Tarifverhandlung

Herr Hundhausen, beim DJV-Verbandstag 2010 in Essen legten sich einige Journalisten öffentlich einen Galgenstrick um den Hals und verkündeten: „Die Verleger lassen uns hängen.“ Wie ist die Protestaktion bei Ihnen angekommen?

Werner Hundhausen: Mit großem Zweifel über Stil und Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgangs. Wenn man es sprachlich auf ein Hängenbleiben bei den tariflichen Fortschritten münzt, ist das ja vielleicht noch nachvollziehbar. Aber mit Blick auf das aktuelle Tarifbild und die ökonomische Ausgangslage ist das durch nichts gerechtfertigt.

Herr Döhring, der Protest Ihrer Kollegen – „… durch nichts gerechtfertigt“?

Kajo Döhring: Tatsache ist: Es gibt eine wachsende Diskrepanz zwischen dem verlegerischen Anspruch an journalistische Qualität und den Bedingungen, diesem gerecht zu werden. Wir reklamieren, dass sowohl Angestellte als auch Freie angemessen zu bezahlen sind. Tatsache ist auch: Es gibt viel Unmut, der sich an der Frage festmacht: Werden Journalisten wertgeschätzt? Und da müssen wir eine deutliche Erosion feststellen.

An welchen Punkten vermissen Sie die Wertschätzung?

KD: Kollegen beklagen, dass es in den oberen Redaktionsetagen und insbesondere aus der Verlagsleitung offenbar keine Anerkennung mehr gibt. Sie vermissen das Empfinden für ihre Leistung unter schwierigen Bedingungen – sowohl was Inhalt als auch das enorme tägliche Pensum betrifft.

Ist das eine Frage des Tons oder der materiellen Anerkennung?

KD: Beides. Der Ton macht die Musik. Und in den Verlagshäusern wird abgebaut. Gleichzeitig wird mehr verlangt. Neue Fähigkeiten werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Neue Vertriebskanäle wie Twitter müssen bedient werden. Die Kollegen, so meine Erfahrung, sind in der Regel bereit, mehr reinzustecken, als auf dem Deckel steht. Aber gleichzeitig müssen sie erfahren, dass ihnen das keine sichere Perspektive mehr bringt. Wir haben ja in den vergangenen Jahren sehr maßvolle Gehaltsabschlüsse akzeptiert, Zugeständnisse beim Manteltarif gemacht. Jetzt aber haben wir massiv den Eindruck, dass die Wertschätzung journalistischer Arbeit leidet, mehr von Abbau der tariflichen Leistungen die Rede ist als von einer akzeptablen Umgestaltung der Tarifsysteme. Unsere Mitglieder signalisieren uns da deutlich: So bitte nicht mehr. Deshalb müssen wir die Diskussion über tarifpolitische Themen auch auf eine gesellschaftspolitische Ebene heben und die Rolle von Qualitätsjournalismus stärker in die Gesellschaft tragen.

Herr Hundhausen, auf Verlegerseite wird seit Jahren der Qualitätsjournalismus propagiert. Wie verträgt sich das mit diesen Vorwürfen?

WH: Ich kenne keinen Zeitungsherausgeber und keinen Verleger, der nicht überzeugt ist, dass Rolle und Aufgabe der Journalisten unverändert wichtig sind. In einer Zeit flüchtiger, Fakten vernachlässigender Zuspitzungen wächst die Bedeutung des Qualitätsjournalismus. Die Tatsache, dass wir uns über die wirtschaftliche Ausgestaltung von Tarifen streiten, ist in Verbindung zu sehen mit den Marktrahmenbedingungen. Das Geld, das wir ausgeben, muss im Markt generiert werden – der sich aber extrem verändert hat. Unsere Erlöse sinken. Dass diese Entwicklung nicht spurlos an den Bezahlsystemen vorbeigehen kann, ist betriebswirtschaftliche Logik. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Abwertung des Berufsbildes. Niemand, da bin ich völlig überzeugt, will eine Beschädigung des Berufsbildes, erst recht nicht über die Bezahlsysteme. Aber eine solche „Strick-Protestaktion“ erzeugt ungewollt de facto genau das. Das finde ich belastend.

