Im Namen des Rechts?

Zumwinkel, Tauss, Benaissa, Kachelmann – wann immer ein Prominenter mit der Staatsanwaltschaft zu tun hat, schaut die Medienöffentlichkeit gebannt zu. Immer öfter werden Journalisten dabei selbst zum Spielball mit allen Wassern gewaschener PR-Berater, denen es längst nicht mehr nur um das Image ihrer Mandanten geht, wie im Internet plakativ nachzulesen ist: „Litigation-PR kann das gerichtliche Klima durchaus im Sinne des Mandanten beeinflussen“, heißt es da auf den einschlägigen Homepages. Und weiter: „Die von uns erarbeitete strategische Rechtskommunikation mit der juristischen Strategie von Top-Anwälten kann zu einer gewaltigen Kraft verschmelzen, die den Fall in die gewünschte Richtung treibt.“ „Litigation-PR kann erwiesenermaßen die Ermittlungsrichtung der Staatsanwaltschaft beeinflussen.“ „Es wird noch immer unterschätzt, dass eine strategisch geschickt eingesetzte Medienarbeit durchaus den Prozessverlauf beeinflussen kann. Justitia ist längst nicht mehr blind: Auch Gerichte urteilen heute erwiesenermaßen mit einem Seitenblick auf die öffentliche Meinung.“

Die dritte Kraft in Rechtsstreitigkeiten.

Litigation-PR steht für strategische Rechtskommunikation oder rechtsstreitbegleitende PR, und die Versprechen der darauf spezialisierten Agenturen sind enorm. Was in juristischen Auseinandersetzungen in den USA seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, wird auch in hiesigen Gerichtssälen immer mehr zur Normalität: Neben Rechts- und Medienanwälten kommt auf Seiten der Verteidigung gerade bei aufsehenerregenden Prozessen im Straf- und Zivilrecht immer häufiger eine dritte Gruppe von Akteuren zum Einsatz: sogenannte Litigation-PR-Berater. Sie bedienen sich nicht nur der Medien, um das Image ihrer Mandanten im und vor allem außerhalb des Gerichtssaals vor, während und nach einem Prozess vor Schaden zu bewahren, sondern geben auch schon mal Studien, Fachaufsätze oder ganze Bücher in Auftrag und beeinflussen Google-Rankings ihrer Veröffentlichungen, um für ihren Fall nützliche Informationen in die Öffentlichkeit zu tragen und so bestenfalls Einfluss auf den Verlauf eines Verfahrens bis hin zur Urteilsfindung zu nehmen. „Wir machen ja nicht nur Medienarbeit, sondern setzen radikal alles ein, was dabei hilft, den Fall zu gewinnen, ob das jetzt Verbände sind, Politiker, Gewerkschafter oder Kirchen“, erklärt Uwe Wolff, Geschäftsführer der auf Litigation-PR spezialisierten Agentur Naima Strategic Legal Services und mit Stephan Holzinger Autor des Buches „Im Namen der Öffentlichkeit“. Das sieht offenbar auch Klaus Tolksdorf, Präsident des Bundesgerichtshofs, so, der beim Jahrespresseempfang seines Gerichts im letzten Jahr bereits vor einem „Sturmangriff“ auf die Rechtsfindung warnte und sich beunruhigt darüber zeigte, dass dieser Zweig der Public-Relations-Arbeit nun auch in Deutschland eine Konjunktur erlebt (FAZ vom 4. Februar 2009): „Urteile auf Grundlage einer manipulierten öffentlichen Meinung kann niemand wollen“, warnte Tolksdorf und forderte die Medien auf, sich nicht missbrauchen zu lassen.

