Agenturen als Produktentwickler

Im Wettstreit der Nachrichtendienstleister geht es nicht mehr bloß um die schnellsten Schlagzeilen und originellsten Bilder. Die großen Agenturen stellen sich verstärkt als üppige Servicezentralen für Verlage, Sender und Online-Portale auf. Ein regelrechter Kampf um die beste technische Schützenhilfe ist so ausgebrochen, von dem besonders eine Gruppe profitieren dürfte: die Kunden.

Beispiel dpa

Parallel zur Modernisierung des Mutterschiffs Deutsche Presse-Agentur dpa erfährt ihr Multimedia-Arm – die 100-prozentige Tochter dpa-Infocom – derzeit eine enorme Aufwertung. Die Einheit um Meinolf Ellers und Christoph Dernbach hat lange vor allem das Angebot des großen Bruders für Web- und Mobilredaktionen konfektioniert. Nun rückt sie verstärkt in den Fokus: So hat Ellers vor einem Jahr das „dpa Newslab“ aufgebaut – laut Selbstbeschreibung die „Innovationseinheit der dpa“. Kopf dieser Gruppe ist der Diplom-Informatiker Gerd Kamp, der zuvor bei Sport1 und Multimedia-Töchtern des Bertelsmann-Konzerns Erfahrung sammelte. Kamps Mission bei der dpa ist es nach eigenem Bekunden, eine „Brücke zwischen Redaktion und Technologie“ zu schlagen.

Ellers sagt, diese Einheit verkörpere, „was man im besten Sinne mit Betakultur bezeichnet“. Sein Newslab solle nicht weniger als „Technologie-Scouting betreiben, sich auf Kongressen tummeln, Ideen aufsaugen und mit ihnen experimentieren“.

Das Konzept ist nicht neu, leitet aber in den lange arg verkrusteten Strukturen hiesiger Agenturen einen Kurswechsel ein: Nach dem Google-Prinzip, nicht erst auf fahrende Züge aufzuspringen, sondern selbst die Weichen zu stellen, soll das Lab wie ein Radar neue Herausforderungen frühzeitig erfassen und Lösungen entwerfen, bevor es andere tun.

Entsprechend bezeichnet Ellers das Team um seinen Spitzeninformatiker Kamp gerne als „Vorfeld-Produktentwicklung“. Deren Überlegungen sollen bestenfalls bereits ausgereift in der Schublade bereitliegen, um auf Anforderungen schnell reagieren zu können.

Zum Beispiel so: Als Wolfgang Büchner Mitte 2009 von „Spiegel Online“ als designierter Chef zur Agentur stieß, wünschte er sich einen Verkürzer für die teils arg verschachtelten Internetadressen. Seine Leute sollten so in dpa-Meldungen auf Unterseiten von Unternehmen und Ministerien verlinken können. Die dpa wollte ihren Kunden ersparen, auf Dokumentsuche gehen zu müssen. Kamp hatte sich da längst erkundigt, wie URL-Verkürzer à la bit.ly unter der Haube funktionieren. Nur ein paar Tage später konnte so dpaq.de starten, das die dpa inzwischen als Lösung auch an Externe verkauft hat. Dieser Fall zeigt geradezu bilderbuchhaft, wie die Infocom zu eigenem Geld kommen kann, um so die Kernaktivitäten der dpa finanziell zu stützen: Die Technik „dpaq“ haben sich inzwischen mehrere Verlage lizenziert. Erste Kunden dieser Lösung aber waren sogar Branchenfremde: die Umweltschützer von Greenpeace.

In der digitalen Welt will sich die dpa nach der Denke des Internet-Gurus Jeff Jarvis im Mittelpunkt eines Netzwerks positionieren. „Wir arbeiten an einer völlig neuen Form, wie wir mit unseren Kunden in eine Arbeitsteilung eintreten können“, sagt Ellers. Herauskommen soll die „open dpa“, wie sie das Projekt intern nennen. Damit es dazu kommt, braucht es vor allem eines: intelligente technische Entwicklungen.

Prinzip Partizipation

Büchner selbst macht mit seiner Kunden-Plattform „dpa News“ bereits vor, wohin die Reise geht. Er lässt Redakteure in Sendern und Verlagen das Angebot der dpa live kommentieren und gibt an seine Kunden zudem möglichst viele Kontaktdaten und Hinweise auf Originalquellen weiter. Die dpa will sie damit in die Lage versetzen, die Flut der Agenturmeldungen mit Eigenrecherchen anzureichern und ihre Inhalte so von denen der Konkurrenz unterscheidbar zu machen.

Die Agentur der Zukunft lässt ihre Kunden folglich an den Arbeitsweisen und Systemen der eigenen Redaktion partizipieren und öffnet dafür unter anderem ihre Systeme für die Terminerfassung, die Planung der Berichterstattung und externe Quellen. Der finanzlastige Dienst Reuters zeigt, wie es geht: Sein gerade gestartetes Edelprodukt „Eikon“, ein sogenannter Terminal für Börsenhändler aus eigener Soft- wie Hardware, verknüpft das klassische Agenturmaterial mit Fremdberichten: Was Reuters meldet, wie sich die Kurse entwickeln – all das analysieren die Berichterstatter von Reuters ebenso in Echtzeit wie die Kunden untereinander (s. a. Beitrag von Reuters-Chef Chris Ahearn S. 42 f.). Die Offenheit geht sogar so weit, dass Reuters seine einst exklusive Plattform für die Dienste von Mitbewerbern wie Dow Jones öffnet.

