Nachfolger gesucht

Eine Lesung im März 2009. Auf der Bühne: Alfred Neven DuMont, der damals 82-jährige Patriarch aus Köln, der gerade seinen ersten Roman vorstellt. An seiner Seite Joachim Unseld, der Verlegersohn, der seinen eigenen Verlag gegründet hat. Im spärlich besetzten Publikum, in den ersten Reihen, die fast komplette Führungsriege des DuMont-Verlags. Ein Sittengemälde, das sich da ausbreitete und viel über die Befindlichkeiten im Haus DuMont verriet. „Der Alte“ liest mit Lust und Stolz aus seinem Roman, der von einem Vater am Ende seines Lebens, einer zu früh gestorbenen Tochter, Konflikten in der Familie und mit sich selbst handelt. Nach einer Stunde etwa will Joachim Unseld die Lesung schließen. Doch Alfred Neven DuMont besteht darauf, noch eine letzte Passage vorzulesen. Es ist die Stelle im Buch, in der er beschreibt, wie der fiktive Vater angesichts der nackten Tochter unter der Dusche sich „in einen hungrigen, gierigen Wolf“ verwandelt. Es ist jene Passage, die für reichlich Gesprächsstoff jenseits der wohlwollenden Feuilleton-Besprechungen gesorgt hat. Die Männer in der ersten Reihe sind erkennbar peinlich berührt. Anschließend applaudieren sie.

Nicht zur Sprache kamen an jenem Abend die Passagen in dem Buch, die den fiktiven Sohn betreffen (s. a. Kasten), deren Parallelen zur Realität im Verlag unübersehbar waren, auch wenn Alfred Neven DuMont stets dementierte, dass das etwas mit seiner eigenen Familie zu tun habe. Im Verlag hatte zu jenem Zeitpunkt formal der Generationswechsel stattgefunden, Sohn Konstantin und Neffe Christian DuMont-Schütte waren als Vertreter der beiden Familienstämme zu Vorstandsmitgliedern in der Mediengruppe M. DuMont Schauberg berufen. Alfred Neven DuMont hatte sich auf den Aufsichtsratposten zurückgezogen. Faktisch aber behielt sein Wort unverändert das größte Gewicht auch im operativen Geschäft – zum kaum verhohlenen Unmut der jüngeren Generation.

So veröffentlichte „Die Welt“, nur wenige Tage nach jener Lesung, Ende März 2009, Details aus einem Brief von Christian DuMont-Schütte an den Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens, in dem dieser sich bitter über den Personenkult um den Patriarchen beschwert.

Im November 2009 sorgt Sohn Konstantin dafür, dass er seinen Vater als Vorsitzenden des Herausgeberrats bei der frisch zugekauften „Frankfurter Rundschau“ ablöst.

Spätestens seitdem macht das Wort von der „entsicherten Handgranate“ die Runde. Der Sohn, so heißt es intern, agiere unberechenbar, sprunghaft, interessiere sich wenig für die Mühsal der geschäftlichen Niederungen. Gleichzeitig zeige er ein untrügliches Gespür für Zahlen, erkenne auf Anhieb Schwachstellen in komplizierten Finanzaufstellungen. Und er wird nicht müde, den Medienwandel durch die Digitalisierung intern wie extern zu thematisieren.

Nun aber ist die „Handgranate“ explodiert und der Schaden für alle Beteiligten immens. Aus der „Bloggeraffaire“ um die anonymen Einträge bei Stefan Niggemeier ist ein öffentlich ausgetragener Vater-Sohn-Konflikt geworden, der den ganzen Verlag in Mitleidenschaft gezogen hat.

Was aber lehrt dieser Kölner Erbfolgekrieg?

