Es war ein wintergrauer Vormittag in Hamburg, als Mathias Döpfner bei der Zeit-Matinee einen bemerkenswerten Satz sagte: Je älter ich werde, umso stärker verfestigt sich die Erkenntnis, dass der Erfolg in unserer Branche von den Inhalten abhängig ist, die wir produzieren. Nur wenn es gelänge, die Leser so zu begeistern, dass sie diese Inhalte wirklich haben wollen, erklärte der Vorstandsvorsitzende von Springer, seien sie bereit, dafür zu bezahlen. Bemerkenswert daran war weniger die Erkenntnis an sich als vielmehr die Tatsache, dass zwischen den Worten des Verlegers und der Politik seines Verlages eine so große Lücke klafft.
Wie viele andere Medienunternehmen müht sich auch der Springer-Verlag, in der Krise nach Kräften zu sparen. Redaktionen werden so sehr ausgedünnt, dass Redakteure oft zu wenig mehr kommen, als den Betrieb am Laufen zu halten. Die recherecheaufwendigen Stücke, die kreativen Ideen, kurz: der Journalismus, den Döpfner für den entscheidenden Erfolgsfaktor über die Zukunft auch seines eigenen Hauses hält, kommt vor allem von den freien Autoren. Die aber arbeiten oft genug zu Honoraren, die nur gelassen hinnehmen kann, wer Geld für eine vorübergehende Modeerscheinung hält. Und das gilt nicht nur für die Blätter aus dem Hause Springer. Dass unter solchen Umständen Journalismus entstehen kann, der die Leser begeistert, kann man nur glauben, wenn man vor dieser Realität die Augen verschließt.
Doch das ist nicht die einzige Logiklücke. Seit Monaten betreiben die Verleger Klimapolitik mit dem Ziel, die Politik von der Notwendigkeit eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage zu überzeugen. Diejenigen, die Inhalte wirklich herstellen, müssen von der Verwertung kräftig mitprofitieren, weil es sonst irgendwann keine Inhalte mehr gibt, sagte etwa der Gruner+Jahr-Vorstandsvorsitzende in einem Interview mit der Rheinischen Post. Es ist ein Prinzip, das die Verlage ihren eigenen freien Autoren konsequent versagen.
Mit Total-Buy-Out-Verträgen zwingen die Verlage ihnen sämtliche Rechte ab, die für die Weiterverwertung im eigenen Haus genauso wie die für den Weiterverkauf an Dritte. Sie vergüten dies mit einem Honorar, das zu dieser Rechteabtretung in keinem Verhältnis steht. Wer sich weigert, diesen Vertrag zu unterschreiben, wird nicht mehr beauftragt. Diejenigen, die Inhalte herstellen, müssen von der Verwertung mitprofitieren? Diese Regel mögen Verlage für ihr Verhältnis zu Google oder anderen kommerziellen Nutzern fordern, in den Geschäftsbeziehungen mit ihren Autoren ist sie längst außer Kraft gesetzt. Rational ist diese Diskrepanz schlicht nicht nachvollziehbar, wohl aber aus dem Blickwinkel der Psychologie.
Die lehrt, dass die Sicht auf die Dinge von der Perspektive abhängt: Während der Mensch das Verhalten eines anderen mit dessen Persönlichkeit in Verbindung setzt, führt er sein eigenes auf Umweltbedingungen zurück. Stößt der Partner morgens beim Frühstück die Kaffeetasse vom Tisch, liegt es an dessen Tollpatschigkeit. Passiert es einem selbst, liegt es am schlechten Schlaf, am Vollmond oder dem Rotwein vom Vorabend.
Aus der Sicht von Psychologen ist damit auch die Haltung von Verlegern völlig plausibel: Sie sind gezwungen zu sparen und hilflos, wenn es darum geht, für journalistische Produkte im Internet einen angemessenen Erlös zu erzielen. Also bemühen sie die Politik, anstatt ihre Energie darauf zu konzentrieren, an neuen Geschäftsmodellen zu feilen. Freie Journalisten dagegen sind vor allem eines: selbst schuld. Sie müssen die Verträge ja nicht unterschreiben. Sie können ja höhere Honorare aushandeln.
Den Verlagsverantwortlichen scheint nicht klar zu sein, dass sie mit dieser Unaufrichtigkeit langfristig nur sich selbst, ihren eigenen Häusern, schaden. Immer mehr der Autoren, auf die die Verlage in den kommenden Jahren mehr denn je angewiesen sein werden, denken inzwischen über Wege nach, sich von den Verlagen zu emanzipieren. Die Medienkrise hat sich längst zu einem Strukturwandel ausgewachsen, aus dem diejenigen als Profiteure hervorgehen werden, denen es gelingen wird, den Journalismus alter Schule in die neue Zeit zu überführen. Das müssen nicht notwendigerweise nur traditionelle Verlage sein.
Doch für einen solch nüchternen Blick fehlt den Verantwortlichen im Moment offensichtlich die nötige Ruhe. Bei der Zeit-Matinee sagte Mathias Döpfner zum Ende: Wenn ich hier Ideale beschwöre, tue ich das nicht im Zustand der Selbstzufriedenheit, sondern im Zustand einer gewissen Nervosität. Man muss kein Psychologe sein, um zu wissen: Nervosität hat noch keiner Beziehung gut getan. Auch keiner Geschäftsbeziehung.
Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Rubriken & Kolumnen“ auf Seite 11 bis 11 Autor/en: Kai Schächtele. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.