Was ist der Unterschied zwischen Maßstab und Glücksfall? Die vorgegebene Textlänge! Seit Robert von Heusingers Kommentare nicht nur in der „Frankfurter Rundschau“ (FR) erscheinen sondern auch in der „Berliner Zeitung“, muss er meist zwei Versionen liefern: Die Berliner haben für den Leitartikel ein paar Zeilen mehr Platz als die Frankfurter. Da wird aus der Zeile „Glücksfall Opel“ dann schon mal der „Maßstab Opel“, weil Heusinger seinen Text für die FR kürzen musste – und vom Glücksfall eben erst am Schluss die Rede war.
Heusinger, früher Wirtschaftschef der FR, ist heute stellvertretender Leiter der DuMont-Redaktionsgemeinschaft – jenes Autorenpools, der „Berliner Zeitung“, FR, „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Mitteldeutsche Zeitung“ beliefert. Während sich seine Chefin Brigitte Fehrle in Berlin mit 16 Leuten um die Politik kümmert, verantwortet er die Wirtschaftsberichterstattung von Frankfurt aus, führt ein achtköpfiges Team. Am Anfang musste sich erst einiges einspielen: „Während der ersten Wochen haben wir viel Zeit damit verbracht, über Abläufe und Standards zu diskutieren“, sagt Heusinger – manchmal auch zulasten der Kreativität: „Die Abstimmung über Textlängen hat uns zu oft zurückfallen lassen in alte Erzählformen.“ Früher habe die FR ein großes Thema oft in mehrere Aspekte zerlegt, die „Berliner Zeitung“ eher selten. „Da wurde uns manch innovativer Einfall wieder ausgeredet.“ Hauptsache pünktlich die passenden Texte liefern. Das wird allerdings schwierig, wenn sich nach 14 Uhr die Nachrichtenlage drastisch ändert und die Redaktionen unterschiedliche Wünsche haben.
Mit den Wirtschaftschefs aus Berlin, Köln und Frankfurt stimmt sich Heusinger in der täglichen Schaltkonferenz um 9.45 Uhr ab, in der großen Schalte mit den Politik-Kollegen und Chefredakteuren um 10.30 Uhr wird das Tagesprogramm festgelegt. Das klappt meist ziemlich gut, auch wenn die Zeitungen noch mit unterschiedlichen Redaktionssystemen arbeiten.
Vor allem die Griechenlandkrise sieht Heusinger als journalistischen Glücksfall, weil seine Wirtschaftstruppe zeigen durfte, was sie kann. Doch als General Motors nachmittags plötzlich keine Staatshilfen für Opel mehr wollte, hatte er ein Problem. Die FR wollte den Autobauer zum Tagesthema machen, die „Berliner“ hielt am Ursprungsplan fest, mit dem Ölkonzern BP das Tagesthema zu bestreiten: „Da hätten wir fast sagen müssen: Sorry, das schaffen wir nicht.“ Denn für BP und Opel ist in seiner Truppe dasselbe Zwei-Mann-Team zuständig. Es klappte dann doch, weil ein Kollege drin war im Thema und den angefangenen Artikel zu Ende schreiben konnte. Heusinger spricht von „virtuoser Zusammenarbeit“, der Teamgeist habe ihn begeistert.
Die Zuständigkeiten, das ist die nächste große Baustelle, an der Heusinger und seine Leute arbeiten. Wer covert eine Firma wie das Bankhaus Metzler in Frankfurt, mit bundesweitem Ruf? Die Gemeinschaftsredaktion oder die Stammbelegschaft der FR? Heusinger nennt es eine „Zuständigkeits-Matrix“, die noch nicht fertig sei. Sein Konzept sieht in etwa so aus: Bei großen Themen beliefert der Pool die Zeitungen, die Stammredaktionen kümmern sich um die Regionalisierung, etwa mit Nachfragen bei den regionalen Gasversorgern, wenn es um Preiserhöhungen geht. „Aber die Redaktionsgemeinschaft soll auch ein Katalysator sein für die Experten und Talente der Zeitungsredaktionen“, sagt Heusinger. So sollen die Texte des Bahn-Fachmanns der „Berliner Zeitung“ über den Pool auch die FR oder den „Stadt-Anzeiger“ erreichen: „Auf so ein Thema muss sich ja niemand mit Halbwissen werfen, wenn wir die richtigen Leute im Konzern haben.“ Heusingers Ziel: ein professionelles Wissensmanagement. Die eigenen Leute und ihre Fähigkeiten kennen, das soll der Dumont-Maßstab werden, nicht nur ein seltener Glücksfall. Oliver Trenkamp
Serie: An dieser Stelle werfen wir seit Juni regelmäßig einen Blick hinter die Kulissen der neuen DuMont-Redaktionsgemeinschaft, die am 26. April an den Start ging.
Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 7 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.