Spekulationsverbot

Und täglich grüßt das Murmeltier: Schon wieder verhängt das Landgericht Hamburg einen Maulkorb. Diesmal im Mittelpunkt: Spekulationen über Michael Ballack und den Fortgang seiner Karriere. Das Urteil dürfte für weitere Unsicherheit in der Berichterstattung sorgen.

Der Fall:

Eine ostdeutsche Illustrierte hatte über die Knöchelverletzung des Nationalspielers berichtet, die diesem kurz vor der Weltmeisterschaft bei einem Punktspiel zugefügt wurde. Im Text wurde auch über die Folgen spekuliert. Tenor: Ballack ist 34, die Knöchelverletzung schwer, das bedeutet wohl das Karriereende. Auch wenn sich diese Prognose als falsch herausstellte – Ballack, der sich gerade in einer veritablen Schlacht um seinen Einfluss in der Nationalmannschaft befindet, sah offenbar seinen Ruf und seinen Marktwert bedroht und zog gegen die Illustrierte vor Gericht. Ballack, damals angestellt in London, nun in Leverkusen, beantragte die einstweilige Verfügung gegen die Illustrierte aus Berlin natürlich in Hamburg. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Richter erließen die Verfügung nicht nur, sondern bestätigten sie auch nach der mündlichen Verhandlung (Az. 324 O 270/10, noch nicht veröffentlicht).

Das Urteil:

Das Landgericht Hamburg verbot der Beklagten, weiter zu spekulieren, die Verletzung könnte das Karriereende Ballacks bedeuten. Damit hat das Landgericht Hamburg erneut eine Linie überschritten. Bislang galten wertende Äußerungen über künftige (Nicht-)Entwicklungen, also Prognosen und Spekulationen ohne weiteres als von der Meinungs- und Pressefreiheit geschützt, wenn sie auf zutreffenden Grundannahmen beruhen. Nur das Landgericht Hamburg sieht das mal wieder anders: Die (zum Veröffentlichungszeitpunkt nicht abwegige) Prognose, die Verletzung bedeute das Karriereende für Michael Ballack, bewerteten die Richter als Tatsachenbehauptung. Und einen Beweis, dass die Spekulation der Wahrheit entsprach, konnte die beklagte Illustrierte nicht führen.

Die Folgen:

Keine gute Nachricht: Das Landgericht Hamburg hat eine neue Front eröffnet. Gerade für die gerne spekulierenden Boulevard-Blätter steigt damit das Risiko für kostenträchtige Verfahren. Eigentlich sind nach dem Grundgesetz Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet. Das gilt zunächst – bis zur Grenze der sogenannten Schmähkritik – eigentlich unbeschränkt für Meinungen, also Werturteile, Schlussfolgerungen, politische Auffassungen, Vermutungen, Glaubensfragen, Weltanschauungen und sonstige subjektive Ansichten. Tatsachenbehauptungen hingegen sind Äußerungen über Geschehnisse, die objektiv nachprüfbar sind. Im Unterschied zur Meinung sind Tatsachenbehauptungen nur geschützt, wenn sie wahr sind, wobei der Äußernde die Wahrheit im Streitfall beweisen muss. Die Trennung zwischen Meinung und Tatsache ist nicht immer einfach: Manche Meinungen enthalten einen Tatsachenkern, manche Tatsachenbehauptungen haben einen wertenden Charakter. Die Hamburger Richter – aufgrund des fliegenden Gerichtsstands für Presseveröffentlichungen so gut wie allzuständig – haben nun deutlich gemacht, dass für sie so gut wie jede Anknüpfung an ein tatsächliches Geschehen ausreicht, um eine Äußerung dem Schutz der Meinungsfreiheit zu entziehen. Eine Spekulation, ob die von der Beklagten angekündigte Berufung Erfolg haben wird, verbietet sich deshalb an dieser Stelle.

Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 56 bis 56. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.