Aber wird moderner Qualitätsjournalismus nicht zwangsläufig unter der geforderten Kostensenkung leiden?

WH: Ich glaube nicht. Wir nehmen den Mitarbeitern ja nicht willkürlich Geld weg. In Kenntnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen wir zwingend eine Absenkung tarifbasierter Kosten erreichen. Das ist eine Kernforderung. Wir denken da in zwei Richtungen: Einerseits richtet sich unser Blick auf diejenigen, die auf der Grundlage des derzeit geltenden Tarifsystems arbeiten, und andererseits auf die künftigen Einsteiger. Wir wollen wie auch die Gewerkschaften nicht bei den Monatsbezügen und der Altersversorgung eingreifen, ebensowenig wie in die Berufsjahresstaffel des Gehaltstarifvertrags. Allerdings trägt unser Modell mit Blick auf künftige Mitarbeiter nicht mehr eine fast beamtenähnliche Aufstiegsmentalität in sich. Eine solche Lösung früherer Tage wäre nicht zukunftsfähig.

Was wollen Sie da konkret ändern?

WH: Wir wollen durchaus am Prinzip der Berufsjahresstaffel festhalten, aber für künftige Redakteure mit weniger als vier Stufen. Ich kann und will mich jetzt hier am Tisch nicht auf irgendeine Zahl verständigen. Ich betone nur: Wir schätzen sehr wohl den Wert der journalistischen Arbeit. Ohne die motorische Kraft der Redaktionsleistung kommen wir alle nicht weiter.

KD: Der DJV hat nie argumentiert, dass die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auszublenden sind. Wir haben ja das gemeinsame Interesse, das bewährte Flächentarifsystem zu stablisieren. Allerdings unterscheidet sich unsere Wahrnehmung der Bedingungen von der der Verleger fundamental.

Inwiefern?

KD: Bis zur Jahrtausendwende wurde das Geld mit dem Lastwagen vom Hof gefahren. Jetzt reicht es nur noch für die Schubkarre. Den Verlegern, den Managern und den Gesellschaftern ist das nicht mehr genug. Sie halten die Hände auf bei den Mitarbeitern. Ihnen muss aber bewusst sein, dass zusätzliche Einsparungen nur noch auf Kosten der Qualität, weil auf dem Rücken unserer Leute reinzuholen sind.

WH: Bis zu Ihrer Anmerkung mit Lastwagen und Schubkarre, Herr Döhring, hatte ich eigentlich herausgefiltert, dass wir erkennbare Schnittmengen haben. Meine Sorge ist, dass de facto eher die Gewerkschaften das Berufsbild beschädigen, indem sie die von ihnen so definierte Berufsbildbeschädigung öffentlich aussprechen. Und das finde ich belastend.

Die FAZ schilderte kürzlich die Karriere einer Jungredakteurin als Fallbeispiel für die ganze Branche: Mit 33 Jahren verdient sie in einem Zeitschriftenverlag 1500 Euro brutto. Herr Hundhausen, wie können Sie argumentieren, das Berufsbild wird durch eine öffentliche Protestaktion beschädigt, wenn die Realität offensichtlich so bitter ist?

WH: Ich kann diesen Einzelfall nicht abschließend einordnen. Die tarifbasierten Werte kennen wir alle und die sehen anders aus.

Wie nehmen Sie das wahr, Herr Döhring? Ist die Diskrepanz zwischen den tariflichen Vereinbarungen und den realen, individuellen Bedingungen eine zunehmende Unsitte?

KD: Wir stellen fest, dass die Erosion sehr weit fortgeschritten ist, dass Ausweichbewegungen der unterschiedlichsten Art stattfinden. Die Verlegerverbände haben sich gezwungen gesehen, dieses Ausweichen in ihren Satzungen zu ermöglichen, um nicht Mitglieder zu verlieren.