Wie groß der Einfluss von Litigation-PR auf gerichtliche Auseinandersetzungen ist, darüber debattierte bereits Anfang des Jahres der 61. Deutsche Anwaltstag in Aachen. Und auch auf der Tagung der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation am 16. September in München soll der Einfluss von Litigation-PR wieder diskutiert werden. Ein Ansatzpunkt wird dann auch wieder eine Studie von Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung am Institut für Publizistik der Universität Mainz, aus dem Jahr 2006 sein – die bislang einzige dieser Art. Kepplinger befragte 447 Richter und 271 Staatsanwälte dazu, welchen Einfluss Medienberichte auf den Ablauf und das Ergebnis von Strafprozessen haben. Die Ergebnisse spielen den Litigation-Beratern zumindest teilweise in die Hände: „Einen Einfluss der Gerichtsberichterstattung auf die Feststellung der Schuld sehen nur wenige Richter und Staatsanwälte“, sagt Kepplinger, „womit sich der Kern des Verfahrens als weitgehend resistent erweist. Ganz anders sieht es mit dem Strafmaß aus. Nach Aussage eines Viertels der Richter und eines guten Drittels der Staatsanwälte besitzen Medienberichte einen Einfluss auf die Höhe der Strafe. Eine kleine Minderheit erkennt zudem einen Einfluss auf straferleichternde oder strafverschärfende Maßnahmen.“

„Litigation-PR wirkt in den Gerichtssaal hinein“, ist sich auch der Schweizer Litigation-PR-Berater und Betreiber des Krisenblogs Roland Binz sicher, „denn jeder lässt sich von der Öffentlichkeit beeinflussen. Zwar sind für Richter letztlich Recht und Gesetz maßgeblich, aber es gibt immer einen Ermessensspielraum. Und wenn die Öffentlichkeit eine harte Strafe verlangt, dann ist klar, dass das Gericht den Spielraum hier am Ende nach oben eher ausnützt, als nach unten.“ Selbst erfahrene Journalisten wie „Spiegel“-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen teilen diese Einschätzung: „Ich hatte zunächst geglaubt, einem seriös arbeitenden Journalisten müsste alles, was mit Litigation-PR zu tun hat, äußerst suspekt sein. Doch betrachtet man die einseitigen Kampagnen, die einzelne Medien in spektakulären Fällen inzwischen betreiben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Art von Werbung funktioniert. Denn trotz behaupteter Unabhängigkeit: So manches Gericht schreckt vor allzu unpopulären Urteilen zurück.“

„Regelrechte Rampensäue“.

Dass Litigation-PR auch in Deutschland eine immer größere Rolle spielt, hat verschiedene Gründe. Neben einem gesteigerten Medieninteresse an Wirtschaftsprozessen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Prominenten, haben auch die Entprofessionalisierung der Gerichtsberichterstattung, der wirtschaftliche Druck auf die Redaktionen und die deutlich offensivere Kommunikationspolitik der Staatsanwaltschaften – der Uwe Wolff nicht nur ehrenwerte Motive unterstellt – der Litigation-PR in den letzten Jahren das Feld bestellt. „Auch Staatsanwälte können befördert werden“, sagt Wolff und findet drastische Worte: “ Dafür brauchen sie aber ein paar knallige Fälle. Manche mögen auch danach gieren, in die freie Wirtschaft zu wechseln, was einem als kleiner Provinz-Staatsanwalt, den keiner kennt, natürlich nicht gelingt. Darum sind immer mehr Staatsanwälte zu regelrechten Rampensäuen geworden, die nach vorne preschen, sobald sie einen Promi an der Angel haben.“ Diese Prominenten gelte es im Sinne der Unschuldsvermutung bis zu einem Urteil mit allen Mitteln zu schützen.

Was das für Agenturen wie Naima oder Holzinger Associates heißt, lässt sich mit einem Blick auf die Websites feststellen. Von „strategischer Informationsbeschaffung“ ist da die Rede, was nach Aussagen Wolffs auch den Einsatz von Detektiven beinhaltet, von „visueller Umsetzung fallrelevanter Informationen“ (eine Disziplin, die u. a. auf das kollektive Bildergedächtnis abzielt), und von „fallbezogenen psychologischen Evaluierungen“.