Es sind vor allem zwei Punkte, die weit über die persönlichen Befindlichkeiten der unmittelbar Betroffenen hinausgehen:

1. Im Umgang mit der Krise in Köln zeigt sich mit voller Wucht eine grundsätzliche Schwäche, die durchaus als branchentypisch gelten kann: Die Kommunikationsschwäche von Kommunikationsunternehmen in eigener Sache und erst recht in Krisensituationen. Der Umgang der Zeitungsgruppe Stuttgart mit den Befindlichkeiten im eigenen Haus mag da nur als ein Beispiel gelten. Den Gegenentwurf bietet der Axel-Springer-Verlag: Kaum ein anderes Haus hat seine Öffentlichkeitarbeit intern wie extern so professionalisiert. Kaum einem anderen Medienunternehmen gelingt es, mit einer Stimme zu sprechen und die Mitarbeiter darauf einzuschwören, wie es bei Springer unter Führung des ehemaligen Journalisten Mathias Döpfner der Fall ist. Medienjournalisten können ein Lied davon singen: Keine zu veröffentlichenden Zitate gehen heute mehr an der Abstimmung mit der Kommunikationsabteilung vorbei. Und diese Kommunikationsstragie lehrt noch ein Weiteres: Die Bedeutung für die Wahrnehmung im Markt, wenn das eigene Haus durch einen Kopf repräsentiert wird, der ein Image als Visionär und treibende Kraft verkörpert.

Hinzu kommt die Tatsache, dass es längst nicht mehr reicht, die klassischen Wege der Kommunikation zu bedienen. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke und minutenschnellen Nachrichtentaktung in den digitalen Medien kehrt sich der alte Spruch „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ ins Gegenteil um. Früher versendeten sich Gerüchte, heute vergisst das Internet nichts. Auf diese Situation strategisch und professionell zu reagieren ist für die meisten noch Neuland. Es wird höchste Zeit, dass Medienhäuser nicht nur darüber nachdenken, wie sie ihre Produkte verkaufen, sondern im Netz auch ihr Image durch kluge Interaktion pflegen. Stattdessen aber steht zu befürchten, dass die Bloggeraffaire von Konstantin Neven DuMont eher diejenigen bestärkt, die die Netzkommunikation ohnehin misstrauisch betrachten.

2. Der Kölner Vater-Sohn-Konflikt hat zweiffellos seine singulären Eigenheiten. Doch die Zeitungsbranche ist in Deutschland ausschließlich verlegerisch und überwiegend mittelständisch geprägt – anders als beispielsweise in der Türkei oder Italien, wo auch Mischkonzerne wie Doğan und das Unternehmen von Berlusconi die Medienlandschaft dominieren. Das hat der Zeitungslandschaft hierzulande bis heute, auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten, eine weitgehende Stabilität verschafft. Doch der klassische Verlegertypus der Nachkriegszeit, der als Eigentümer mit publizistischem Stolz selbst an der Spitze stand, wird zunehmend zur Ausnahmeerscheinung in der Branche – nicht zuletzt durch am Mediengeschäft desinteressierte oder gar zerstrittene Erben. Wie lähmend sich eine solche Situation auswirken kann, lässt sich in Essen bei der WAZ-Gruppe beobachten, wo die Familienstämme Brost und Funke peinlich darauf bedacht sind, das fragile Machtgefüge auszutarieren. Einen selten offenen Einblick in die Schwierigkeiten, die die Fehden in und zwischen den Familienstämmen mit sich bringen, gab erst kürzlich Ulrich Reitz, Chefredakteur der „WAZ“, als er in der Chefredakteursrunde zur Jahrestagung des BDZV auf die Frage „Was unterscheidet die „Rheinische Post“ von der „WAZ“?“ öffentlich antwortete: „Eine funktionierende Verlegerstruktur“.

Es lohnt sich dort hinzuschauen, wo der Generationswechsel strategisch geplant und gelungen vollzogen wurde. So wie tatsächlich bei der „Rheinischen Post“, wo der Vertreter der Eigentümerfamilie Arnold, Karl Hans Arnold, sich die Sporen für das Verlagsgeschäft erst jahrelang bei anderen Unternehmen verdiente (u. a. Prisma Presse, Gruner + Jahr International, Paris) bevor er 2002 Geschäftsführender Gesellschafter und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft mbH wurde.

Die Zeitungsbranche steht vor einschneidenden Veränderungen. Die zunehmend drängende Frage, inwieweit Verlagshäuser künftig noch in der Lage sind, selbstständig zu agieren, oder Kooperationen eingehen müssen, stellt auch die Nachfolgeregelung in den Häusern vor große Aufgaben. Strategisches Know-how und soziale Intelligenz sind dabei unverzichtbar für den Erfolg. Die Ereignisse in Köln sollten da ein warnendes Beispiel sein.

Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.