen. Immerhin wird der Preis für Leistungen und Verdienste vergeben, „die zur Förderung von Kenntnis und Erkenntnis der Medien und eines verantwortlichen Umgangs mit ihnen in einer breiten Öffentlichkeit beitragen.“ Nicht jedem würde da auf Anhieb der Chefredakteur von „Bild“ einfallen. Das wäre doch eine spannende Konstellation gewesen, wenn der „Bild“-Chef das „Bildblog“ gelobt hätte, erst recht, da Diekmann mittlerweile selbst blogge, heißt es beim SWR.

Wer weiß, Diekmann hätte die Aufgabe möglicherweise übernommen – nach allem, was man in jüngster Zeit von ihm liest, hört und sieht, ist ihm das zuzutrauen. Und das, obwohl die Jury ihre Wahl damit begründete, dass Niggemeier „wesentlich zur Etablierung journalistischer Standards im Netz“ beitrage, indem er, egal, ob er für Print oder Online arbeite, Fakten prüfe, gründlich recherchiere, Distanz wahre und die Gegenseite zu Wort kommen lasse. All dies sei „von einem hohen journalistischen Ethos“ getragen. Niggemeier hielt Diekmann nicht für den geeigneten Mann. Ein anderer Laudator musste gefunden werden.

Am Ende fiel die Entscheidung auf Wolfram Weimer, und zwar Wochen vor seiner Berufung an die Spitze von „Focus“. Weimer ist übrigens selbst Träger des Hans-Bausch-Mediapreises. Er bekam ihn 2001, für seine Arbeit als Chefredakteur der „Welt“.

3.Stimmt‘s, dass der Philosoph und Buchautor Richard David Precht Germany’s Next TV-Star ist?

Die Medien lieben Richard David Precht, und Precht liebt die Medien. Liest er aus seinem Buch „Liebe – ein unordentliches Gefühl“, schwärmt der NDR, wie frei, pointiert und witzig er zu reden fähig sei, dass ihm „meisterhaft“ gelinge, „komplexe Gedanken und Konzepte populär zu erläutern und dass man ihm „im wahrsten Sinne des Wortes beim Denken zusehen“ könne. Feiert der WDR den 40. Geburtstag des Schulfernsehens, lädt er natürlich Precht ein, der dann gegen die Verbeamtung von Lehrern wettert und für die Abschaffung der Schulfächer Chemie und Physik zugunsten von projektbezogenem Arbeiten plädiert. Und wer hielt bei den Medientagen in München die Keynote? Precht, wer sonst, und er nutzte die Gelegenheit, sich für Strukturfonds zum Schutz von Qualitätsmedien auszusprechen.

Möglicherweise bekommt Precht bald seine eigene Sendung: im ZDF, jenem Sender, der durch Elke Heidenreichs Empfehlung für „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele“, einen wesentlichen Beitrag zu Prechts Karriere als Shootingstar der Bestsellerautoren leistete. Der Pilot von Gero von Böhm ist seit Sommer gedreht. Doch noch hat das ZDF nicht entschieden, ob der 45-Jährige die Sendung bekommt. Bisweilen heißt es nur, dass man sehr gerne mit ihm zusammenarbeiten würde.

Einst schwärmte der Kölner vom Fernsehen als Medium zur Wissensvermittlung und Quelle der Zerstreuung. An den Kulturmagazinen jedoch, vor allem an ihrem ironisch-süffis
anten Ton, störe er sich, bekannte er, und fügte hinzu: Ihm fehle so etwas wie ein modernes „Wort zum Sonntag“, eine Sendung, die die großen Fragen der Menschheit beantworte.

Die in der Hauptabteilung Kultur unter Leitung von Peter Arens geplante Sendung könnte möglicherweise im Wechsel mit dem zweimonatlichen „Philosophischen Quartett“ von Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski ausgestrahlt werden. Philosophisches, besser Alltagsphilosophisches, vorgetragen von einem jungen, telegenen Precht – das in etwa ist es, was das ZDF erwartet.

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 14 bis 15 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.