Der für Journalisten und Medienbeobachter interessanteste und vielleicht auch kritischste Punkt aber ist die „strategische Informationsverbreitung“. Spätestens hier teilt sich die Litigation-PR-Szene in zwei Lager: jene Berater, die sich ganz im Sinne einer „zurückhaltenden Strategie“ eher als „Öffentlichkeitsarbeiter“ sehen und es sich zur Aufgabe gemacht haben, „alle Medien gleichermaßen zu informieren und nicht mit Indiskretionen zu arbeiten, da sich diese rasch kontraproduktiv auswirken können“, wie es Roland Binz für sich in Anspruch nimmt, und jene, die ganz nach amerikanischem Vorbild „so mit den Medien arbeiten, dass die Perspektive des Mandanten rüberkommt“, wie es Uwe Wolff erklärt, und hinzufügt: „Wir lassen uns auch dafür bezahlen, dass mal nichts veröffentlicht wird, wenn es dazu dient, den Fall zu gewinnen.“

Und die Journalisten?

Welche Rolle spielen sie im Kampf um Wahrheit, Aufmerksamkeit und Image? Gisela Friedrichsen hat beobachtet, dass Litigation-PR immer dort auf fruchtbaren Boden fällt, wo es Medien vorwiegend um Quote und Auflage geht, und gute Recherc
he als zu teuer und zu aufwendig angesehen wird: „Man kommt billig an Exklusiv-Nachrichten, allerdings nur, wenn man die Gegenseite außen vor lässt“, ist ihre Einschätzung. „So manch junger Journalist, der, wenn überhaupt, gerade einen Vertrag für drei Monate errungen hat, ist dankbar für jede Chance, sich zu profilieren. Das ist die Zielgruppe, auf die es Litigation-PR-Leute abgesehen haben.“

Joachim Jahn – promovierter Jurist, FAZ-Wirtschaftsredakteur und frisch gebackener Regino-Preisträger für herausragende Justizberichterstattung – dagegen meint, dass Litigation-PR Journalisten zwar beeinflusse, „aber kein Stück mehr als es durch PR schon immer passiert ist“. Insofern ist Litigation-PR für ihn „ein vollmundiges Versprechen für etwas, das es im Prinzip schon immer gab.“ Ob gut aufbereitete Pressemappen, Schriftstücke oder Unterlagen – Jahn macht keinen Hehl daraus, selbst gelegentlich auf Material von PR-Beratern oder Spin-Doctoren zurückzugreifen: „Ich empfinde die Sachen durchaus als nützlich. Ich weiß ja, aus welcher Ecke sie kommen und glaube zunächst einmal gar nichts, sondern gehe mit großer Distanz an die Sache ran. Auf der anderen Seite wird das meiste, das die einem erzählen, ja doch stimmen, weil die sich ja auch nicht völlig um den eigenen Ruf bringen können. Es sind ja immer dieselben, die einem begegnen.“ Die journalistische Unabhängigkeit jedenfalls sieht er anders als Gisela Friedrichsen durch Litigation-PR nicht in Gefahr. Die scheint eher noch aus einer anderen Ecke zu drohen, wie der Fall Sabine Rückert, Gerichtsreporterin der „Zeit“, zeigt.

Schaler Beigeschmack.

Mitte Juli hatte Marianne Quoirin, freie Journalistin und selbst Gerichtsreporterin, erst im „Kölner Stadt-Anzeiger“ und später in der „Frankfurter Rundschau“ (siehe Link:Tipps) berichtet, Rückert habe den Anwalt von Jörg Kachelmann angeschrieben, ihm eine Kooperation vorgeschlagen und darüber hinaus versucht, einen ihr genehmen Hamburger Anwalt im Verteidiger-Team Kachelmanns zu installieren.

Rückerts Version der Geschichte klingt anders. Gegenüber „medium magazin“ sagt sie: „Nicht ich habe Herrn Birkenstock eine Zusammenarbeit angeboten, sondern er mir. Er rief mich am frühen Morgen des 25. Mai, sein Mandant war kurz zuvor angeklagt worden, an und bot mir, als Gerichtsreporterin der, Zeit‘, die Akten zum Fall Kachelmann an. Von einem Angebot meinerseits kann keine Rede sein.“

