Herrschaft der Algorithmen

Sie nennen das Geschäftsmodell Ihrer Inhaltefabrik „effizienten Journalismus“. Effizient ist es bestimmt, nur darüber zu berichten, was vorhersehbar Werbung bringt, aber ist es auch Journalismus?

Ich glaube, dass sich die Definition von Journalismus erweitern wird. Der Rücktritt von Horst Köhler ist nicht durch den Hauptstadtjournalismus provoziert worden, sondern durch Blogger. An einem solchen Beispiel sieht man den Wandel. Es wird eine Mischung aus altem und neuem Journalismus geben.

Aber gerade so eine Geschichte wie Köhlers Interview-Fauxpas würde bei Inhaltefabrik ja nicht auftauchen, denn dazu könnten Sie wohl kaum Werbung generieren?

Qualitätsjournalismus – ein Wort, das ich nicht mag, weil es von den Verlegern wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird – wird ja auch nur finanziert, weil es anderswo die Werbung gibt. Wir sind davon überzeugt, dass das herkömmliche werbefinanzierte Modell für Nachrichten nicht mehr funktionieren wird und betreten daher Neuland. Meine Lieblingsseite ist die „Seite 3“ der „Süddeutschen Zeitung“. Und mein Traum ist es, in meinem Fernsehsender irgendwann auch eine Art „Seite 3“ zu integrieren. Das geht aber nur, wenn in anderen Bereichen, zum Beispiel über Inhaltefabrik, genügend Geld hereinkommt.

Welche Medienkanäle wollen Sie mit Inhaltefabrik beliefern? Print, Audio, TV?

Wir gehen vom Plattformgedanken aus. Wir haben die Inhalte und verteilen sie auf möglichst alle Kanäle.

Welche Kooperationspartner werden zum Start dabei sein?

Zum Start ist noch niemand dabei. Wir wollen erst mal zeigen, wie unser Modell in der Realität funktioniert, anstatt vorab mit Powerpoint-Präsentationen hausieren zu gehen. Wir führen aktuell allerdings schon Gespräche mit möglichen künftigen Partnern.

Sie sehen sich als Pionier, aber tatsächlich ist der deutsche Markt doch schon reichlich voll mit journalistischen Amateurplattformen: Es gibt Suite.101, „Bild“-1414-Leserreporter, den Bürgervideo-Marktplatz tyvpe, die Plattform myHeimat – vom sozialen Netz ganz zu schweigen. Und Demand Media, die größte Contentfabrik, drängt auch auf den deutschen Markt. Wie wollen Sie Inhaltefabrik positionieren?

Wir wissen durch unsere fünfjährige Erfahrung bei center.tv, wie Menschen und somit unsere Konsumenten ticken, wie man mit ihnen umgeht und sie motiviert. Ich verlasse konsequent mein Büro. Ich fahre S-Bahn und U-Bahn, gehe auf Schützenfeste. Ich glaube, dass uns dieses Know-how von anderen abhebt.

Welche Erfahrungen mit den Bürgerreportern bei Ihrem Sender center.tv lassen sich auf das neue Modell übertragen?

Wir werden den Sender, der sehr tief in die Region geht, eng mit Inhaltefabrik verzahnen und die dort aufgebauten Strukturen nutzen. Wir werden mit den Inhalten von Inhaltefabrik für center.tv Sendungen produzieren, die eine Mischung aus „Sendung mit der Maus“ und „Galileo“ sind. Wir arbeiten im Ruhrgebiet bereits mit knapp 100 Bürgerreportern, wollen die Zusammenarbeit mit Bürgern aber auch weiterhin massiv ausbauen. Dafür war ich in den letzten Monaten intensiv auf Roadshow.

Als Wanderprediger in Sachen Bürgerreporter?

