01. … dass manchen Medien das Urteil über den Media Tenor egal ist?
Das Institut Media Tenor (ehemals Medien Tenor) ist höchst umstritten. Warum das so ist? Die taz und das NDR-Medienmagazin „Zapp“ berichteten: Es gab Manipulationsvorwürfe, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, von Pfändung und Bilanzfälschungen war die Rede; im Zuge eines Insolvenzverfahrens kam es zur Firmenumbenennung mitsamt Umzug in die Schweiz. Zuletzt musste sich der Gründer Roland Schatz vor dem Landgericht Bonn verantworten. Es ging um Untreue in mehreren Fällen, um betrügerischen Bankrott und anderes mehr. Das Urteil: ein Jahr und zehn Monate Haft, für drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt.
Blättern wie „Wirtschaftswoche“, „Hamburger Abendblatt“ und „Spiegel“ scheint das egal zu sein. Sie melden weiterhin, wie häufig sie laut Media Tenor von anderen Medien zitiert werden. Warum nur?
Beim „Spiegel“ scheint man sich das auch zu fragen. Dort nimmt man das Ranking „nicht besonders ernst, aber wenn schon jemand die Erbsen zählt, kann man das doch erwähnen“. Das „Abendblatt“ zieht vor, zur Sache zu schweigen. Immerhin WiWo-Chefredakteur Roland Tichy reagiert auf Nachfrage. Er sagt, „Solange es keine vergleichbare Untersuchung gibt, melden wir unsere Position im Zitate-Ranking von Media Tenor so, wie wir das auch bei der Media-Analyse oder anderen Studien tun.“ Lieber wäre Tichy allerdings eine Alternative zu Schatz‘ Zitate-Ranking. Die gibt es: von der PMG, der Presse Monitor GmbH. An ihr sind neben den Verbänden VDZ und BDZV mit je einem Prozent sieben Verlage mit je 14 Prozent beteiligt: Springer, Gruner + Jahr, Burda und Spiegel, FAZ und Süddeutsche Zeitung sowie die Verlagsgruppe Handelsblatt. Das Angebot hat die PMG aufgebaut, nachdem von Verlagsseite der Wunsch nach einer Alternative zu Schatz‘ Untersuchung geäußert wurde. „Anders als Media-Tenor wertet die PMG alle Zitate aus und nicht nur jene von Politik- und Wirtschaftsseiten“, sagt der dafür zuständige Leiter des Bereichs Medienanalyse, Andree Blumhoff. Zudem würden mehr Regionalzeitungen berücksichtigt.
Tichy kennt das Zitate-Ranking der PMG, bemängelt daran allerdings, dass dieses Angebot erst seit Juli 2009 existiert, also nicht lange genug, um eine „valide Zeitreihe“ und damit Vergleiche zu den Vorjahren anzustellen. Das sei ihm wichtig, denn die Ergebnisse dienten ihm als Indikator für die Arbeit der Redaktion bzw. für die Relevanz der von ihr exklusiv erarbeiteten Recherchen. Wobei: Redakteure zum Jagen nach zitierfähigem Material anzutreiben, ist Tichys Ziel nicht. Anders sein neu zum „Handelsblatt“-Chefredakteur berufener Kollege Gabor Steingart, der jenem Redakteur einen Bonus von 3.000 Euro verspricht, dessen Storys am Jahresende am häufigsten von Nachrichtenagenturen aufgegriffen werden.
Zweifel seien erlaubt, ob die Zahl der Zitate etwas über die Relevanz und Richtigkeit einer Meldung aussagt. Manche als exklusiv verbreitete Äußerung irgendwelcher Hinterbänkler oder Prominenter zeugt mehr von Exklusivitis denn von Qualität.
02. … dass Jo Groebel wegen taz-Redakteur Steffen Grimberg nicht zur Jahrestagung des Netzwerk Recherche erschien?
Wie so oft bei Kongressen gab es auch beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche vor ein paar Wochen zahlreiche Programmänderungen. Manche waren sehr kurzfristig, zum Beispiel die Absage des „omnipräsenten Medien-Experten“ Jo Groebel, mit seinem Kritiker, dem Blogger Stefan Niggemeier, über „Kompetenzen und Grenzen von Medien-Experten“ zu diskutieren. Warum er absagte? Ursprünglich sollte das Gespräch eine Redakteurin des NDR moderieren. Dann erfuhr Groebel, dass taz-Medienredakteur Steffen Grimberg diesen Part übernimmt: „Ich musste davon ausgehen, dass ich es nicht mit einem Kritiker und einem neutralen Moderator, sondern gleich mit zwei Gegnern zu tun habe. Das musste ich mir wirklich nicht antun.“ Grimberg wundert sich: „Und das vom Steher Jo Groebel! Selbstverständlich wollten wir ihn nicht an den Pranger stellen, sondern waren an einer ordentlichen Auseinandersetzung interessiert. Ich bin schwer enttäuscht. Normalerweise nimmt er es doch mit ganz anderen Mächten auf.“
03. … dass Thomas Leif bei der Netzwerk-Recherche-Tagung die Gulaschkanone bediente?
