Auf Abwegen durch Afrika

Es ist ein Experiment mit zwei Dimensionen: Journalistisch und finanziell. Während die ganze Welt nach News aus den südafrikanischen Stadien lechzt, berichten Kai Schächtele und Christian Frey auf eigene Faust aus Townships, Aussteigernestern und von den Landstraßen Südafrikas.

Die beiden freien Journalisten aus Berlin touren von 4. Juni bis 16. Juli 2010 durchs Land und porträtieren die Gastgeber der Weltmeisterschaft. Sie erzählen nicht nur andere Geschichten als die Kollegen etablierter Medien, sie bedienen sich auch einer jungen Technik: Schächteles Texte werden durch Christian Freys Fotos und kurze Audio- und Videotakes ergänzt. Neben den täglichen Multimedia-Blogposts produzieren die beiden zehn Reportagen als Audioslideshows.

Das Interessante an diesen vertonten Fotoreportagen ist, dass sich die Zuschauer besser auf die Bilder konzentrieren können als im Film und ein umfassenderes Bild von den Protagonisten und der Szene bekommen als in kurzen Texten. Fotos, Videos und Tonspur müssen nicht gleichzeitig aufgenommen werden. Beim lockeren Gespräch am Grill läuft das Aufnahmegerät und die Bilder entstehen im Laufe des Abends. Mit dieser Technik portraitierten Schächtele und Frey auch Zola Williams und seine Familie aus dem Kapstädter Township Delft. Dem schwarzen Südafrikaner bedeutet die WM im eigenen Land viel mehr als der Erfolg seiner Mannschaft.

Die zweite, finanzielle Dimension des Projekts versteckt sich hinter dem bunten „Unterstützer-Button“ Im Header des Blogs. Bis zur WM-Halbzeit haben die Leser rund 850 Euro gespendet. Auch wenn das die Ausgaben des Duos nicht annähernd deckt, ist es ein weiterer Beweis dafür, dass die User sehr wohl bereit sind, gute Arbeit freiwillig zu honorieren. „Man muss in Vorleistung gehen“, beschreibt Schächtele ihr Konzept. Auch wenn sich die Reise nicht direkt auszahlt, so kann der Blog der beiden als Vorzeigeprojekt dienen, aus dem neue Aufträge generiert werden. Und außerdem: „Diese Geschichten machen richtig Spaß!“

In einer Reportage zeigen sie zum Beispiel, wie zwei deutsche Freiwillige eine Facebook-Spendenaktion starteten, um den Kindern und Jugendlichen aus ihrem Bildungsprojekt WM-Tickets zu ersteigern. Durch die Mischung aus Ton, Text und Bild werden die Protagonisten ungewöhnlich lebendig. Frey und Schächtele feilen seit September letzten Jahres, als sie sich das Projekt ausgedacht haben, an Ihrer Technik. Inzwischen sind sie so gut eingespielt, dass sie auch ohne Storyboard und Drehbuch die richtigen Bilder zum Ton und die richtigen Töne zum Bild finden. Die Resonanz auf ihren Blog aus der Medienszene ist laut Schächtele groß und positiv. Doch er bleibt realistisch: Trotz Verbreitung über Google und Facebook sei es noch schwer, die breite Öffentlichkeit ohne Unterstützung etablierter Medien mit einem eigenen Projekt zu erreichen. Gewinn bringt es aber trotzdem: „Die Tour hat uns wieder für den Journalismus motiviert.“

Medium:Online

Christian Frey und Kai Schächtele haben sich für mediummagazin.de gegenseitig über den Verlauf der Tour befragt. Das Interview der beiden, auch zur deutschen WM-Berichterstattung, sowie die zehn Audioslideshows finden Sie auf

www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 10 bis 11 Autor/en: Thomas Strothjohann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.