WH: Wir haben in der Tat das Problem, dass zahlreiche Verlage den Weg in Outsourcing-Aktivitäten gewählt haben, bis hin zur Leiharbeit. Aber warum? Outsourcing ist das Ventil dazu, dass wir den Verlagen in den Tarifverträgen kein Angebot machen konnten für aus deren Sicht wirtschaftlich adäquate Beschäftigungsbedingungen. Unsere Sorge ist da dieselbe wie die des DJV: dass immer mehr Verlage aus den Tarifvereinbarungen aussteigen und individuelle Einstiegsgehälter und Vertragslaufzeiten festlegen, wenn wir nicht zu einvernehmlichen, flexibleren Lösungen kommen. In den aktuellen Verhandlungen ist es deshalb von herausragender Bedeutung, eine Angebotsform zu finden, die möglichst alle Redakteure unter dem Dach eines Unternehmens beieinanderhält. So hätten wir jetzt die Chance, möglicherweise auch aus den ausgelagerten Aktivitäten einiges zurückzuholen.

Wie soll diese Angebotsform aussehen?

WH: Es muss eine Absenkung tarifbasierter Kosten zustande kommen. Das ist unsere Kernforderung. Bei den Monatsbezügen und der Altersversorgung für die d
erzeit tätigen Redakteure soll es keine Eingriffe geben. Auch die Staffelung über Berufsjahre soll erst mal so bleiben. Das ist unsere Bestandsgarantie. Veränderung wollen wir bei Urlaubsgeld und Jahresleistung, das heißt eine Absenkung von bisher 13,75 Gehältern auf 13. Und wir haben sehr wohl betont, dass wir einen solchen Einsparpakt befristet sehen, abhängig von der Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wer weiß, womöglich wird ja bald ein Geschäftsmodell erfunden, das auch über Online-Aktivitäten bedeutsame Erlöse bringt. Nur ist das zur Zeit noch nicht der Fall.

KD: Die Verlegerseite will, da müssen wir nicht drum herumreden, dass der einzelne billiger wird.

Und was wollen die Gewerkschaften?

KD: Eine Stabilisierung der beruflichen Bedingungen von Journalisten. Wir sind bereit, eine Umgestaltung der Tarifsysteme zu verhandeln, haben aber massiv den Eindruck, dass hier doch ein Abbruchunternehmen ausgerufen ist. Schauen Sie sich doch mal an, wie viele Verlagsvertreter sogar öffentlich gar nicht mehr den Eindruck erwecken, sie glaubten noch an die Zukunft ihres Kerngeschäfts.

WH: Print ist überhaupt nicht zu Ende entwickelt! Für jede Tageszeitung lässt sich noch eine Fülle von Ideen und Ergänzungen finden, die die Zeitung insbesondere in allen lokalen Segmenten hochattraktiv zum Leser kommen lässt.

Herr Döhring, was ist denn für Sie verhandelbar? Urlaubsgeld? Sonntagsvergütung?

KD: Ich werde im „medium magazin“ nicht die dritte Verhandlungsrunde führen. Hier so viel: Wir werden uns nicht in eine Betonposition begeben. Auf unserem Verbandstag haben wir gerade beschlossen, einen separaten Qualifizierungstarifvertrag zu vereinbaren. Wir sehen sehr wohl, dass ein Verlag heutzutage von seinen Angestellten mehr verlangen darf und muss. Deshalb sagen wir auch unseren Leuten: Ihr müsst mehr können als in der Vergangenheit und das bedeutet, ihr müsst Euch auch während der Berufslaufbahn weiter qualifizieren. Denn zugegeben, es ist leider verbreitetes Gedankengut, dass ein Journalist jenseits der 40 alles kann und nichts mehr dazulernen muss.

Soll dieser Qualifizierungstarifvertrag an die Gehaltsentwicklung gekoppelt werden?

KD: Wir sind bereit, und das sind sicherlich neue Töne von Gewerkschafterseite, dass das Fehlen einer Qualifikation und auch der Bereitschaft, sich Zusätzliches anzueignen, sanktioniert werden kann, indem der Aspekt der Qualifikation in das bestehende mehrteilige Tarifsystem integriert wird. Vorausgesetzt, wir finden mit dem Gegenüber eine Lösung über die Ausgestaltung.

Herr Hundhausen, wie könnte das tariflich geregelt werden?

