Stimmt’s, …?

01. … dass Bernd Ziesemers Brandreden vor einem Jahr Makulatur waren?

Selbst weltanschauliche Differenzen waren an jenem Abend im Januar dieses Jahres wie weggewischt. An diesem Abend zeichnete die Jury des „medium magazin“, wie auch jetzt wieder, die Journalisten des Jahres aus. Ein Höhepunkt war die Rede von Bernd Ziesemer. Zu diesem Zeitpunkt wusste keiner der Anwesenden, dass er bald nicht mehr Chefredakteur des „Handelsblatt“ sein würde. Ziesemer bekannte seine Angst um den eigenen Berufsstand und mahnte, dafür Sorge zu tragen, „dass bestimmte Qualitätsstandards in den kommenden Jahren nicht den Bach runtergehen“. taz-Chefredakteurin Ines Pohl nannte ihn ein Vorbild im Kampf für Qualitätsjournalismus, alle applaudierten und nickten Ziesemer anerkennend zu.

Es war an jenem Abend das zweite Mal binnen kurzer Zeit, dass Ziesemer seinem Groll Luft verschaffte. Wenige Monate zuvor hatte er „zehn zornige Thesen zur Zukunft der Zeitung“ formuliert, nachzulesen in der Ausgabe des „medium magazin“ vom November 2009. Auch da ging es um Qualitätsjournalismus, verlotterte Sitten und das Primat der redaktionellen Unabhängigkeit.

Ziesemer schien wieder zum Revoluzzer aus Jugendtagen zu mutieren, wäre kurz darauf nicht jene Pressemitteilung verschickt worden, in der sein Wechsel zur Ganske-Gruppe, als Geschäftsführer der Kundenzeitschriften, bekannt gemacht wurde. Darin stieß all jenen, die Ziesemer gerade noch bewundert hatten, der folgende Satz auf, mit dem er sich zitieren ließ: „Aus meiner bisherigen Arbeit als Chefredakteur des, Handelsblatt‘ weiß ich, wie schwer heute viele Unternehmen mit ihrer Botschaft in der Öffentlichkeit durchdringen.“

Viele verstanden das nicht, manche nannten Ziesemer deshalb einen Verräter. Wie konnte jemand so schnell vom Journalisten zum Dienstleister für Konzerne werden? Seien wir also nachtragend, im journalistischen Sinne, ganz so, wie es Ziesemer in der achten seiner „zehn zornigen Thesen“ gefordert hat: „Leider haben die meisten Kollegen, die über Medien schreiben, das Langzeitgedächtnis einer Ameise. Es würde ihnen helfen, wenn sie mal in ihre eigenen Archive schauen und uns alle – die Medienmacher – einmal mit früheren Aussagen konfrontieren würden.“ Er fügte hinzu: „Das würde für uns alle ziemlich peinlich, wahrscheinlich auch für mich.“

Im Februar antwortete Ziesemer auf meine Fragen: „Ich habe seit der offiziellen Presseerklärung, die alle Fragen meines Wechsels beantwortet, grundsätzlich keine Fragen von Medienjournalisten mehr beantwortet. Daran möchte ich mich halten.“

Neun Monate später der erneute Versuch. Seine Antwort diesmal: Für Qualitätsmedien gelte aus seiner Sicht genau das, was er damals gesagt habe, und er finde weiterhin, dass sich Unternehmen keinen Gefallen tun, in redaktionelle Belange einzugreifen. Doch in seiner neuen Position sehe er seine Aufgabe darin, Unternehmen Wege aufzuzeigen, über andere Kanäle ihre Botschaften zu vermitteln.

Er tut dies nun für einen Verleger, der in seinem Jahreszeiten-Verlag das Zusammenstreichen von Redaktionen zu Blattmacher-Teams ohne schreibende Redakteure als Investition in „Kreativität und Qualität“ verkauft hat. Wie sagte Ziesemer doch? „Die größte Gefahr für Qualitätsjournalismus“ gehe in unserer Branche gegenwärtig von denen aus, die „über neue, Geschäftsmodelle‘ reden und die Produktion mit immer weniger Journalisten meinen“.

02. … dass Hajo Schumachers Buchprojekt für den MDR begraben ist und ein weiteres womöglich kurz davorsteht?

