Aufsteiger
Mit über 200 Informanten hat er gesprochen, unzählige E-Mails und Papiere ausgewertet, selbst an interne Protokolle der US-Notenbank ist er gekommen: Andrew Ross Sorkin (33) von der „New York Times“ hat mit „Too Big to Fail“ das Buch zur Finanzkrise geschrieben – Enthüllungsjournalismus at its best. Das hat auch Jörg Eigendorf (42) beeindruckt, bislang Wirtschaftsressortleiter bei der „Welt“, der selbst auch einige Enthüllungsgeschichten vorweisen kann, etwa über eine Entlassungswelle bei der Deutschen Bahn (siehe Fragebogen S.66). „Das war eine wirklich investigative Recherche“, sagt Eigendorf über die Arbeit des amerikanischen Kollegen. Seit 1. September leitet Eigendorf jetzt ein neues Ressort, das Ähnliches leisten soll, sieben Mann stark, direkt der Chefredaktion unterstellt, in die Eigendorf gleich mit aufgerückt ist. Ausgestattet seien seine Leute mit viel Zeit und geringem Produktionsdruck: „Je besser die Geschichten, desto weniger müssen es am Ende sein“, sagt er. Aber was heißt investigativ? „Eigentlich sollte jede Recherche investigativ sein“, sagt der neue Chef-Enthüller, sie gehe vorbei an den vorgefertigten, leicht zugänglichen Informationen und versucht die Hintergründe zu einer Nachricht zu erkunden. „Wirklich investigativ wird es meist dann, wenn diejenigen, über die berichtet wird, kein Interesse an einer Veröffentlichung haben.“
Eigendorfs alten Job übernimmt sein bisheriger Stellvertreter, Olaf Gersemann (42). Neuer Stellvertreter wird Jan Dams (40), bislang Korrespondent für Finanzpolitik. Auch eine neue Chef-Korrespondentin für Wirtschaftspolitik soll es geben: Dorothea Siems-Gerstenberger (46), bisher Redakteurin im Politik-Ressort.
Aufstieg auf die zweite Chef-Ebene, die die Koblenzer „Rhein-Zeitung“ nun eingezogen und komplettiert hat: Seit 1. September trägt Peter Burger (52) den Titel „Mitglied der Chefredaktion“, die vom Duo Christian Lindner (50) und Joachim Türk (52) geführt wird. Bereits im Juni war Manfred Ruch (51) als Deskchef und Blattmacher für den gesamten Mantel zum Mitglied der Chefredaktion ernannt worden. Beide sind langjährige RZler (Burger: seit 31 Jahren!, Ruch seit 24 Jahren) und sollen nun in gehobener Position den Wandel der Redaktion in Print und Online mit vorantreiben. Burger, bisher Koblenzer Lokalchef, zeichnet dabei für die elf Lokalausgaben und „deren crossmediale Verbreitung“ verantwortlich, Ruch für die entsprechende Entwicklung der Zentralredaktion.
Das nächste Großprojekt der RZ nimmt derweil Gestalt an: der Blatt-Relaunch im Herbst (mit der Berliner Agentur KircherBurkhard). „Die DNA der RZ soll erhalten bleiben, aber der Schwerpunkt optisch deutlich mehr auf Autorenstücken liegen“, sagt Lindner.
Ganz auf der Linie der offensiven Leserstrategie hat die RZ die Leser zum Mitmachen beim Relaunch aufgerufen: Jeder, der wollte, konnte eine Probenummer anfordern und sie kommentieren – mehrere Hundert fragten nach.
Und in rund zwei Dutzend Veranstaltungen wurde mit den Lesern über die Entwürfe diskutiert, die Ergebnisse in den Relaunch-Prozess integriert. Sozusagen Print 2.0, denn der Claim für den Relaunch-Tag soll den Leser sprechen lassen: „Ich habe die neue RZ gemacht.“
Das Wirtschaftsressort der „Augsburger Allgemeinen“ hat einen neuen Leiter. Stefan Stahl (44) ist Nachfolger des langjährigen Chefs Klaus Köhler, der in den Ruhestand gegangen ist. Stefan Stahl ist seit 1993 für die Presse-Druck- und Verlags-GmbH tätig, in der die „Augsburger Allgemeine“ mit ihren Heimatzeitungen erscheint. Seit 1995 gehört er zur Wirtschaftsredaktion der „Augsburger Allgemeinen“. Hier zeichnet der gebürtige Münchner seit 2001 für Wirtschaftspolitik verantwortlich.
Sascha Priester (38), bereits seit 2007 Redaktionsleiter von „P.M. History“ und „P.M. Perspektive“, ist im Juli zum Chefredakteur beider Magazine ernannt worden. Außerdem ist der promovierte Archäologe und Historiker auch Chef des vierteljährlich erscheinenden Titels „P.M. Biografie“. Herausgeber der gesamten P.M.-Gruppe bleibt Hans-Hermann Sprado.
