Doppelter Streitfall

„Es tun sich ja hoffnungsvolle Lösungen auf“, sagt Wolfgang Blau, Chefredakteur von „Zeit Online“ im Titel-Gespräch. Vom grassierenden Pessimismus in der Medienbranche hält er nichts, ebensowenig wie Gabor Steingart, Chefredakteur des „Handelsblatt“. Doch damit endet auch schon fast die Einigkeit der beiden, die wir für unseren Themenschwerpunkt Zukunft zum Streitgespräch über die Wege von Print und Online gebeten haben.

Während Gabor Steingart reklamiert: „Was bei Edeka, Kaufhof und Zara gilt, muss auch im Mediengeschäft gelten: Immer an der Kasse vorbei“, hält Wolfgang Blau es für fatal, wie zur Zeit über Bezahlschranken als Allheilmittel für die Medienbranche diskutiert wird. Denn, so argumentiert er: „Ich glaube, dass sich der Journalismus kollaborativ weiterentwickelt und wir zum Beispiel bestimmte Recherchen nur gemeinsam mit unseren Lesern verwirklichen können.“ Dazu aber brauche es eine relevante Reichweite: „Jetzt eine Paywall herunterzulassen, würde diese Zukunft unmöglich machen.“ (Seite 22ff.)

Das Gespräch der beiden steht symptomatisch für den Richtungsstreit der Medien, den die Wirtschafts- und Finanzkrise zusätzlich befeuert – und die dunkle Schatten auch für die aktuellen Tarifverhandlungen in der Zeitungsbranche wirft. Seit September verhandeln die Tarifpartner – der Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger (BDZV) einerseits, die Gewerkschaften DJV, DJU und Verdi andererseits – einen neuen Gehalts- (GTV) und Manteltarifvertrag (MTV) für die rund 14.000 Redakteurinnen und Redakteure bei Tageszeitungen. Am 8. Dezember tagen die Verhandlungsführer erneut, und es steht für beide Seiten viel auf dem Spiel. Wir haben deshalb die Verhandlungsführer des BDZV, Werner Hundhausen, und des DJV, Kajo Döhring, ebenfalls zum Streitgespräch gebeten (S. 52ff.). Dass beide zu dieser Premiere bereit waren, zeigt den Ernst der Lage, der beiden Seiten bewusst ist: Wenn es nicht bald zu einer Einigung kommt, die beide Seiten tragen können, droht eine Erosion der Flächentarifsolidarität und damit eine Beschleunigung des Trends zu außertariflichen Vereinbarungen und Organisationen, Stichwort Outscourcing.

Eine Kernforderung der Verleger ist die „Absenkung tarifbasierter Kosten“ (Hundhausen), im Klartext: niedrigere Einstiegsgehälter für Nachwuchsjournalisten, weniger Urlaubsgeld und 13 statt 13,75 Jahresgehälter für Redakteure – dafür keine Änderungen an der Altersversorgung und dem Prinzip der Berufsjahresstaffelung.

Einbußen wird es wohl geben müssen. Allerdings, sollten sich die Tarifpartner tatsächlich auf niedrigere Einstiegsgehälter einigen, um den Frieden an der „Redakteursfront“ zu wahren, wäre das ein hoher Preis. Denn es wäre ein fatales Signal an den qualifzierten Nachwuchs, auf den die Verlage zur eigenen Zukunftssicherung angewiesen sind – um so dringlicher angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge. Das sollten auch diejenigen berücksichtigen, die bereits vom Tarif profitieren. Solidarität ist da nicht nur im Protestmarsch gefragt.

Lagerdenken, das unterstreichen beide Gespräche, führt zu keiner zukunftsweisenden Lösung. Es gilt, Weichen zu stellen, keine Barrieren zu bauen.

++++

In eigener Sache

… aus der Redaktion: Mit dieser Ausgabe gehören Anne Haeming und Daniel Kastner zu unserem Stammteam an Autoren und Autorinnen, die auch in der redaktionellen Mitarbeit aktiv sind. Anne Haeming, promovierte Literaturwissenschaftlerin, und Daniel Kastner, Absolvent der Henri-Nannen-Schule, arbeiten als freie Journalisten in Berlin, wo sie künftig auch unter folgenden E-Mailadressen zu erreichen sind: anne.haeming@mediummagazin.de und daniel.kastner@mediummagazin.de.

Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 4. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.