In der vorigen Ausgabe des „medium magazin“ ging es an dieser Stelle darum, dass der Berliner Journalist Hajo Schumacher vom Mitteldeutschen Rundfunk beauftragt worden ist, ein Büchlein zum 20-jährigen Bestehen zu schreiben. Motto: „MDR – 20 Jahre, 20 Vorurteile“. Schumacher reagierte schon damals eher gereizt auf unsere Anfrage und erzählte, die Idee sei im Gespräch mit Intendant Udo Reiter entstanden. Tatsächlich geht sie auf den Hamburger 60-min.-Verlag zurück, der schon mehrere Bücher dieser Art herausgebracht hat, unter anderem über Jäger, Unternehmer und Energieversorger. Das Prinzip laut Eigendarstellung: „Versierte Autoren“ beschäftigen sich mit „gängigen Vorurteilen, um sie auf ebenso intelligente wie unterhaltsame Weise zu entkräften“. Geschäftsführer dieses Verlags ist Philipp Busch, zuvor Chef des Manager-Magazin-Verlags, der den früheren „Spiegel“-Redakteur Schumacher vor ein paar Jahren einen Zeitschriftenableger mit dem Titel „Manager Life“ entwickeln ließ. Daraus geworden ist nichts. Busch schied 2008 im Streit mit Ex-Spiegel-Verlagschef Mario Frank aus. Seither bietet Busch mit seiner Firma Tradizio Full-Service-Dienstleistungen im Bereich E-Commerce an und führt im Nebengeschäft jenen 60-min.-Verlag.

Auch das MDR-Bändchen hätte Busch verlegt, doch das Projekt ist begraben – oder wie der MDR es formuliert: „zurückgestellt“. Warum? Eine offizielle Erklärung dazu gibt es nicht, nur unterschiedliche Erklärungen hinter vorgehaltener Hand. Ob es an der Schwierigkeit liegt, Argumente zu finden, um Vorurteile über den MDR zu entkräften, oder daran, dass zu viele mitreden wollten, sei dahingestellt. Für MDR-Sprecher Dirk Thärichen war das Projekt ein „Testballon“, angeregt durch „ein anderes Schumacher-Buch“, das im 60-min.-Verlag mit Vorurteilen über die Deutsche Post erschienen sei. An einem weiteren Bändchen, das sich Vorurteilen über „Bild“-Leser widmen und Anfang 2011 erscheinen solle, sitze Schumacher derzeit, sagt die bei „Bild“ für Merchandising zuständige Alexandra Wesner. Darauf angesprochen sagt Schumacher, das „Bild“-Buch könnte ein ähnlich vorzeitiges Ende finden wie jenes für den MDR. Im Übrigen schreibe nicht er die Bücher, sondern vermittle diese Aufträge an freie Journalisten aus seinem Umfeld, die zum Teil für sein Büro Textmanufaktur arbeiten.

03. … dass Heribert Prantl in der SZ-Redaktion ein zweites Büro hat, in dem er bisweilen auf dem Flügel spielt?

Die Vorstellung hat was: Heribert Prantl stiert auf den leeren Bildschirm vor sich, streicht nachdenklich über seinen Bart, aber es will und will ihm nichts einfallen. Er schaut durch das Fenster auf die trostlose Gegend um das Hochhaus, in dem die „Süddeutsche“ seit dem Umzug sitzt. Schließlich steht er auf, schreitet in den Nebenraum. Dort steht nichts, außer einem Flügel. Prantl setzt sich, langt in die Tasten, schaut verklärt ins Leere – plötzlich weiß er, wie er den Leitartikel für die morgige Ausgabe formulieren muss.

Die Eigentümer der „Süddeutschen Zeitung“ mag diese Vorstellung zur Verzweiflung bringen. Ein Innenpolitik-Chef mit zwei Büros, eines nur für die Muse. Kein Wunder, mögen sie durchrechnen, dass eine Zeitungsseite der Münchner so viel mehr kostet als die anderer Blätter des Hauses, sei es der „Schwarzwälder Bote“, sei es die „Rheinpfalz“.

Aber ganz so, wie es manche kolportieren, ist es nicht. Es stimmt, dass es neben Prantls Büro im 24. Stock ein weiteres gibt und dass zu diesem eine eigens eingebaute Tür führt. Es stimmt auch, dass Prantl dort hin und wieder „rumklimpert“, wie er sagt. Franz Schubert zum Beispiel. Doch der Flügel sei „ein uraltes, nicht mehr stimmbares Klavier“, das schon in der Sendlinger Straße gestanden habe, korrigiert Prantl. Das Büro gehöre im Übrigen nicht ihm. Vielmehr handle es sich um den Konferenzraum der Innenpolitik.

So weit, so gut. Doch was Prantl dann erzählt, spricht dafür, dass die Uhren in München doch anders ticken. Jedes Jahr, wenn die Weihnachtsausgabe p
roduziert ist, trifft sich die Redaktion der Innenpolitik zur gemeinsamen Feier, mitsamt Kindern, Kerzen und Punsch. Allesamt versammeln sie sich dann um das Klavier und singen Weihnachtslieder. „Maria durch ein Dornwald ging“, verrät Prantl, sei eines seiner liebsten im „Weihnachtsliederbuch der Innenpolitik“. Doch, doch, sagt er, das sei sehr schön, und es seien immer alle dabei, „auch die Agnostiker und Atheisten“.

In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!

Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 18 bis 19 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.