WH: Weiterbildung ist ein offener Punkt zwischen Verlagen und Gewerkschaften, und zwar nicht im Sinne einer Abwehrhaltung. Das Thema war vor vier Jahren bereits auf der Agenda. Dass der DJV das jetzt wieder aufgreift, d’accord. Hinzukommen ja auch die Desk-orientierten Ansatzpunkte – wie bezahlen wir die Redakteure, die an den Desks sitzen? Welche Profilierungen müssen dafür gefunden werden? Bisher sind das von Betrieb zu Betrieb gewachsene individuelle Lösungen. Grundsätzlich sind wir zu jedem Zeitpunkt bereit, ernsthaft darüber zu diskutieren, wie das sinnvoll ausgestaltet werden kann. Nur: Weiterbildung braucht Zeit – es gibt aber immer noch diese charmante 36,5-Stunden-Woche im Redakteurs-Tarifvertrag. Denkbar ist aus unserer Sicht eine Mischform: Der Redakteur investiert auch private Zeit für Weiterbildung, der Verlag übernimmt beispielsweise Reise- und Sachkosten.

Berufseinsteiger heute sind in der Regel umfassender, weil multimediafähig ausgebildet als mancher langjährige Redakteur. Trotzdem wollen Sie ihnen weniger Gehalt zahlen. Glauben Sie, Herr Hundhausen, dass die Verlage unter diesen Bedingungen die Jungen überhaupt noch bekommen, die sie brauchen?

WH: Natürlich müssen wir einen Weg finden, dass der Redakteursberuf auch in Zukunft für junge Leute attraktiv ist. Aber ich wehre mich dagegen, dass im Zuge einer Tarifverhandlung die Frage nach der Nachwuchsrekrutierung davon abhängt, ob wir möglicherweise bei Anfangsgehältern 150 Euro weniger zahlen. Wir werden nicht umhinkommen, ein zweites, niedriger positioniertes Tarifwerk für Berufseinsteiger zu installieren – als Alternative zu einer Lösung, die sonst allein die derzeit tätigen Redakteure treffen würde. Mit den Gewerkschaften haben wir darüber ansatzweise schon gesprochen. Präzisiert wird es erst in der nächsten Runde. Und um Ihre Frage zu beantworten: Glaube ich, in Zukunft noch die besten Akademiker gewinnen zu können? Ja.

Jan-Eric Peters, Chefredakteur der Welt-Gruppe, hält die Forderung nach niedrigeren Einstiegsgehältern für kontraproduktiv. Beim jüngsten BDZV-Kongress sagte er öffentlich: „Die Anforderungen sind heute ja erheblich höher als vor zehn Jahren. Da können wir uns nicht hinstellen und sagen, dafür gibt’s weniger.“ Wie wollen Sie diese Diskrepanz lösen?

WH: Ich kann ja voll verstehen, was Herr Peters gesagt hat. Es ist eine Einschätzung, die er als Journalist sicherlich ganz besonders intensiv vertreten darf. Aber er hat als Chefredakteur auch unternehmerische Verantwortung. Und da kehre ich zurück zu der notwendigen Balance zwischen dem, was der Markt hergibt, und dem, was wir bezahlen können. Man muss nüchtern sehen: Die regionalen Abonnementzeitungen haben ihre Rubrikenmärkte verloren. Wir bekommen eine Problemausweitung, wenn es uns nicht gelingt, ergänzende Geschäftsmodelle zu aktivieren. Deshalb können wir nicht in der Vorausbetrachtung Gelder verteilen, die derzeit im Markt einfach nicht zu holen sind.

Aber ist das Signal von niedrigeren Einstiegsgehältern nicht fatal angesichts des zunehmenden Nachwuchsmangels durch geburtenschwache Jahrgänge?

WH: Entscheidend ist doch, welche Ziele junge Leute mit ihrem Berufswunsch verbinden, und nicht, was in der Vergangenheit an Verdiensten möglich war. Wir sind in einer schwierigen Übergangssituation, in der alte Geschäftsmodelle nicht mehr ausreichend funktionieren und neue noch nicht greifen. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Verlage auch in Zukunft mit neuen Angeboten wettbewerbsfähig sein werden. Doch aktuell gilt: Wir müssen die Kosten etwas verringern. Aber wir wollen die Journalistinnen und Journalisten, die bereits Teilnehmer des Tarifsystems sind, nicht überstrapazieren, eben weil wir ihre Arbeit wertschätzen. Ob und inwieweit man bei den Jungen, den Einsteigern kürzt, hängt vom Ergebnis der aktuellen Gespräche ab. Ich warne allerdings: Wenn wir nicht zu einer vernehmlichen Lösung kommen, besteht die Gefahr, dass die Tendenz zum Outsourcing gefördert wird. Das sehe ich nicht als bessere Alternative – im Gegenteil. Die andere Alternative wäre, den vorhandenen Tarifvertrag generell etwas abzusenken und damit auch Spielraum für die Zukunft und Berufseinsteiger zu schaffen. Aber da fragen Sie bitte beim DJV nach, wie hoch die Bereitschaft zu diesem Lösungsansatz ist.

