Der Welt-Eroberer

Herr Peters, Sie sind jetzt seit gut vier Monaten zurück auf einer Stelle, die sie vor drei Jahren schon einmal hatten. Ist das nicht ein Rückschritt?

Rückschritt? Ach, wir Journalisten sind schon lustig. Als ich damals nach fünf Jahren „Welt“ mal wieder etwas Neues machen wollte und die Chance bekam, meine eigene Idee zu verwirklichen und eine ganz neuartige Journalisten-Akademie aufzubauen, war gleich von „Abstieg“ die Rede. Damals wie heute sage ich: Es ist einfach eine neue spannende Aufgabe. Die Zeiten sind anders, das Portfolio hat sich geändert. Die Redaktion hat mir jedenfalls einen tollen Empfang bereitet und sich offenbar sehr über den „Rückschritt“ gefreut.

Waren die alle froh, Ihren Vorgänger Thomas Schmid los zu sein?

Quatsch, wir sind alle froh, Thomas Schmid als Herausgeber zu haben. Die Ergänzung der Chefredaktion um einen Herausgeber, der sich ganz um die publizistische Ausrichtung kümmern kann und unsere Medien mit klugen Kommentaren und Analysen bereichert, ist ein Geschenk.

Es heißt, Sie seien viel näher an den einzelnen Redakteuren dran. Was steckt dahinter?

Gerade war ein Reporter hier, der im Fall Mixa recherchiert, wir haben über die neuesten Entwicklungen gesprochen und wie er seine Geschichte aufziehen könnte. Ich finde, es ist Aufgabe eines Chefredakteurs, nah an seinen Leuten zu sein. Mir ist es wichtig, so oft und so direkt wie möglich mit den Redakteuren darüber zu reden, was ich erwarte. Das habe ich schon immer so gemacht. Ich verstehe mich als Teamplayer, als starker Kapitän einer starken Mannschaft.

Was ist noch neu?

Ich habe den Newsroom neu organisiert, eben weil wir in Geschichten für die gesamte Gruppe denken, nicht mehr für jeden Titel einzeln. Die Arbeitsabläufe haben sich dadurch geändert, auch unsere Zuständigkeiten: Vorher waren die stellvertretenden Chefredakteure einzelnen Titeln zugeordnet, jetzt ist die Chefredaktion gesamtverantwortlich für alle Medien.

Sie sind zu sechst in der Chefredaktion. Weshalb so viele?

Viele? Wir machen jeden Tag drei Zeitungen, online das größte Nachrichten- und Debattenportal einer Qualitätszeitung, diverse Mobile-Angebote und parallel den führenden Qualitätstitel am Sonntag, neuerdings auch noch mit einem kompakten Ableger. Da sind wir vielleicht unter-, aber sicher nicht überbesetzt. Nehmen Sie einen Tag wie heute: Eigentlich hätte ich das Interview absagen müssen, weil jemand aus der Chefredaktion krank geworden ist.

Die FAZ nannte Sie neulich den „Prototypen des modernen journalistischen Managers“. Können Sie sich damit identifizieren?

Wenn ich mich recht erinnere, hieß es auch, ich sei ein Macher mit einem Gespür für Themen. Ich sehe mich jedenfalls als Journalist, mir geht es um Geschichten, möglichst exklusiv und originell. Auch deshalb werden wir übrigens unser Investigativteam zum eigenen Ressort direkt bei der Chefredaktion ausbauen und die Zahl der Reporter schon zum September auf sechs verdoppeln. Ich beschäftige mich viel lieber damit, wie wir spannende Fälle wie etwa den von Bischof Mixa behandeln, als in Marketing-Runden zu sitzen. Aber wenn man sieben Titel verantwortet, dann ist einem natürlich auch die wirtschaftliche Seite nicht fremd.

Sie verklagen gerade Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff wegen falscher wirtschaftlicher Aussagen. Sie investierten aufgrund eines Interviews mit ihm in Arcandor-Aktien und machten rund 50.000 Euro Verlust. Gehört die Klage für Sie zu Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung als Chefredakteur?

Ich habe die Klage 2008 erhoben, da war ich nicht Chefredakteur. Natürlich gibt es gesellschaftliche und medienrechtliche Aspekte, aber das möchte ich strikt privat halten, das Verfahren hat nichts mit meinem Job zu tun.

Damals waren Sie noch Leiter der „Axel Springer Akademie“ (ASA). Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Ich habe gelernt, dass überraschend oft selbst „digital natives“ eine gedruckte Geschichte für die Königsklasse halten. Mehr als 20 Absolventen arbeiten mittlerweile als Redakteure für die „Welt“-Gruppe, und sie spielen da eine wichtige Rolle, weil sie gelernt haben, wie man journalistisch für digitale Formate arbeitet.

