Armenien. Nervös rutscht Anna Hakobyan auf ihrem Sessel hin und her. Gleich soll das Telefon klingeln – und am Hörer wird die Stimme erklingen, die ihrem Mann und dem Vater ihrer drei Kinder gehört. „Inzwischen darf er immerhin zweimal pro Woche anrufen“, sagt sie. Zweimal zwanzig Minuten.
Ihr Mann Nikol Pashinian, 35 Jahre alt, ist Chefredakteur der größten armenischen Tageszeitung „Haikakan Zhamanak“ (Armenian Times) und sitzt im Gefängnis. Seitdem führt Hakobyan die Geschäfte.
Der Sessel hinter Pashinians Schreibtisch in der Redaktion ist verwaist – aber jeden Tag erscheint auf der ersten Seite der Zeitung eine populäre Kolumne, in der Pashinian meist die Politik des Regimes kommentiert, aber auch einfach mal über ein anstehendes Fußballspiel schreibt. Sein Anwalt schmuggelt die Texte jeden Tag auf einem USB-Stick aus dem Gefängnis. „Seit den Unruhen ist keine Ausgabe ohne Nikols Kolumne erschienen“, sagt Hakobyan.
Wochenlang stand Pashinian im Februar 2008 zusammen mit dem früheren armenischen Präsidenten Levon Ter-Petrosjan auf der Tribüne, als zehntausende Menschen gegen die Fälschung der Präsidentenwahlen demonstrierten.
Am 1. März löste die Regierung die Demonstration mit Hilfe der Armee auf – zehn Menschen starben im Kugelhagel, Dutzende landeten im Gefängnis. „Haikakan Zhamanak“ wurde vorübergehend geschlossen, Pashinian tauchte unter.
Erst als die Regierung 2009 unter dem Druck der EU eine Generalamnestie für die Teilnehmer der Demonstrationen verkündete, stellte er sich. Im Januar wurde er wegen der Organisation von Massenunruhen zu sieben Jahren Haft verurteilt, muss allerdings wegen der Amnestie nur die Hälfte der Zeit im Gefängnis verbringen.
Doch Pashinian hat schon Schlimmeres überstanden: Im Jahr 2004 brannte sein Jeep vor der Tür der Redaktion aus, Pashinian überlebte lediglich, weil er an diesem Tag länger als üblich arbeitete.
Die 1999 von Pashinian gegründete „Haikakan Zhamanak“ hat eine tägliche Auflage von 8.000 Exemplaren – und ist damit die auflagenstärkste Zeitung des Landes. Auch wenn aus Angst vor politischen Sanktionen kaum ein Unternehmen in der Zeitung Anzeigen schaltet und das Blatt nur 100 Armenische Dram (ca. 20 Eurocent) kostet, trägt es sich laut Hakobyan selbst. Für viele Armenier ist die Zeitung die einzige Möglichkeit, das zu sehen, was die staatlich kontrollierten Fernsehsender nicht zeigen. Vor einigen Wochen machte das Blatt mit Bildern des früheren Präsidenten Robert Kotscharjan auf – bei der Großwildjagd in Afrika.
Text: Moritz Gathmann berichtet aus Armenien. Er ist Mitglied im Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost, das für „medium magazin“ die „Helden der Pressefreiheit“ vorstellt. Kontakt: www.n-ost.de. Alle bisher erschienenen Folgen sind nachzulesen unter www.mediummagazin.de
Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 11. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.