Wenn das Gift zum Überleben fehlt

Menschen haben Erwartungshaltungen. Das ist normal. Unnormal wird es nur, wenn die Erwartungen unerfüllbar sind. Normalerweise.

So gesehen leben wir in einer unnormalen Welt – besonders, wenn wir uns die Etage anschauen, in der Menschen, die es zu etwas gebracht haben, Erwartungen an andere Menschen haben: Vorstände also, Verbandspräsidenten oder ja, auch der jüngst demissionierte Bundespräsident Horst Köhler.

Der Ex-Präsident hatte Erwartungen, die zwar nicht unerfüllbar waren, die aber nicht erfüllt wurden. Köhler wollte – allen Verschwörungstheorien zum Trotz – einfach geliebt werden und böse Zeitgenossen taten ihm den Gefallen nicht.

Vorausgegangen war ein verhängnisvoller Streit zwischen Köhlers Sprecher Martin Kothé und dem Chef des Bundespräsidialamtes Hans-Jürgen Wolff. Der Sprecher schmiss hin – und Köhler stand alleine da.

Petra Diroll, TV-Redakteurin und im Club der Parlamentsjournalisten gut vernetzt, sollte den enttäuschten Kothé ersetzen – zu spät. Köhler gab dem Deutschlandfunk das inkriminierte Interview, bevor Diroll an Bord und als Kothé schon weg war.

Die Königsdisziplin der Kommunikatoren.

Der Chef ohne Kommunikationsberater – ein ganz einsames Wesen. Analogien findet man auch in der Wirtschaft. Maria-Elisabeth Schaefflers Pelzmantel-Auftritt in Kitzbühel war so eine einsame Entscheidung der Dame, das Victory-Zeichen Josef Ackermanns vor Gericht eine andere. Beides vermeidbar, wenn vorher darüber gesprochen wird. Und wenn so etwas nicht vermeidbar ist, dann jedoch, dass hinterher anders gesprochen wird. Gute Vorbereitung ist die halbe Miete.

Das Problem ist immer dasselbe, ob in Wirtschaft oder Politik: Chefs fällt es grundsätzlich schwer, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Kommunikationsexperten dagegen können gar nicht anders, müssen es um so mehr. Und weil ganz oben in der Hierarchie per se ein Misstrauen gegenüber Journalisten herrscht, muss der Sprecher auf seiner Rolle bestehen. Seine Königsdisziplin: sich auch von beratungsresistenten Chefs nicht ins Abseits drängen lassen.

Von Oscar Wilde stammt der tief- wie hintersinnige Satz: „Es gibt im Leben zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches, die andere ist seine Erfüllung. Von beiden ist die zweite die bei weitem tragischere.“ Köhler ist der zweiten erlegen.

„…aber schreiben Sie seinen Namen richtig.“

Unternehmensführer, Politiker und Präsidenten entdecken nämlich schnell nach ihrem Aufstieg auf den Olymp die Mühen der Ebene. „War’s das?“ wird dann zum beherrschenden Gefühl. Nicht alles gelingt immer – und Kritik kennt längst keinen Respekt mehr.

Das gilt erst recht, wenn sie öffentlich ausgetragen wird, auch wenn Journalisten nur die Meinungen anderer Kritiker wiedergeben. Stört diese „Respektlosigkeit“ das Ansehen, kommt der Sprecher in die Schusslinie. Wofür hat man diese Leute eigentlich?

Spätestens für die Korrektur des Erscheinungsbildes. Pfiffigen Sprechern gelingt es jedenfalls, hinterher aus dem Vergaloppierer noch eine gute PR-Aktion zu machen. Kothé hätte es zumindest versucht. In der Regel hilft in solchen Fällen eine Parabel, ein Standpunkt oder ein sportlicher Auftritt. Beispiele gibt es zuhauf.

Lady Astor, die vornehme Dame der britischen Gesellschaft, rügte einmal den Whisky-trinkfreudigen Winston Churchill mit dem Hinweis: „Sir, wenn Sie mein Ehemann wären, würde ich Ihren Drink vergiften.“ Churchill, bekennend unsportlich, nahm’s sportlich: „Madam, wenn Sie meine Ehefrau wären, würde ich das sofort austrinken.“

Hätte Köhler einen Sprecher gehabt, hätte er ihm nach dem Interview Folgendes geflüstert: „Sir, das Mikro war vergiftet. Wie reagieren wir darauf?“ Die naheliegende Reaktion: „Sagen Sie, ich hätte mich missverständlich ausgedrückt.“ Der Sprecher tritt vor die Presse und erklärt: „Der Präsident hat ausreichend das nicht gesagt, was er gedacht hat. Aber schreiben Sie seinen Namen richtig.“

Ein Schluck des arsenhaltigen Drinks hätte ihm den Rücktritt erspart. Und das Geschichtsbild des Präsidenten hätte eine andere Facette bekommen. Dazu braucht es aber eine Instanz: den Sprecher.

Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 56 bis 56. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.