Bei der dpa wollen sie ihren Kunden ebenfalls die eigenen Werkzeuge an die Hand geben, mit denen etwa Metadaten von Texten, Bildern und Videos erfasst werden können, um eine einzelne Recherche in mehrere Produkte auszuspielen – Herausforderungen, vor denen Agenturen seit jeher stehen, die nun aber auch viele Medienhäuser erreicht haben.

„Wir wollen unsere Infrastruktur für unsere Kunden öffnen und mit ihnen stärker im Netzwerk denken“, sagt Ellers dazu. Dieses Thema ziehe sich „wie ein roter Faden durch unsere gesamte Arbeit“. Das Modell der Genossenschaft zahlt sich für die dpa hier zweifellos mehr denn je aus. Keine andere Geschäftsform drückt deutlicher aus, dass ein Unternehmen für seine Kunden mehr als ein Lieferant ist. Ellers Konzept: „Mediengeführte Nachrichtenagenturen wie die dpa bilden mit ihren Gesellschaftern in der Digitalisierung eine Schicksalsgemeinschaft.“

Beim Thema iPad zeigt Ellers, was das in der Praxis heißt: Unter anderem mit der DuMont-Gruppe als Pilotkunde hat die dpa-Infocom schon lange vor dem Hype der Tablet-Rechner getestet, wie sich die Produktion für diese Plattformen in den Redaktionsalltag einer Tageszeitung integrieren lässt. Mit der „Frankfurter Rundschau“ bastelte die dpa zudem früh an ersten Modellen für eine täglich aktualisierte iPad-App, getrieben von dem beiderseitigen Ziel, mit dem neuen Format zu experimentieren.

Die Redaktion am Main ging für die Markteinführung bekanntlich dann doch einen anderen Weg. Mit der „Schwäbischen Zeitung“ aber wird die dpa in Kürze gemeinsam auf den Markt kommen. Sogar die WAZ-Gruppe – die im klassischen Nachrichten-Geschäft auf dpa verzichtet – kommt über diesen Umweg zurück: Eine jüngst gestartete Fußball-App des Essener Zeitungshauses, die „WAZ Dauerkarte“, wird unter anderem auch von der dpa-Tochter Infocom gefüttert.

Die Aktivitäten der Konkurrenten

Auch andere Agenturen sind dabei, nicht nur mit Texten und Bildern um Kunden zu werben – doch mit deutlich anderen Ausgangslagen. Was die Agence France-Presse (AFP) bietet, kommt beispielsweise von der Stange und ist nicht mehr als eine sogenannte White-Label-Lösung, die sich nur rudimentär mit eigenen Inhalten unterfüttern lässt. Das wird sich auch nicht gravierend ändern, wenn bis zum Jahreswechsel eine Entwicklung für das iPad folgt.

Und der dapd um Chefredakteur und Geschäftsführer Cord Dreyer hat zwar Anfang 2010 den Münchner Mobil-Spezialisten Airmotion übernommen. Anders aber als die dpa-Infocom hat Airmotion bisher kaum Erfahrung im Geschäft mit Verlagen. Top-Kunden sind vor allem Mobilfunkbetreiber wie Vodafone.

Dreyer ließ zwar schon im Sommer verlautbaren, Apps für iPhone und iPad als Lösungen für Verlage würden folgen. Doch auch wer tief in den Markt hineinhorcht, hört von laufenden Projekten nichts. Dreyer selbst schweigt sich zur Auftragslage aus. Eine Sprecherin gibt lediglich an, der dapd entwickle „aktuell“ eine mobile Applikation „für eine große regionale Zeitungsgruppe“. Überdies folgt ein neuer Seitenhieb auf den Marktführer:
Der dapd benötige nämlich „keinen Think Tank im Sinne eines Newslabs“, denn bei ihm gebe es „keine schwer aufbrechbaren Strukturen“.

Die Agentur, die laut ihren Eigentümern den Marktführer dpa „verzichtbar“ machen soll, plagen ohnehin eigene Probleme. Wie Büchners „dpa News“ hat zwar auch sie einen „dapd Newsplaner“ gestartet. Der aber ist allein für die eigenen Redakteure schon derart kompliziert, dass ein interner Leitfaden den Titel „Versuch einer Anleitung“ trägt.

Wie lukrativ das Geschäft mit Branchenlösungen letztlich sein kann, macht die Austria Presse-Agentur (APA) vor. Die Wiener beliefern sogar andere Agenturen mit ihren eigenen Lösungen: Ihr Redaktionssystem „Mars“ läuft seit diesem Spätsommer auf den Rechnern des dapd. Und die AFP lässt ihre mehr als 1.500 Reporter gerade mit einem ausgeklügelten APA-Kalender vernetzen. Der soll helfen, die eigenen Journalisten effizienter einzusetzen und Doppelarbeit zu vermeiden.

Die APA-IT ist zudem technischer Dienstleister für etliche Archive wie für fast alle österreichischen Blätter aber auch für hiesige wie die „Süddeutsche Zeitung“. Hinzukommt, dass viele Webseiten in Österreich auf APA-Rechnern laufen. Zu Spitzenzeiten greift gar einer von drei Internetnutzern in der Alpenrepublik auf die Server der Agentur zu. Kein Wunder also, dass die anderen Agenturen begehrlich über die Alpen zu den Kollegen sehen. Seit kurzem arbeitet die dpa-Infocom bei iPad-Entwicklungen mit der APA Hand in Hand.

Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 44 bis 45 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.