Das Watchblog der HNA

Was versprechen Sie sich von dem Watchblog in eigener Sache?

Horst Seidenfaden: Das Watchblog ist der Versuch einer neuen Form von Leser-Blatt-Bindung – und zwar im Umfeld einer transparenten selbstkritischen Zeitungsbetrachtung. Gerne hätten wir ein externes Watchblog in unseren Internetauftritt eingebunden. Leider gab es kein Angebot mit ausreichender Relevanz, daher unser eigener Ansatz. Ein Medienhaus ist Teil der „Community“ und kein Weltbilderklärer, das Watchblog ist ein Kommunikationskanal.

Was war das Initial für das Watchblog?

Wir haben nach der Umstellung der Zeitung auf das Prinzip „Lokales vorn“ den engen Dialog mit unseren Lesern gesucht, insgesamt elf Leserbeiräte installiert und etliche Treffen mit ihnen abgehalten. Das Watchblog ist nichts anderes als der Versuch, den Dialog und die tägliche Kritik an der Zeitung auf eine noch breitere Basis zu stellen.

Seit gut einem Jahr setzen Sie auf „Lokales First“, platzieren lokale Themen ganz vorne ins erste Buch und auf den Titel, die Politik in einem eigenen, dem zweiten Buch und nur in Ausnahmefällen auf der Aufschlagseite. Wie haben die Leser darauf reagiert, spielt das auch eine Rolle im Watchblog?

Das spielt im Watchblog überhaupt keine Rolle mehr, auch im täglichen Leserkontakt wird das kaum noch thematisiert. Die Leserschaft hat sich nicht nur daran gewöhnt, die Zustimmung auch kritischer Leser wächst. Diese Veränderung ist im Markt akzeptiert. Wir konnten Auflagenverluste um ca. 1 Prozent minimieren. Die latente Kritik an einer Regionalzeitung, dass sie ja „provinziell“ sei, ist verstummt.

Nutzer dürfen bei hnawatch.de nur unter ihrem Klarnamen kommentieren. Warum diese Hürde, wie kommt das bei den Nutzern an?

Alle Medien haben bei Online-Kommentaren heute das Problem mit destruktiven, beleidigenden und extremistischen Kommentaren. Das stößt viele potenzielle Akteure ab und lässt die Qualität sinken. Diesen Kreislauf wollen wir zunehmend durchbrechen. Redakteure werden ja im Watchblog auch namentlich kritisiert – da sollen die Kritiker auch ihren Namen nennen.

Welche Nutzen hat die Zeitung in Print und online davon? Wie binden Sie die Kritik und die Kritiker ein?

Kritik an Inhalten, die im Watchblog geäußert wird, spiegeln wir häufig im Blatt wider. Entdecken wir Fehler im Blatt, korrigieren wir die sofort im Watchblog – dies sind zwei Beispiele. Die Watchblog-Nutzer werden wir künftig auch zu beispielsweise Treffen mit Spitzenpolitikern einladen – sie sind dann sozusagen VIP-User. Und Seit Ende Juni lassen wir die User als nächsten Schritt teilnehmen an unseren Redaktionskonferenzen. Nach der Konferenz um 12 Uhr und um 17 Uhr kündigen wir im Watchblog die Kernthemen an, erklären sie und schauen, ob es da Diskussionsbedarf gibt. Das kann so weit gehen, dass wir zum Thema Titelbild die zwei, drei Varianten zur Diskussion ins Netz stellen. Der nächste Schritt wird sein: Unsere Leser können die Produktion der Zeitung anhand von ausgewählten Seiten verfolgen. Zum Beispiel drei Politikseiten als pdf, die im Laufe des Nachmittags möglichst kommentiert aktualisiert werden.

Mit dem Namen „Watchblog“ legen Sie die Messlatte hoch, verweisen selbst auch auf Bildblog. Wie kritisch „dürfen“ denn die Kommentare im eigenen Watchblog sein? Gibt es eine Netiquette?

Eine Netiquette gibt es, sie regelt das zivilisierte Miteinander. Kritik ist erwünscht und zentraler Bestandteil. Wir können unsere Vorgehensweise transparent machen, über die Nachricht hinaus Position beziehen und uns für Fehler entschuldigen. Die Leserkritik hilft uns, Standpunkt und Vorgehensweise zu reflektieren. Und die Auseinandersetzung mit der Kritik macht unsere Abläufe transparent – welcher Leser weiß schon, wie Zeitung täglich entsteht?

Wie viele Nutzer sind bis heute registriert? Wie sieht die Entwicklung der Seitenaufrufe aus?

Bisher haben sich 42 Leser als Autoren mit ihrem echten Namen registriert. Dazu sind bisher 53 Redakteure angemeldet. Aus diesen beiden Gruppen haben bis Mitte Juni 40 Personen eigene Artikel verfasst, zudem haben weitere angemeldete Mitglieder Artikel kommentiert. Das Watchblog wurde mit der Blog-Software WordPress umgesetzt. Zur Zählung verwenden wir das WordPress-Plugin SlimStat. Für den Monat Mai (Zählung gestartet am 3. Mai) werden folgende Zahlen ausgegeben: 24.841 Visitors, 41.000 Seitenaufrufe. Für Juni (einschließlich 20.6.): 13.181 Visitors und 20.182 Seitenaufrufe.

Wer schreibt redaktionell die Blattkritiken, und wann?

Blattkritik im Watchblog kann jeder machen, das Ganze ist freiwillig. Auch aus den Lokalredaktionen haben sich schon Redakteure beteiligt. Die Blattkritik sollte morgens um acht Uhr online stehen.

Wie aufwändig ist die Betreuung der Seite für die Redaktion – die Nutzer verlangen doch sicher auch schnelle, persönliche Reaktionen?

Das Watchblog wird von der Online-Redaktion mit „erledigt“. Und die weist im Watchblog angesprochene Redakteure auf Einträge hin, damit schnell geantwortet werden kann.

Gibt es Themen, auf die Kritiker besonders stark reagieren?

Fehler in der Zeitung sind immer ein Thema – und lokale Reizthemen sowieso.

Unter welchen Voraussetzungen ist ein solches Blog nachahmenswert? Worauf sollten Kollegen achten?

Man braucht eine hohe Online-Affinität der Print-Redaktion und eine Mannschaft, die bereit ist, den kontinuierlichen Dialog mit den Lesern zu führen. Und natürlich eine gewisse Kritik-Kultur …

Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 48 bis 48 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.