Fünf Tage für die Zukunft

Sie schlagen eine freiwillige Selbstverpflichtung der Medienhäuser vor: Fünf Tage Weiterbildung für jeden Mitarbeiter – jedes Jahr. Um mal im Sinne der Adressaten zu nörgeln: Wer soll das bezahlen?

Annette Hillebrand: Nörgeln Sie ruhig. Bezahlen sollen die Medienhäuser. Wenn dann die Frage kommt: „Warum gerade jetzt? Jetzt ist doch eine ganz schlechte Zeit“ – dann sage ich: Der Zeitpunkt ist immer schlecht. Aber er ist zugleich der richtige, weil der Druck auf die Redaktionen, Neues zu lernen und diese Veränderungen mitzugestalten, seit einiger Zeit besonders groß ist und auch bleiben wird.

Warum ist dieser Druck gestiegen?

Wir professionellen Journalisten haben ein Legitimations- und Glaubwürdigkeitsproblem. Wir konkurrieren heute mit mehr Öffentlichkeiten, mit Blogs und nicht zuletzt mit PR. Viele Menschen zweifeln an der Unabhängigkeit der Berichterstattung und fragen sich, was unsere Informationen besser macht als andere. Wir müssen das, was Journalismus wertvoll macht, stärker unter Beweis stellen. Das können wir aber nicht, wenn zugleich Personal abgebaut wird, wenn weniger Redakteure mehr produzieren sollen, aber ihre Texte und Beiträge noch besser, noch fundierter sein sollen.

Zurück zum Nörgeln: Muss denn ein altgedienter Zeitungsredakteur mit 30 Jahren Berufserfahrung wirklich noch twittern lernen?

Er muss nicht twittern lernen, aber er muss das Potenzial dieser „neuen“ Kommunikationswege kennen und einschätzen können, ob sie für seine Redaktion attraktiv sind – oder eben nicht. Ich glaube nicht, dass jeder Journalist in all diesen Foren, Plattformen und Kanälen unterwegs sein muss. Aber er muss wissen, wie sie funktionieren.

Wer nutzt die Angebote der Akademie häufiger: Feste oder Freie?

Eindeutig Feste. Und das ist ein Problem, weil es deutlich mehr Freie gibt als früher und alle Redaktionen auf Freie setzen. Obwohl die Seminargebühren der Akademie subventioniert werden und im Vergleich mit anderen Branchen sehr niedrig liegen, können sich viele Freie die Gebühren dennoch nicht leisten. Für sie ist die Weiterbildung finanziell ein verlorener Tag – zusätzlich zu den Kosten des Seminars. Wir haben Freie – aber wir hätten gern viel mehr.

Werfen Sie mit Ihrem Vorschlag einen ersten Stein ins Wasser oder debattieren Sie schon länger mit den Medienhäusern?

Latent führen wir die Debatte schon mit denjenigen Medienhäusern, mit denen wir viel zu tun haben. Personalentwicklung – und Weiterbildung ist ein Teil davon – findet in den Medien nicht flächendeckend in der Professionalität statt, in der es meiner Meinung nach notwendig wäre. Übrigens taucht eine ähnliche Forderung immer wieder mal in Tarifverhandlungen auf: verpflichtende Weiterbildung statt neuer Lohnrunde.

Ich lese jeden Samstag auf mindestens einer Bildungs-, Karriere- und Berufsseite: Die wichtigste Ressource eines Unternehmens sind die klugen Köpfe und die motivierten Mitarbeiter. Hier herrscht eine erhebliche Diskrepanz: Wir schreiben darüber, aber wir nehmen es uns nicht selbst vor.

Wie bindet man die Medienhäuser in die Weiterbildung ein?

Eines vorweg: Ich möchte nicht, dass Mitarbeiter zur Weiterbildung „verdonnert“ werden. Weiterbildung sollte sukzessive zu einem Teil des Personalgesprächs werden. Ich will, dass die Chefredaktion reflektiert: Was habe ich mit dieser Reporterin oder jenem Redakteur noch vor? Und dass der betroffene Kollege sich selber fragt: Wo sehe ich noch Potenzial, was möchte ich lernen, wo liegen meine Stärken?

Ein möglicher Einwand: Darum kann sich die Chefredaktion nicht auch noch kümmern; Personalgespräche würden wieder mehr Personal erfordern.

Mit Verlaub: Ein jährliches Personalgespräch ist Standard in allen Branchen – übrigens auch hier in der Akademie. Das ist effektiver als jemanden dreimal kurz im Flur anzusprechen. Ein Personalgespräch dauert eine Stunde, und wenn es gut gemacht ist, profitieren beide davon.

Link:Tipp

Weitere Aussagen sowie Thesen von Annette Hillebrand zur (Aus-)Bildungssituation in der Medienbranche lesen Sie unter www.mediummagazin.de, magazin +

Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 10 bis 10 Autor/en: Interview: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.