Und weiter: „Nach einigen Telefonaten mit Herrn Birkenstock hatte sich der Eindruck, den ich aus den Presseberichten bereits gewonnen hatte, verfestigt: Der Fall sah nicht gut aus für Herrn Kachelmann und ich hatte einen mit der Sache ziemlich überforderten Rechtsanwalt vor mir, der die Verteidigung, die er selbst nicht zustande brachte, nun auch über die Medien führen wollte. Genau das habe ich Herrn Birkenstock in einer Mail auch geschrieben. Und ich schrieb ihm, dass ich mich für seinen Fall nur dann interessiere, wenn ich zu der Überzeugung gelangt sei, dass die Verteidigung mit ihrer Unschuldsbeteuerung richtig liegt. Da ich den Eindruck hatte, dass der Fall ihm über den Kopf gewachsen war, riet ich ihm außerdem, einen weiteren Verteidiger, den er mir gegenüber als seinen alten Freund bezeichnete, mit ins Mandat zu nehmen. Besagter Verteidiger ist Spezialist für Sexualdelikte, er bearbeitet derzeit den siebten Wiederaufnahmefall einer Falschbeschuldigung erfolgreich. Kachelmann konnte von seiner Erfahrung nur profitieren. Allerdings weiß ich nicht, ob dieser Hamburger Spezialist einen derart gegen die Wand gefahrenen Fall überhaupt angenommen hätte. Gefragt habe ich ihn jedenfalls nicht.“

Das Ganze liest sich in Quoirins Veröffentlichungen anders. Für die Berichte der Berufskollegin hat Sabine Rückert nur eine Erklärung: „Birkenstock hat sich über mich geärgert und Frau Quoirin gezielt ins Boot geholt.“ Wie Rückert weiter ausführt, habe sie der Journalistin auf Nachfrage alle Kontakte zu Birkenstock ausführlich beschrieben. Warum Quoirin in ihren Beiträgen dann wesentliche Dinge weggelassen habe, könne sie nur mutmaßen.

Wer hat wen wann und warum angerufen? Wer hat was aus welchem Grund geschrieben? Allein die Beteiligten können das wissen. Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack und die Erkenntnis, dass Journalisten im Umfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen vielen Einflüssen unterliegen und unabhängige Berichterstattung wohl immer mehr zum Wunschdenken wird. Selbst „eine solide Ausbildung, vernünftige Arbeitsbedingungen, ein sicherer Arbeitsplatz und verlässlicher Rückhalt in der Redaktion“, die Gisela Friedrichsen anmahnt, können die journalistische Unabhängigkeit letztlich wohl nicht garantieren, denn Litigation-PR, und das hat der Fall Sabine Rückert einmal mehr gezeigt, lebt von psychologischen Mechanismen, vom Spiel mit Eitelkeiten und der publizistischen Macht, von Befindlichkeiten aller Protagonisten, die keine Ausbildung, und sei sie noch so gut, auszumerzen vermag.

Link:Tipps

Reden vom 61. Deutschen Anwaltstag vom 13. bis 15. Mai 2010 in Aachen zum Thema „Kommunikation im Kampf ums Recht“: http://tiny.cc/rmu27

KStA- und FR-Beitrag zu Sabine Rückert: http://tiny.cc/ou80s und http://tiny.cc/40uj7

Der Blog zum Thema von Dr. Tobias Gostomzyk und Jens Nordlohne: www.litigation-pr-blog.de/

Der Krisenblog von Roland Binz:

http://binz-krisenblog.blogspot.com/

Termin

„Litigation-PR: Alles was Recht ist – Kommunikation rund um den Gerichtssaal“: Tagung der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation am 16. September 2010 in München (Infos unter: http://tiny.cc/fqm6b)

Literatur:tipps

Uwe Wolff, Stephan Holzinger: Im Namen der Öffentlichkeit: Litigation-PR als strategisches Instrument bei juristischen Auseinandersetzungen, Gabler Verlag, 2009

Volker Boehme-Neßler u. a.: Die Öffentlichkeit als Richter? Litigation-PR als neue Methode der Rechtsfindung, Nomos Verlag, 2010

James Haggerty: In the Court of Public Opinion: Winning Your Case with Public Relations, Wiley & Sons, 2003

Hans Mathias Kepplinger und Thomas Zerback: Der Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte: Art, Ausmaß und Entstehung reziproker Effekte. in: Publizistik (54) 2009, S. 216-239 (Studienergebnisse teilweise einsehbar unter: http://tiny.cc/fdkri)

Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 29 Autor/en: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.