Also Herr Döhring, was sagen Sie dazu?

KD: Unser Anspruch ist, das Tarifsystem zu stabilisieren und es zukunftssicher zu machen. Gleichzeitig wollen wir eine Lösung finden, die auch Nachwuchsredakteuren attraktive Perspektiven bietet. Ich weiß, dass wir als Gewerkschafter einen Spagat hinlegen müssen zwischen den Jungen und den Alten. Keiner will was abgeben, im Abgeben sind wir auch nicht geübt. Wir müssen deshalb einen Ausgleich organisieren, der auf Verlagsseite die Sparwut ausbremst und möglichst alle unsere Mitglieder zufriedenstellt.

Wie viel Verständnis bringen Sie für die beschriebenen wirtschaftlichen Nöte der Verlage auf, wenn Sie lesen: Der Aufschwung ist da, der Axel-Springer-Verlag machte 22 Prozent Gewinn im dritten Quartal 2010. Wie verkaufen Sie da Ihren Mitgliedern die Perspektive: Leute, ihr werdet bald weniger verdienen?

KD: Es ist in der Tat schwer vermittelbar, dass ein Leuchtturm wie Springer am Montag ein Rekordergebnis verkündet und am Dienstag die Option zieht, Sonderbez
üge der Mitarbeiter zu senken. Da ist ein gedankliches Loch.

WH: Wir verhandeln für über 300 Verlage, unter denen der Springer Verlag eine Sonderstellung hat. Er holt seine Erlöse aus sehr unterschiedlichen Quellen. Der BDZV, die anderen Verlage, das sage ich ausdrücklich, freuen sich, dass es Springer gut geht.

KD: … wir ebenso …

WH: Doch es gibt in Deutschland vielleicht noch acht oder neun Verlage, die relativ stark positioniert sind. Wir brauchen diese Verlage beispielsweise bei der Suche nach neuen Geschäftsmodellen im Internet. Nur sie sind wirtschaftlich in der Lage, etwa in Portal-Entwicklung zu investieren, auch mit dem Risiko, dass ein Millionenbetrag einmal abgeschrieben werden muss, wenn es nicht funktioniert.

Wie schlecht geht es den anderen Verlagen denn wirklich?

WH: In diesem Jahrzehnt sind die Bezüge der Mitarbeiter um 15,4 Prozent gestiegen. Die Verlage haben dagegen Einbußen im Anzeigenbereich von teilweise über 40 Prozent erlitten. Dazu sind die Vertriebsauflagen kontinuierlich rückläufig. Im Anzeigengeschäft, da, wo die substituierende Entwicklung des Internets ganz besonders greift, haben wir Brachialeinbrüche.

KD: … Da muss ich ergänzen: Die Inflation lag in dem genannten Zeitraum bei ungefähr 17 Prozent, also deutlich über dem, was sich in der Gehaltsentwicklung getan hat. Kollegen wurden entlassen, was den Personalaufwand der Verlage immens reduziert. Diese wirtschaftliche Betrachtung bringt uns unterm Strich zu der Erkenntnis: Die Renditen sind weiter in der Regel in Ordnung. Sie liegen nicht mehr bei 16 oder 18 Prozent, aber bei sechs bis acht.

WH: Entschuldigung, auch die Unternehmen sind von der Inflation betroffen. Davon abgesehen, ich finde sechs Prozent Rendite nicht sensationell.

