Für eine Kostbar-Kultur

Als wir vor neun Monaten die Deutsche Journalistenschule betraten, zwei nervöse Schülerinnen an ihrem ersten Ausbildungstag, da wollten wir packende Geschichten aufspüren, anregenden Menschen begegnen, unsere Neugierde zum Beruf machen. Das Übliche. Heute, neun Monate und ein Abschlussmagazin später, haben wir Anlass genug, ernüchtert zu sein, vielleicht zu resignieren oder gar zu kapitulieren. Wir haben in viele besorgte Gesichter geblickt. Medienkrise. Anzeigenkrise. Qualitätskrise. Printkrise. Wir haben uns aber in den Monaten an der Journalistenschule entschieden, nicht über Katastrophenszenarien zu grübeln. Stattdessen überlegen wir: Was können Journalisten tun, um die Zukunft ihres Berufs zu gestalten? Vier Wünsche aus der Sicht zweier Berufsanfängerinnen.

Seht Multimedia als Verheißung:

Manchmal staunen auch wir darüber, was für Journalisten technisch machbar ist. Dann geht es uns wie dem Zauberschüler Harry Potter, als er zum ersten Mal ein magisches Foto betrachtet. Sein neuer Schulleiter Dumbledore schaut ihm daraus entgegen, verschwindet dann aus dem Bild. Harry sagt zu Ron, seinem neuen Freund: „Aber in der Muggelwelt bleiben die Leute einfach sichtbar.“ „Wirklich? Soll das heißen, sie bewegen sich überhaupt nicht? Komisch!“, antwortet Ron. Wir Journalisten sollten uns Ron – nicht Harry – zum Vorbild nehmen.

Dass Verlage und Schreiber nicht von Enthusiasmus allein leben können, ist klar. Aber eine Kostbar-Kultur im Netz wird nur durchsetzen können, wer sich zunächst einmal, rein journalistisch gedacht, begeistert: Magazine werden auf elektronischen Geräten bald genauso mobil sein wie auf Papier, mit brillanten Fotos und Seiten zum Blättern. Und, noch viel besser: Ein Reporter kann ein Foto jederzeit durch ein Video vom Ort des Geschehens ergänzen, eine Grafik aktualisieren, auf Nutzer-Kommentare reagieren.

Vermutlich ist unsere Generation – oder die Generation vor uns – die letzte, für die Kaffeeflecken auf der Zeitung zum Frühstück gehören. Die das Interview mit der Bundeskanzlerin oder das Käsekuchen-Rezept aus einer Zeitschrift herausreißt, um es in die Schreibtischschublade zu legen. Doch wir Journalisten sind gut darin, uns selbst auf die Schulter zu klopfen, unsere Arbeitsweise für bewährt, unsere Produkte für gelungen zu halten. Vielleicht hält genau das uns manchmal davon ab dazuzulernen. Das müssen wir aber: Zeitung und Zeitschrift auf Papier sind bald nur noch etwas für Liebhaber – oder für Nostalgiker. Und wer es liebt, Geschichten zu erzählen, der wird nicht nur dazulernen müssen. Er wird es auch wollen. Wir wünschen uns, dass mehr Journalisten Multimedia als Verheißung sehen.

Fürchtet euch nicht vor dem Leser:

Bürgerjournalismus bereichert unsere Arbeit und bedroht sie nicht. Denn wache User, Netzreporter und Blogger beleben die Debatte. Journalisten müssen nicht befürchten, dass diese Laien sie eines Tages ersetzen: Auch in Zukunft braucht es Informationsprofis, die professionell arbeiten und redaktionelle Kontrollmechanismen pflegen. Die Themen setzen und Neuigkeiten zu Nachrichten machen. Die aufdecken und sortieren, einordnen und bewerten. Die unabhängig sind und so objektiv wie möglich.

Aber Journalisten werden profitieren, wenn sie sich den vermeintlichen Konkurrenten, den User, zum Partner machen. Journalisten können in Blogs Meinungen recherchieren, über Facebook Protagonisten für eine Reportage aufspüren. Und vielleicht bekommen sie über Twitter einmal den entscheidenden Tipp für eine Geschichte. Dabei ist klar, dass sie Informationen nicht ungeprüft übernehmen. Dass online nicht nur Inspiration, sondern auch die große Belanglosigkeit bereitsteht, dass Social Media gewaltig nerven kann und manche Blogs in erster Linie persönliche Eitelkeit befriedigen: geschenkt. Den Anspruch, im Dschungel des World Wide Web für andere die Schneisen zu schlagen, müssen Journalisten an sich selbst stellen.