Groebels Absage kam derart kurzfristig, dass sie nicht einmal in die aktualisierten Programme Einzug fand. Die bunten Zettel lagen bei der Netzwerk-Recherche-Tagung überall herum und waren unter den Teilnehmern heiß begehrt. Aber was stand da? Groebel diskutierte plötzlich mit Niggemeier und Grimberg nicht über „Kompetenzen und Grenzen von Medien-Experten“, sondern darüber: „Wer war öfter bei Zapp?“ An anderer Stelle war nicht mehr Uwe Krüger von der Uni Leipzig vorgesehen, sich mit der Problematik „Top-Journalisten und ihre Nähe zu Politik und Wirtschaft“ auseinanderzusetzen; nun stand zu diesem Thema auf dem Programm: „Peter Hahne präsentiert seine Spesenabrechnungen“. Es gab viele weitere Programmaktualisierungen: Der tatsächlich als Referent geladene Günter Wallraff führte nun durch einen Perückenkurs. Zur Frage „Wer finanziert künftig Qualitäts-Journalismus“ war N. N., also doch keiner gefunden, der eine Antwort hätte. Spätestens beim Programmpunkt „Mittagspause“ war klar: ein Fake. Da hieß es über den ersten Vorsitzenden des Vereins Netzwerk Recherche: „13 Uhr: Thomas Leif bedient eine Gulaschkanone“.
Die Veranstalter reagierten: Kongresshelfer wurden postiert um aufzupassen, dass kein weiteres der perfekt imitierten Programme zwischen die Originale schummelt. Vergeblich: Sie tauchten immer wieder auf.
Wer steckte dahinter? Ein Mittelsmann arrangierte den Mail-Kontakt. Es kam folgende Antwort: „Vielen Dank für Ihr Interesse an der ARD (Anarchistische Rechercheure Deutschlands)“ (…) „Wie viele wir sind? Wir haben unsere Persönlichkeiten noch nicht gezählt (Doris-Heinze-Syndrom). – Was treibt uns an? Die Selbstgerechtigkeit, mit der Kritik geübt wird an allen (den bösen Bloggern, dem dämlichen Publikum, den raffgierigen Verlegern, den fiesen PR-Verführern), außer an sich selbst. Die Absurdität, Kommerzialisierung von Journalismus zu kritisieren, während man gleichzeitig genau daraus ein Geschäft mit einem eigenen T-Shirt-Stand macht“ (Anm. d. Red.: Es gab Shirts mit Netzwerk-Recherche-Logo und der Journalistenregel „Be first, but first be sure“). Unterzeichnet ist die Mail mit: „i.V. die einzig wahren ARD-Gremlins“.
PS. Zum Vergleich das Original www.netzwerkrecherche.de/files/nr-jt2010-programm-20100707.pdf, ;
Die Fälschung http://bit.ly/9X91La
04. … dass die „Bild“-Berichte über Griechenland und den Euro ein Nachspiel haben?
Im Frühjahr attestierten Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt der Wirtschaftspresse, in der Finanzkrise gescheitert zu sein. Die nächste Studie, erneut finanziert von der IG-Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung, beschäftigt sich mit der Griechenland- und Eurokrise am Beispiel von „Bild“. Der Kommunikationswissenschaftler Arlt und Storz, ehemals Chefredakteur der Mitgliederzeitschrift „Metall“ und dann der „Frankfurter Rundschau“, wollen herausfinden, wie „Bild“ Meinung zu bedienen und zu formen versucht. Unsere (chronologische) Auswahl an „Bild“-Schlagzeilen gibt Hinweise:
„Macht Deutschland wieder den Zahlmeister?“, „Reißt Griechenland die deutschen Banken in die Pleite?“, „Experte fordert Euro-Teilung“, „Griechen streiten und streiken, statt zu sparen“, „Griechen rufen zum Boykott deutscher Waren auf“, „So verbrennen die Griechen die schönen Euros“, „Kein Geld für Griechenland!“, „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen – … und die Akropolis gleich mit!“ „Deutschland darf nicht für die Zocker bluten“, „Ihr griecht nix von uns!“, „Haben die Griechen Anspruch auf Kriegs-Entschädigung?“, „Griechen die Griechen jetzt doch noch Geld?“, „Frau Merkel, bleiben Sie bei Ihrem Nein!“, „Nie wieder Zahlmeister Europas!“, „Pleite-Staaten raus aus dem Euro“, „Kriegen die Griechen jetzt doch 8,4 Milliarden von uns?“, „Muss Deutschland mehr als 30 Milliarden geben?“, „Griechen
wollen unser Geld“, „Tretet aus, ihr Griechen!“, „Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxus-Renten?“, „Und was ist mit uns?“, „Wer hat die Griechen eigentlich in den Euro gelassen?“, „Wir sind wieder mal Europas Deppen!“, „Griechenland-Reisen besonders günstig“, „Sehen wir unsere Milliarden nie wieder?“
Anfang 2011 sei mit den Ergebnissen der Studie zu rechnen, sagt Storz. Wir sind gespannt.
Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 12 bis 13 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.