KD: Und wir hören von unseren Kollegen aus den Häusern: Es gibt keine Notlage. Dem BDZV dagegen signalisieren die Mitgliedsbetriebe: Der Kostenaufwand muss unbedingt im Bestand reduziert werden. Soll heißen für uns: Damit wir überhaupt miteinander reden, geht’s erst mal ran ans Eingemachte. Zehn Prozent runter. Die Perspektive für die Neuen heißt: weniger Gehalt, weniger Berufsjahrstufen, längere Arbeitszeit, weniger Urlaub, maximal paritätische Altersversorgung. Wenn man das summiert, bedeutet das ein Viertel weniger im Materiellen. Unser Interesse ist es, das System zu stabilisieren und Beschäftigung perspektivisch zu sichern. Dass dazu womöglich ein Preis gehört, stellen wir nicht in Abrede. Dem verweigern wir uns auch nicht, wir sagen ja nicht: Was wir erkämpft haben, muss immer so bleiben. Nur: Wir müssen unseren Mitgliedern eine Umgestaltung auch plausibel machen können.

Was genau muss nicht immer so bleiben?

KD: Ich möchte gedanklich ein bisschen früher ansetzen. Wir haben das Problem, als Partner einen Verband zu haben, der seine Mitglieder nicht zu Beschäftigungsgarantien verpflichten kann. Unsere Vereinbarung muss aber in die Betriebe reichen. Unsere Mitglieder brauchen vor Ort Rechtssicherheit dafür, dass mit einem Zugeständnis auch Beschäftigung gesichert wird. Und die Vereinbarung muss sicherstellen, dass der Freie weiter beschäftigt wird, auch wenn sein Redakteur nicht billiger wird.

Für Freie gelten seit diesem Jahr allgemeine Vergütungsregeln – die aber in weiten Strecken nicht eingehalten werden. Was ist dann das Papier wert, das zwischen Verlagen und Gewerkschaften vereinbart wird?

WH: Die allgemeinen Vergütungsregeln sind geltende Währung. Das ist die Antwort.

Und was tun Sie dafür, dass das Gehör findet in den Verlagen?

WH: Wir haben unsere Mitgliedsverlage informiert, dass es diese Regelung gibt. Sie trägt dem notwendigen qualitativen Ansatz auch bei den Freien Rechnung. Wie wir wissen, hat der DJV seine Mitglieder aufgefordert, sich zu melden, wenn da irgendwo etwas nicht klappt. Und wir sagen dem DJV: Gebt uns entsprechend Bescheid.

Haben Sie das schon getan, Herr Döhring?

KD: Die brutale Wirklichkeit ist, dass unterirdisch schlecht bezahlt wird. Es geht dabei weniger darum, dass unser Vertragspartner, der BDZV, nicht zu dieser Vereinbarung steht. Man muss einfach sehen, dass der BDZV über seine Struktur nicht in die einzelnen Verlagshäuser hineinregieren kann. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass anständige Honorare gezahlt werden müssen. Das passt im Moment nicht in die wirtschaftliche Landschaft – aus Sicht der Verlage. Deshalb gibt es da eine große Zögerlichkeit. Eine der Klippen ist, im Einzelfall die Hauptberuflichkeit zu belegen. Das sind Abwehr- und Ausweichbewegungen. Wir gehen aber davon aus, dass wir diese Phase überwinden können.

2008, als der letzte Manteltarifvertrag vereinbart wurde, kündigte der DJV-Vorsitzende Michael Konken an, in der nächsten Tarifverhandlung die Online-Redakteure mit einzubeziehen. Davon ist aktuell aber nichts mehr zu hören. Warum?

KD: Weil sich die Aufgabenstellung verändert hat. Die Zeit hat uns da in die Hände gespielt. Onliner sind nicht mehr Paradiesvögel, die irgendwo separat sitzen. Sie sind mittlerweile integriert, sitzen an einem Tisch mit den Print-Kollegen – für uns der schlagende Beweis, dass die Einheit von Print und Online tatsächlich gelebt wird. Der Onliner ist nicht mehr ein Journalist zweiter Klasse – es gibt ihn in dieser Form nicht mehr.

Faktisch ist er es aber, weil er meistens noch in einer Tochterfirma arbeitet, die nicht zur klassischen, tarifgebundenen Redaktion gehört. Ist das eine Frage des Berufsbildes oder ein strukturelles Problem, Herr Hundhausen?