Die Journalistenschüler machen unter anderem „Welt Kompakt“ – die seit Herbst 2009 mit dem Claim wirbt „Sind wir reif für eine neue Zeitung?“, zugeschnitten auf die Facebook-Generation. Wie wirkt das?

Die Auflage entwickelt sich seit dem Launch vor sechs Jahren kontinuierlich gut, dieser Trend setzt sich fort, wir sind zufrieden. „Welt Kompakt“ ist die Zeitung mit der jüngsten Leserschaft in Deutschland.

Also machen die ASA-Schüler die Zeitung im Prinzip für sich selbst.

Nicht ganz. Tageszeitungsleser sind in Deutschland im Schnitt Anfang 50, bei „Welt Kompakt“ liegen wir deutlich darunter, aber in der Masse sind es keine Mitte 20-Jährigen wie die Journalistenschüler, die meisten Leser sind zwischen Mitte 20 und Mitte 40. Gut gebildet, mit einer hohen Affinität zu digitalen Medien, klassische Internetnutzer.

Wie viele werden denn verkauft?

Viele.

… eine Zahl wäre schön.

Wir weisen gemeinsam mit der „Welt“ aus und verkaufen mehr als 250.000 Exemplare. Als wir „Kompakt“ vor sechs Jahren eingeführt haben, lag die „Welt“ bei etwas über 200.000. Außerdem: „Welt Kompakt“ ist nur einer unserer sieben Titel. Meine Prioritäten liegen derzeit stärker bei der „Welt am Sonntag“, bei den digitalen Innovationen und bei „Welt Online“, das wir im Juni stark überarbeitet haben.

Wohin soll die Reise gehen, was ist neu?

Wir setzen bei „Welt Online“ noch stärker auf journalistische Inhalte, auf Nachrichten und Meinungsbeiträge. Die Seite ist insgesamt viel entschiedener, weil wir uns vom weitverbreiteten Ballast der rechten Randspalte zugunsten zusätzlicher journalistischer Angebote getrennt haben. Und die Nutzerzahlen bestätigen uns: Den sonst üblichen Einbruch nach einem Online-Release hatten wir nicht, im Gegenteil. „Welt Online“ ist die Nummer 3 unter den Nachrichtenangeboten vor „Focus“, SZ, FAZ und „Zeit“.

Im Raum Köln/Bonn testen Sie seit Februar die „Welt am Sonntag“ in Tabloidformat. Sie liegt auch werktags am Kiosk. Soll sie zur Wochenzeitung werden?

Nein, sie ist als Sonntagszeitung gedacht und liegt normalerweise auch nur dann am Kiosk, werktags haben wir ja „Welt Kompakt“. Wir wollen testen, ob die Leute das Format mögen und was mit der Auflage der „Welt am Sonntag“ passiert, ob es Kannibalisierungseffekte gibt. Da es gut läuft, haben wir das Testgebiet ausgeweitet. Ganz ehrlich, mit drei Tageszeitungen, einer Sonntagszeitung plus möglicherweise einem kompakten Ableger davon sind wir im Zeitungsmarkt sehr gut aufgestellt, da mag ich jetzt nicht auch noch an eine neue Wochenzeitung denken.

Wie verändern Sie die große „WamS“?

Wir haben in den vergangenen Monaten schon eine Menge getan, Schritt für Schritt. Ich halte von kontinuierlichen Verbesserungen mehr, weil man die Leser so besser mitnimmt. Ich zeige Ihnen das einmal (holt zwei Ausgaben der WamS). Das hier war die letzte Ausgabe vor meinem Start, die andere ist vom vergangenen Sonntag. Wir bringen jetzt mehr Geschichten auf der Titelseite, die nun sieben statt fünf Spalten hat, die komplette Seite 2 ist neu, die Themenmischung im ersten Buch ist lebendiger. Ich lege großen Wert auf exklusive, am besten investigative Geschichten. Und grundsätzlich auf gut geschriebene Reportagen und Interviews, die einen berühren, über die man spricht.

Was kommt noch?

Wir werden die Struktur der Zeitung ändern, die Reihenfolge der Ressorts soll sich dem Leser leichter erschließen. Im September kommt ein neues Zeitungsbuch dazu, wir investieren also auch in Print, es wird um modernes Leben und Gesellschaftstheme
n gehen.

Weshalb?

