Twittern schwer gemacht

Live-Übertragungen aus deutschen Gerichtssälen sind verboten – wenn es sich um Ton- oder Bildaufnahmen handelt. Was aber ist mit Live-Berichterstattung via Twitter?

Der Fall

Vor dem Koblenzer Landgericht muss sich zurzeit ein Mitglied der einschlägig bekannten Rockerbande Hells Angels wegen Mord an einem Polizisten verantworten. Wenig verwunderlich, dass das Interesse der Öffentlichkeit an dem Verfahren groß ist. Auch ein Redakteur der „Rhein-Zeitung“ saß im Gerichtssaal. Mit einem iPad twitterte er nahezu ohne Zeitverzögerung das Prozessgeschehen. Der Vorsitzende Richter wollte sich das nicht gefallen lassen – und verbot kurzerhand die Live-Berichterstattung per sitzungspolizeilicher Verfügung. Eine Begründung für das Tippverbot gab es nicht, dafür offenbar eine wenig charmante richterliche Warnung an den Redakteur: „Sie werden in Zukunft Probleme haben.“

Die Rechtslage

Fernseh- und Radioaufnahmen sind in deutschen Gerichtssälen verboten: „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig“, schreibt das Gerichtsverfassungsgesetz vor. Nicht verboten sind demnach Textnachrichten – zumindest nicht von Gesetz wegen. Jeder Richter kann aber per sitzungspolizeilicher Maßnahme dasjenige anordnen, was seiner Meinung nach zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlich ist. Wer sich daran nicht hält, dem droht Ordnungshaft oder Ordnungsgeld.

Für das Twitterverbot gibt es durchaus Gründe: So könnten sich draußen wartende Zeugen informieren, was der Vorgänger ausgesagt hat – gerade in Fällen, in denen Absprachen zu erwarten sind, eine durchaus ernstzunehmende Sorge. Auch können auf 140 Zeichen die Anforderungen der Rechtsprechung an eine ausgewogene, alle Seiten berücksichtigende Verdachtsberichterstattung kaum eingehalten werden. Mit den „lauten Tippgeräuschen“, wie so mancher Richter bislang das Verbot von Laptops begründet hat, kann ein iPad allerdings kaum mehr ins prozessuale Exil geschickt werden.

Die Folgen

Bis der Gesetzgeber eine eindeutige Regelung schafft, bleibt es dem Wohlwollen der jeweiligen Richter überlassen, ob die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal via Twitter und anderen Webdiensten gestattet wird. Gegen ein solches Verbot kann man auch vorgehen – mit dem ganz großen Kaliber der Verfassungsbeschwerde, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, wenn das Verbot noch andauert. Die, die es auf diesem Weg versucht haben, haben sich aber meist die Zähne ausgebissen – obwohl Journalisten für sich immerhin das gewichtige Grundrecht der Pressefreiheit in Stellung bringen können. Meist wertete das Gericht den drohenden Schaden für die Angeklagten höher als den Schaden, der durch eine unrechtmäßige richterliche Anordnung für die Presse eintritt.

Am Ende werden derartige Verbote aber wohl eher wirkungslos sein: Schließlich ist die Verhandlung öffentlich und das heißt, dass auch die Tür zum Gerichtssaal grundsätzlich nicht verschlossen sein darf. Eine kurze Erholungspause vor der Tür nach einem spannenden Verhandlungsteil aber, oder den dringenden Gang zum Örtchen, kann ein Richter nur selten verwehren. Und ob draußen jemand ein iPad hat – das entzieht sich der Saalgewalt auch des strengsten Richters.

Erschienen in Ausgabe 10+11/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 44 bis 45. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.