Journalismus dient, so die gängige Regel, mit Informationen. Es geht nicht um die Schreiber, es geht um die Sache. Wer da von einer Erzählstimme spricht, weckt böse Assoziationen – Reporter, aus deren Texten das Ego trieft und die mehr von sich selbst erzählen als von der Welt da draußen. Und dies womöglich noch in der ersten Person Singular. Ich.
Die Stimme des Erzählers – der Begriff entstammt der Literaturwissenschaft: Kein Hemingway, kein Kafka, keine Ingeborg Bachmann sind denkbar ohne diesen spezifischen Ton, der ihr Werk durchzieht und unverwechselbar macht. Sie haben eine eigene Stimme, eine persönliche Erzählweise.
Wenn das Gesicht fehlt.
Im Journalismus dagegen scheint allenfalls in Reportagen ein eigener Ton erlaubt. An der Universität Harvard, dem Mekka des Erzähljournalismus, konzentriert die Dozentin Constance Hale ihre Kurse sogar auf diesen Aspekt: Die Autorin, der Autor sollen durch eine eigene Erzählweise sichtbar werden. Die typischen erfolgreichen Mid-Carreer-Journalisten, die diese Kurse besuchen, haben in ihrer Ausbildung noch gelernt, dass der Autor im Text keine Rolle spielen soll. Und nun fragt Connie Hale nach jedem Übungstext: Erkennen wir den Schreiber? The voice?
Der Narrative Journalism in Harvard folgt der Tradition des amerikanischen New Journalism. Tom Wolfe, Gay Talese, Truman Capote und andere stellten in den sechziger Jahren des vergangen Jahrhunderts den Journalismus vom Kopf auf die Füße. Sie forderten eine radikal subjektive Erzählweise, die der Wahrheit näher käme als der buchhalterische Anspruch auf Objektivität, den der amerikanische Nachrichtenjournalismus vor sich hertrage – der Gefühle verbanne und die subjektive Wahrnehmung der Journalisten verleugne.
Wolfe und seine Mitstreiter sind eher wortmächtige Schriftsteller als Journalisten. Die Reportagen und Bücher, die sie schrieben, sind großartig, aber eignen sich kaum als Vorbild für die Mehrheit der Journalisten. Doch ihre Aufmerksamkeit für die Erzählstimme gehört zu den literarischen Techniken, von denen auch Journalisten lernen können. Denn jeder Text hat einen Sound: die Erzählstimme. Wehe, wenn man das vergisst. Dann werden Texte trocken und spröde. Ihnen fehlt ein Gesicht.
Texte sind Beziehungen – oft gescheiterte.
Denn das Konzept der Erzählstimme meint eigentlich nur, dass den Lesern die Idee eines Gegenübers angeboten wird. Das Gefühl, da spricht jemand mit mir. Solche Texte erreichen uns besser als aneinandergereihte Fakten auf Papier. Text ist Sprache, Sprache ist Kommunikation und Kommunikation ist Beziehung. Text ist Beziehung. Oder sollte es sein. Wir sind keine Festplatten, die Bits und Bytes austauschen.
Schriftlichen Texten fehlt ein wichtiger Teil der mündlichen Kommunikation: Der Kontext, die Situation, das leibhaftige Gegenüber, mit Mimik, Gestik und der Möglichkeit nachzufragen. Bei Texten ist unsere Imagination gefragt. Das gibt Freiheit und kann beglückend sein. Es kann Texte aber auch scheitern lassen.
Stellen wir uns vor, wir treffen auf der Straße einen Menschen, von dem wir wissen, dass er Journalist ist. Wir fragen: „Was gibt’s Neues?“ Und dieser Mensch setzt ein undurchdringliches Gesicht auf, guckt an uns vorbei in eine unbestimmte Ferne und spricht: „Aus Sicht der Wirtschaft erzielen derzeit alle sechzehn Bundesländer Erfolge bei ihren Bemühungen, das Bildungssystem zu verbessern.“ Hätten wir das Gefühl, da will jemand mit uns reden?
Leider funktionieren noch zu viele Zeitungstexte auf diese Weise. Die Autoren gucken die Leser gewissermaßen nicht an, sie reden nicht mit ihnen. Die Texte sind entpersonalisiert, lassen nichts Eigenes erkennen, sie suchen nicht den Kontakt, sondern arbeiten die Regeln des Nachrichtenschreibens ab. Das kann autoritär und undemokratisch wirken, weil der Text nicht als Dialog mit dem Leser gedacht wird, sondern als Einweg-Verlautbarung von einem Sender zu einem Empfänger. Aufgabe erfüllt, bitte keine Fragen.
Radiojournalisten lernen in ihrer Ausbildung ins Mikrophon zu sprechen, als unterhielten sie sich mit einem Gegenüber. Als sprächen sie eben nicht zu tausenden, hunderttausenden Hörern. Sondern zu dem einen, der da gerade im Auto sitzt oder den Abwasch macht. Ganz persönlich, ganz direkt.