Ich sehe die „Welt am Sonntag“ auch als Familienzeitung. In den vergangenen Monaten haben wir viele Themen gebracht, die bislang nicht so präsent im Blatt waren: ein Stück über die Institution der Ehe, die langsam ausstirbt, eine Reportage über alleinerziehende Frauen, ein lebensnahes Feature über Jugendliche. Davon will ich mehr.

Den Fokus auf Geschichten haben Sie jetzt auch beim iPad in Szene gesetzt: mit dem Lifestyle-Kultur-Magazin „The Iconist“. Wie kam’s dazu?

Unser Prinzip ist: Wir probieren Neues aus. Da kommt ein Gerät auf den Markt, das unser Mediennutzungsverhalten gravierend verändern wird, aber noch weiß niemand genau wie. Entweder man setzt sich dann hin und schaut, was passiert. Oder man probiert etwas aus, so wie wir. So sind wir nun die einzige Zeitung in Deutschland mit eigenen Angeboten fürs iPad, was mich ehrlich gesagt ein wenig wundert. Aber umso besser: Jetzt ist unsere App auf vielen zehntausend iPads und in den Apple-Charts weit oben. (s. a. Special iPad S. 34 ff.)

Haben Sie denn heute Ihre „It-Bag“ dabei, wie Sie das iPad neulich nannten?

Heute nicht, aber ich habe gleich zwei zu Hause, eines wird dauernd von meinen Jungs genutzt.

… zwei Stück der 500 Geräte, die Springer-Chef Döpfner neulich verschenkt hat?

Ich hatte sie schon vorher. Wir haben zum Verkaufsstart einen unserer Reporter nach New York geschickt. Das Video, das er über den Kauf gedreht hat, wurde an diesem Tag mehr als 100.000 Mal abgerufen. Der Reporter hat dann ein paar Geräte mitgebracht,damit wir hier damit arbeiten können. Mein Medienkonsum hat sich seither tatsächlich verändert: Jetzt lese ich zuhause nicht nur ein halbes Dutzend Zeitungen, sondern habe dabei auch immer noch das iPad auf dem Schoß.

Weltweit tüfteln die Verlage jetzt an Apps – was haben Sie auf Ihrem iPad zur Inspiration?

Ich habe noch nichts gesehen, bei dem ich dachte: Wahnsinn, das brauchen wir auch. Bei Apple hieß es, unser „Iconist“ sei die Messlatte für andere. Wir nutzen alle Möglichkeiten dieses Geräts, mit Videos und Audiostücken. Mehr geht im Moment nicht. Zusätzlich haben wir den iKiosk für die elektronische Zeitung und die „Welt“-App.

Die App kostet 11,99 Euro im Monat. Was ist anders als bei der gedruckten „Welt“?

Die App ist „Die Welt in 100 Geschichten“. Sie ist näher an der Zeitung als an „Welt Online“, ein in sich geschlossenes Produkt, das viermal täglich aktualisiert wird. Es gibt wie bei der iPhone-App auch zwei exklusive Ressorts: „Welt-Reporter“ bringt Geschichten unserer Auslandskorrespondenten, und „Welt-Geschichte“ erklärt historische Ereignisse.

Wie nutzen Ihre Söhne denn das iPad?

Die spielen am liebsten, die beiden älteren nutzen es auch für Facebook. Mein Jüngster, er ist elf, ist begeisterter Zeitungsleser. Morgens um sechs ist er als erster am Briefkasten und holt die Zeitungen, wegen des Sportteils. Ich muss dann warten. Sagen Sie, lesen Sie eigentlich die „Welt am Sonntag“?

Das fragt einer, der sich früher, nach Lektüre der Wallraff-Bücher, nie hätte vorstellen können, mal für Springer zu arbeiten?

Ja, das war vor 25 Jahren, der Verlag war mir suspekt. Heute weiß ich aus eigener Erfahrung, dass hier vieles anders ist, als ich früher dachte. Ich habe Freiräume, wie ich sie bei keinem anderen Verlag erlebt habe. Und wer eine gute Idee hat, bekommt oft die Chance, sie umzusetzen, so wie ich mit der „Axel Springer Akademie“. Die meisten Vorurteile bilden sich aus Unkenntnis.

Sie finden also, der Springer-Verlag hat ein Image-Problem?

Ich finde, dass der Springer-Verlag hervorragenden Journalismus bietet. Wer das anders sieht, sollte sich gleich am nächsten Wochenende mal die „Welt am Sonntag“ kaufen.

Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 29 Autor/en: Interview: Anne Haeming. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.