Im Internet erfahren sie direkt von ihren Lesern, Hörern oder Zuschauern, ob diese einen Beitrag für gelungen halten. Die User kritisieren und loben, spüren Fehler auf und beschweren sich, wenn eine Geschichte nicht zu Ende gedacht ist. Das ist hin und wieder unbequem – aber immer haben Journalisten die Chance dazuzulernen. Wir wünschen uns, dass sie ihr Publikum ernstnehmen – auch, weil sie selbst dadurch zu besseren Journalisten werden.

Zerstört gläserne Decken:

Haben Sie registriert, dass unsere Ausbildungsklasse zwei Frauen zu Magazin-Chefinnen gewählt hat? Oder ist Ihnen etwas so Bedeutungsloses gar nicht aufgefallen? Frauen stellen zwei Drittel unserer Klasse – typisch für eine Zeit, in der immer mehr journalistischer Nachwuchs weiblich ist.

Jedoch: Als die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) prominente Gastautoren für die Online-Reihe „Wozu noch Journalismus?“ schreiben ließ, zeigte sich beispielhaft, wenn auch sicherlich überzeichnet, wie die Kräfte heute verteilt sind. Männer: 24. Frauen: 4. Marietta Slomka, Maybritt Illner, Anja Reschke, Sonia Mikich – diese Kragenweite brauchte es, um sich in der Serie der SZ zum Journalismus von übermorgen zu äußern. Wir glauben aber: Ist der Journalismus von übermorgen erst zum Journalismus von heute geworden, wird sich dieses Kräfteverhältnis geändert haben. Nicht, weil das große Umdenken beginnt. Chefs, Kollegen und Personalverantwortliche werden, das legt die Erfahrung nahe, nicht plötzlich zu Feministen werden. Aber Frauen werden irgendwann eine kritische Masse bilden. Und diese Masse wird gläserne Decken zum Einstürzen bringen. Daher: Wir freuen uns auf mehr weibliche Blickwinkel im Journalismus und auf mehr Frauen in Chefsesseln. Und darauf, dass Fragen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr als Frauenthemen diskutiert werden – sondern als wichtige Anliegen auch von Männern.

Verteidigt euren Beruf:

Wir wünschen uns, dass Journalisten für ihren Beruf einstehen, gerade in der Auseinandersetzung mit der PR. Denn die ist kein quasi-journalistischer Berufszweig. Sie bedient sich einiger unserer Techniken – für ganz und gar unjournalistische Zwecke. Es ist eine banale Einsicht, dass guter Journalismus zuallererst unabhängig zu sein hat. Trotzdem scheint diese Einsicht heute manchmal fast altmodisch. Warum eigentlich? Sicher, viele Freie brauchen PR-Aufträge zum Leben. Aber kein Journalist sollte selbst die PR zum Journalismus umdeuten. Das tut beispielsweise, wer als einzige Besonderheit des Corporate Publishing üppigere Honorare und komfortablere Reisekostenbudgets ausmacht. Doch sogar große Verlagshäuser setzen ihre journalistische Reputation in Erfolge auf dem PR-Markt um: Tempus Corporate, die junge Tochter des Zeitverlags, bietet auf ihrer Homepage „Corporate-Publishing-Angebote und andere journalistische Dienstleistungen“ feil. Und G+J Corporate Editors zeigt sich auf seiner Webpräsenz überzeugt, Kommunikation brauche „journalistische Haltung“. Eine solche Haltung aber, wenn auch Unabhängigkeit dazu gehört, wird im Corporate Publishing letztlich stören. PR und Journalismus sind zwei verschiedene Dinge, die es sauber zu trennen gilt. „Wem nutzt es?“ – dies zu fragen ist ein journalistischer Reflex. Er sollte uns daran erinnern, wem unser eigener Beruf dienen soll und verpflichtet ist: der Wahrheit, unabhängig von Einzelinteressen.

Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 36 bis 36 Autor/en: Anne Alichmann, Karin Christmann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.