Zeigen Sie Haltung.
Im Text entsteht eine persönliche Stimme, der Sound eines Textes, durch die Wortwahl, durch den Satzbau und -rhythmus. Sicher auch durch die Auswahl von Details und Beobachtungen. Das kann und sollte man nicht bewusst steuern. Die Stimme entwickelt sich eher unwillkürlich, durch eine Haltung. Durch die Haltung, mit jemandem zu reden. Dabei muss man nicht die Grundregeln journalistischen Berichtens verletzen. Auch wer erzählt, kann neutral und unabhängig sein. Im obigen Beispiel könnte unser Journalist zu seinen Gesprächspartnern zum Beispiel sagen: Ich habe gehört, die Wirtschaftsvertreter sind zufrieden mit den Reformen in Schule und Hochschule. Sie finden, diese verliefen in allen 16 Bundeländern erfolgreich.
Beim Reden befolgen wir viele Regeln verständlichen Schreibens ganz automatisch. Wir bauen keine Schachtelsätze, vermeiden Substantivierungen, lassen Menschen handeln. Wenn Journalisten Schwierigkeiten mit dem Schreiben haben, wird ihnen häufig geraten, die Geschichte doch jemandem mündlich zu erzählen. Der Trick funktioniert gut, mit einem Gegenüber bringt man die Geschichte plötzlich auf den Punkt, weiß, welche Details wichtig sind und wie man den Text aufbauen kann. Vielleicht habe gute Schreiber einfach ein gutes Gespür für ihre Leser, sie imaginieren sich die nötige Beziehung. Im Internet finden wir häufiger eine entwickelte Erzählstimme als in gedruckten Artikeln. Das mag damit zusammenhängen, dass es von vornherein dialogischer angelegt ist, allen voran die Blogs mit ihrer Kommentarfunktion. Hier ist den Autoren präsent, dass sie ein Gegenüber haben, das antworten und nachfragen kann. Vielleicht spiegelt sich da aber auch eine Veränderung in unserer Gesellschaft. Wir sind informeller geworden, direkter, weniger autoritär. Und dazu gehört auch ein eher direkter Schreibstil, statt anonymer Verlautbarungen ohne Rückkoppelungsidee. Die Schriftsprache kommt heute lässiger daher und nimmt Elemente alltäglichen Sprechens auf. Das ist hilfreich, denn mit unserem inneren Ohr hören wir auch den geschriebenen Text – sonst würde uns gedruckte Lyrik nicht erreichen.
So funktioniert der direkte Draht zum Leser.
Die simple These „Schreibe, wie du sprichst“ funktioniert freilich nicht. Lesen ist mühsam und wir müssen die Leser in den Text locken, ihn gewissenhaft überarbeiten: Unsauberkeiten, die wir beim Sprechen lässig überspielen, verzeihen die Leser nicht. Aber oft sind großartige Erzählstimmen ganz zurückgenommene Stimmen, die vorgaukeln Alltagssprache zu sein. So war der Journalist Herbert Riehl-Heyse ein Meister darin, mit schlichter Wortwahl den direkten Draht zu seinen Lesern zu legen.
Auch wenn die Erzählstimme viel mit unserer Person zu tun hat, bleibt sie doch immer eine Konstruktion, so wie jeder Text eine Konstruktion ist. Die Stimme steht im Dienst des jeweiligen Textes, existiert gewissermaßen nur dort und hat dort ihre Funktion. Sie passt sich ihm an, so wie wir beim Sprechen unsere Stimme dem Anlass anpassen. Die Erzählstimme darf natürlich im Journalismus, anders als in der Literatur, nicht erfunden sein. Sie bietet den Lesern nicht mehr als die Idee des Gesichtes hinter dem Text – statt einer Maske journalistischer Normen. Eine so verstandene Erzählstimme ist keine Spielwiese für Selbstdarsteller. Das Ich, zum Beispiel, benutzt man dort, wo es stilistisch passt. Wo es für die Erzählweise stimmig ist. Anfänger machen häufig den Fehler, dass sie ihre ganze Person in den Text hineinpacken wollen, wenn sie die Ich-Form benutzen. Als schrieben sie für Leute, die sie kennen oder die sich für sie als Individuum interessieren. Und nicht für Leser, die nur einen Mittler zum Text haben wollen. Wer beim Schreiben das Gegenüber im Kopf h
at, wird automatisch viele Dinge richtig machen: Er wird schnell zur Sache kommen, auf Fragen antworten, die Leser haben könnten und im Konversationsstil schreiben. Er wird den Lesern eine Beziehung anbieten. So verstanden hat die Erzählstimme mit dem Ego der Autoren recht wenig zu tun. Sie verlangt geradezu das Gegenteil: Texte vom Empfänger her zu denken.
Link:tipp
Weiterführende Leseempfehlungen und Linktipps finden Sie unter www.mediummagazin.de, „magazin +“
Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 40 bis 41. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.