Unsere Erfahrung ist, dass man Bürgerreporter motivieren muss, damit sie am Ball bleiben. Wir schaffen ein Umfeld, wo sich die vielen freien Mitarbeiter wohlfühlen und gleichermaßen weiterentwickeln können. Wir wollen den Sender auch nutzen, um Experten für bestimmte Themen unter den über fünf Millionen Einwohnern in der Region zu finden. Vor allem in der Generation 55 plus sehe ich dafür großes Potenzial.

Die Bürgerreporter von center.tv haben Schulungen bekommen und die ersten 100 in Köln und im Ruhrgebiet auch Kameras. Wie rekrutieren Sie die Mitarbeiter für Inhaltefabrik?

Mit unseren Schulungen binden wir unsere Amateurmitarbeiter an uns. Das ist natürlich in unserem Interesse. An unserem Hauptsitz in Bochum bauen wir außerdem einen Vortragsraum in einer Halle, wo wir täglich in direktem Kontakt stehen. Wir werden dort den Menschen ein Stück Heimat geben und sie motivieren. Sonst verlieren sie schnell das Interesse, wenn nach der ersten Euphorie nichts mehr kommt.

In Ihrer Presseankündigung heißt es, das Modell Inhaltefabrik bringe „große wirtschaftliche Vorteile für den Verfasser“. Die Erfahrung mit Contentfabriken zeigt aber, dass für die meisten Autoren extrem wenig herausspringt. Wie sind denn bei Ihnen die Konditionen für Autoren?

Über die Verdienstmöglichkeiten bei Contentfabriken gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Viele Autoren finden es lohnend, weil es für sie ein Nebenjob ist. Bei Inhaltefabrik wird es sicherlich eine Mischung aus freien Journalisten und lernfähigen “Amateur-Experten“ sein. Vor allem ältere Menschen mit Expertenwissen haben die Perspektive, damit Geld zu verdienen. Wie viel das genau sein wird, wissen wir noch nicht. Wir bauen die Contentfabrik ja gerade erst aus. Ich bin mir allerdings sicher, dass die meisten jetzigen Medienfinanzierungsmodelle fast gegen null laufen werden. Es müssen neue Modelle gefunden werden und wir sehen uns dabei durchaus als Vorreiter.

Ist es nicht besser, finanziell abgesicherte ehrenamtliche Autoren zu beschäftigen, anstatt den meisten wahrscheinlich sehr niedrige Honorare zu bezahlen? Bei den Bürgerreporten von center.tv tun Sie das ja auch mit Erfolg.

Es gibt zwei Motivationen. Entweder das Bedürfnis, sein Expertenwissen oder aber Dinge aus seinem Umfeld darzustellen. Die Frage ist allerdings: Wie hält man die Leute? Äußere Anreize sind dabei überaus wichtig. Auch Menschen, die durch ihre Rente für den täglichen Bedarf abgesichert sind, freuen sich darüber, wenn sie sich mit ihrem Dazuverdienst einen Laptop oder ein iPad kaufen können.

Wer übernimmt die Qualitätskontrolle? Wird es eine Redaktion geben?

Absolut, ohne geht es nicht. Wir sind jetzt zunächst zu zehnt: fünf erfahrene Journalisten und fünf junge Berufseinsteiger, die wir auch ausbilden. Diese zehn Journalisten müssen auch lernen, klassische journalistische Tugenden auf die Abläufe und Strukturen einer neuen Journalismuswelt zu übertragen.

Wie gut sind denn die Beiträge, die Sie bekommen?

Natürlich können wir nicht immer alles verwenden, aber wir bekommen beispielsweise auch viele Texte von Juristen und Professoren, die seit 20 Jahren schreiben, obwohl sie keine professionellen Journalisten sind. Deren Beiträge sind teilweise besser als viele Texte von jungen Journalisten, die weder Rechtschreibung noch Zeichensetzung beherrschen. Dahingehend betrachtet sind positiv viele unserer Autoren der deutschen Sprache überaus mächtig.

Link:tipp

Interview von Philipp Banse mit Ulrike Langer über Algorithmen in den Nachrichten in der Sendung „Breitband“ (Dradio Kultur) http://bit.ly/aXtc8Z

Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 34 bis 34 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.