Es ist der eine unbedachte Satz, die verkrachte launische Bemerkung über einen Konkurrenten, das Bonmot, das in die Hose ging. Am nächsten Tag ist es in der Zeitung oder gar prompt online zu lesen – und die Empörungsmaschine beginnt zu rattern. Ein Satz, aus dem Zusammenhang gerissen, und schon schnappt die Skandalisierungsfalle zu.
Kommunikationschefs wissen ein Lied davon zu singen, Finanzmanager erst recht, wenn die Äußerung den eigenen Aktienkurs auf Talfahrt schickt, und Konzernchefs, wenn ihre Weigerung, den letzten Stand der Dinge zu erläutern, sie zu Lügnern stempelt. Oder kürzlich Wolfgang Schäuble, der im „Handelsblatt“ seine so nicht gehaltene Rede lesen konnte, weil das vorab ausgehändigte „geschriebene Wort“ mehr hergab als das „gesprochene“. Später hat auch Schäuble Vertrauen verspielt, als er ausgerechnet seinen Sprecher Michael Offer wegen eines billigen Effekts dem Gespött der Journalisten ausliefern wollte. Der Schuss ging zwar nach hinten los, aber beabsichtigt war zunächst die Beschädigung des „Vertrauten“.
Vertrauensverhältnisse sind im Meinungsgeschäft generell schwierig und es ist offensichtlich, dass sich das Verhältnis von Journalisten und Pressesprechern eingetrübt hat. Der eine sucht den Scoop, der andere spindoctert herum und versucht, die Berichterstattung in die gewünschte Richtung zu lenken. Alles nicht verkehrt, alles legitim. Und eine höhere Moral gibt es auf keiner der beiden Seiten.
Das Problem ist ein anderes:
Es sind die gegenseitig akzeptierten Spielregeln, die, einmal verletzt, nur mühsam wieder als Ordnungsrahmen im Umgang miteinander hergestellt werden können.
Wenn Minister oder Konzernchefs, Pressesprecher oder Finanzmanager zum vertraulichen Hintergrundgespräch einladen, vertrauen sie darauf, dass das gesprochene Wort nicht in den Medien mit ihrem Namen auftaucht. Nicht alle Themen eignen sich schließlich, auf dem Jahrmarkt ausgetragen zu werden. Hält sich ein Journalist nicht an die Verabredung, fühlen sich alle anderen auch nicht mehr an ihr Wort gebunden. Die Kugel ist aus dem Lauf und keiner holt sie mehr zurück.
Das Ergebnis: Hintergrundgespräche, in denen Entscheidungen, Vorgänge oder zu erwartende Szenarien erklärt werden, finden so gut wie nicht mehr statt. Das Vertrauen ist zerstört, um eines kurzfristigen Vorteils willen.
Die Konsequenzen sind einschneidender und verheerender als es sich viele Journalisten vorstellen. Pressesprecher erklären nicht mehr frei von der Leber weg, wie es wirklich war. Sie legen ihre Worte auf die Goldwaage, konsultieren vorsichtshalber den Hausjuristen oder ergehen sich in Floskeln. Konzernchefs engagieren sogenannte Medienberater, die ihnen alles das in die Welt hinaustragen, was sie selbst oder ihre Sprecher nicht mehr sagen können, ohne direkt zitiert und mit dem Kainsmal belegt zu werden.
Guter Nährboden für Schattengewächse.
Die Situation fördert eine fatale Sehnsucht nach den berühmt-berüchtigten Schattenmännern, den freilaufenden Spindoctors also, die das Geschäft besorgen. Und da im geschäftlichen Konkurrenzkampf jede Seite ihre Schattenmänner mit brisanten Informationen über die andere Seite füttert, bedienen sich Journalisten allzu gerne dieser Quellen, weil nur noch über dieses Vehikel vermeintliche Scoops generiert werden können, weil nur noch so Aufmerksamkeit erzeugt wird – eine Währung, die offensichtlich die eigene Karriere fördert und damit den Marktwert erhöht.
Sicher arbeiten Journalisten heute unter miserableren Bedingungen, als vor der Erfindung des Internets. Und Steffen Klusmann von Gruner+Jahrs Wirtschaftsblätterpool (FTD, „Capital“, „Impulse“, „Börse online“) prophezeite erst kürzlich, dass die Tageszeitung „in fünf bis zehn Jahren vom iPhone gekillt“ sein wird.
Auch wenn solche „Prognosen“ in ihrer Willkürlichkeit kaum geeignet sind, der FAZ oder der „Süddeutschen“ das Sterbeglöcklein zu läuten, so erzielen sie doch mindestens eines bei Journalisten: Angst um den Job. Wer schreibt, der bleibt, reicht da nicht mehr als Überlebensformel. Wer bleiben will, braucht seine tägliche Skandalheadline – und sei der Vorgang noch so banal oder kleinlich.
Es war der Erfolgsautor Manfred Rommel, besser bekannt als Stuttgarts Ex-OB, der diesen Kleingeistern das Zitat eines verblichenen Großgeistes entgegengehalten hat: „Hüte Dich vor Mord, er verleitet zum Diebstahl und von da ist es zur Lüge nicht mehr weit.“
Oder weniger humorvoll mit Kommunikationsforscher Paul Watzlawick: „Die Wirklichkeit wird von Menschen nicht gefunden, sondern erfunden.“ Er spricht von Menschen. Diese Gattung schließt Journalisten mit ein.
Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.
Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 76 bis 76. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.