WH: Wir haben noch keine homogene Situation über die Branche hinweg. Es gibt viele unterschiedliche Organisations- und Bezahlformen. Das liegt auch daran, dass wir es mit Journalisten zu tun haben, die in den Online-Anfängen autodidaktisch, ohne Volontärsausbildung da hineingekommen sind und zum Teil mit Sicherheit sehr gute Arbeit leisten, aber eben nicht den klassischen Redakteurs-Werdegang haben, wie ihn das Tarifsystem honoriert. Darüber haben wir noch nachzudenken, wie wir das tariftechnisch lösen.

Wie stehen Sie zu der Forderung nach Möglichkeiten für flexiblere Leistungsanreize, also Sonderzahlungen ohne Rechtsanspruch?

KD: Das grundsätzliche Problem dahinter ist doch: Wie ist journalistische Leistung zu bemessen? Redaktionsverantwortliche haben uns auch um Rat gebeten, wie Extrahonorare für besondere Leistung als zusätzliche Anerkennung zur Motivation eingesetzt werden können. Leider haben wir den Versuch, objektivierbare Kriterien zur Leistungsbemessung zu definieren, in der Tageszeitungsbranche nicht zum Erfolg gebracht. Da fehlt es noch an einer wirklich passgenauen Antwort. Bei Reuters gibt es ein solches System; das hängt mit der besonderen Arbeitsweise in Agenturen zusammen wie auch mit der Philosophie der amerikanischen Mutter.

Wäre das auf Tageszeitungen übertragbar?

KD: Lassen Sie es mich mal so sagen: Die deutschen Verlage haben in der Personalentwicklung und Personalsteuerung keine überragenden Erfahrungen. Das ist nicht gelernt, nicht geübt. Versuchen Sie mal, einem Redaktionsverantwortlichen nahezubringen, dass er mit der gesamten Truppe regelmäßige Personalgespräche führen muss, in relativ kurzem Rhythmus. Viel Spaß dabei!

Welches Signal soll nun also der bevorstehende Tarifabschluss setzen?

KD: Wir sind eingestiegen mit der Forderung: Journalistische Arbeit ist mehr wert – für eine freie, qualifizierte Meinungsbildung, für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Es ist uns sehr wichtig, das umfassend zu verstehen, also für Freiberufler und Redakteure. Wir können kein Interesse daran haben, dass Hobbyschreiber statt Profis als freie Mitarbeiter beschäftigt werden. Schließlich propagieren die Verlagsvertreter gerne, dass allein in der Qualität die Zukunft dieser Branche liegt. Diese Qualität wollen wir wertgeschätzt wissen – durch ein stabile, zukunftssichere Tarifvereinbarung und einen Ausgleich, mit dem sowohl diejenigen im Tarif als auch die Nachwuchsjournalisten leben können. Wir im DJV stellen uns dieser Aufgabe einen nach vorne gerichteten, stabilen Tarifvertrag zu erreichen. Ob es zum von der Verlegerseite propagierten Tarifsystem II kommt, ist jedoch offen und muss aus unserer Sicht offen bleiben.

WH: Wir standen 2001/2002 schon mal am Abgrund dieses Tarifs, als gewerkschaftsseitig kein Bewusstsein da zu sein schien, wie dramatisch der wirtschaftliche Einbruch damals war. Wir kamen trotzdem zu einem Abschluss, den wir heute nicht leichten Herzens kippen lassen wollen. Die Probleme sind, wieder, beachtlich. Deshalb dürfen wir nicht zu viel Zeit verlieren, weil uns sonst die Mitglieder in unseren Reihen die Entscheidung aus der Hand nehmen: „Ende der Veranstaltung – wir treten aus der Tarifbindung aus und haben auf diese Weise einen anderen Entscheidungshorizont“. Der BDZV will stattdessen ein Signal für Qualitätsjournalismus geben, das zugleich an alle Beteiligten entsprechende Anforderungen stellt. Bei sorgfältger Betrachtuung erkennen Sie in dem Konzept trotz der Kürzungsanforderungen Stabilisierendes: Wir stehen zu dem Prinzip des bisherigen Flächenttarifsystem als Ausdruck der Wertschätzung journalistischer Arbeit. Die Methoden von Abbruchunternehmen sind nicht unsere.