Umsteiger
Zum Abschied haben ihm seine Kollegen die heftigsten Szenen zusammengeschnitten: wie er sich windet auf dem Boden einer öffentlichen Toilette, wie er vermummt auf der Frankfurter Buchmesse rumpöbelt, wie er Charlotte Roche sein rasiertes Bein entgegenstreckt und seufzt: „Ich wusste, Sie stürzen sich gleich auf den Wundschorf.“ In seinem Videoblog verwandelte sich Daniel Haas (43) Kulturredakteur bei „Spiegel Online“, regelmäßig in einen Guerilla-Feuilletonisten, der den Kulturbetrieb aufmischt; scharf im Sound und selbstironisch. Es war die Fortsetzung seiner Text-Kolumne „Verstehen Sie Haas?“ mit anderen Mitteln. „Wir haben versucht, Kulturkritik zu betreiben, die sich nicht scheut, Massenphänomene mit einem anspruchsvollen Instrumentarium zu lesen“, sagt Haas. Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Information, zwischen Hoch- und Popkultur verwischen, das war die Idee – Hegel, Hegemann, Hollywood.
Seine Online-Karriere startete er als freier Autor in Hamburg vor allem mit Film- und Fernsehkritiken, dann vor sechs Jahren Redakteursvertrag bei „Spiegel Online“, Wechsel ins Berliner Büro. Nun, einen Roman („Desperado“) und etliche Kolumnen später, wird der Guerilla-Feuilletonist zum Literaturkritiker: Ab 1. Oktober gehört er zum Team von Felicitas von Lovenberg im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“. Er habe Respekt vor der großen Tradition der FAZ, wolle eintauchen in die Spezialistenkultur, aber auch seinem eigenen Sound treu bleiben: „Ich werde versuchen, ihn zu verfeinern.“ Los geht’s auf der Buchmesse, diesmal nicht vermummt. Aber Haas trägt eh viel lieber ein gebügeltes Hemd als Kapuzenpulli.
Unabhängiger Journalismus in einer Zeitung, die von der SPD herausgeben wird – geht das? Klar, findet Uwe Knüpfer (55), der ab 1. Oktober als „Vorwärts“-Chefredakteur das Traditionsblatt verantwortet (Auflage rund 455.000). „Sonst hätte man mich nicht geholt“, sagt der Mann, der von 2000 bis 2005 die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ „WAZ“ in Essen leitete und danach versuchte, mit „Onruhr“ eine Internet-Tageszeitung aus dem Ruhrgebiet zu etablieren. Als das Geld ausging, mutierte „Onruhr“ zur Agentur, die „mittelständische Unternehmen, Verbände und Organisationen bei der Verbesserung ihrer internen Kommunikation und ihrer Pressearbeit“ unterstützt, wie es auf der Website heißt. Ganz früher war Knüpfer auch mal Sprecher einer SPD-Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles betont, Knüpfer sei ein Journalist „mit großer Erfahrung, mit hoher Reputation und Unabhängigkeit“.
Vor allem Letzteres ist ihm selbst wichtig: Er wolle mit dem „Vorwärts“ einfach guten Journalismus machen, „solide Recherche, gute Schreibe“. Das Konzept seines Vorgängers Uwe-Karsten Heye (69), Ex-Regierungssprecher unter Gerhard Schröder, fortsetzen und weiterentwickeln. „Wir machen nicht SPD Aktuell“, sagt Knüpfer, sondern ein unabhängiges Monatsblatt. Ein bisschen was hat er da noch zu tun; das Inhaltsverzeichnis der letzten Ausgabe beginnt so: „Wie Deutschland besser regiert werden kann, erklärt SPD-Chef Sigmar Gabriel“; es folgen eine Geschichte über die „Kanzlerin der Armut“ und eine zum Thema „Gute Gründe für Rot-Grün“.
Und ausserdem
Anne Will (44) schweigt. Gerade wurde der ARD vom Kölner Verwaltungsgericht bescheinigt, dass Günther Jauchs (54) künftiges Engagement keine Verschwendung von Gebührengeldern sei und der Ablösung von Anne Will durch ihn somit nichts entgegensteht. Doch wie es mit der Talkmasterin weitergeht, ob sie bei der ARD bleibt, welches Verhältnis sie zu ihrem Nachfolger hat – dazu möchte Will sich derzeit nicht äußern. Statt in öffentlichen Auseinandersetzungen zieht Will die Fäden im Hintergrund. Bis zur Sommerpause 2011 läuft die Sendung „Anne Will“ nach Angaben der ARD-Pressestelle regulär weiter. Will solle auch danach für die ARD arbeiten, doch was genau, könne im Moment niemand sagen. Vielleicht bringt die nächst
e Intendantensitzung der ARD am 13. und 14. September darüber Klarheit.
Katrin Müller-Hohenstein (45) geht nun für ihren Haussender auf Werbetour: Die freie Sportmoderatorin in ZDF-Diensten soll potenziellen Reklamekunden das Programm für 2011 nahelegen – Seit‘ an Seit‘ mit Frauen-WM-Organisatorin Steffi Jones. Chefredakteur Peter Frey sagt dazu: „Ich freue mich, dass sie ihre Prominenz für den eigenen Sender einsetzt.“ Im Juni hatte ihn „medium magazin“ mit dem Engagement seiner Moderatorin für die Molkerei Weihenstephan konfrontiert. Frey sagte damals, der Auftritt sei „nicht glücklich“ und könne „so nicht bleiben“. Müller-Hohenstein hatte daraufhin ihr Engagement abgebrochen, ihren Auftritt als „Fehler“ bezeichnet und beteuert, es sei nie ihre Absicht gewesen, zu werben. „Damit ist die Sache erledigt“, sagt Frey heute. „Sie hat schnell und richtig reagiert.“ Es habe zudem „nie eine Verstimmung“ zwischen ZDF und Müller-Hohenstein gegeben (s. a. www.mediummagazin.de).
Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 62 bis 62 Autor/en: Interview: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.