Falscher Honorar-Konsens

Obwohl „in der aktuellen Krisensituation der Tageszeitungen keine berauschenden Honorarsätze zu erzielen“ gewesen seien, wolle man doch lieber eine Vergütungsregel abschließen, als die Frage der Honorierung freier Tageszeitungsjournalisten den Gerichten zu überlassen, heißt es in einer Pressemitteilung der Deutschen Journalistenunion (dju). Und seitens des djv wird die Vereinbarung als „Kompromiss“ bezeichnet, mit dem man gleichwohl einen „wichtigen Schritt auf dem Weg zur Sicherung der materiellen Basis freier Journalisten“ unternommen habe. Sind kleine Fortschritte besser als nichts? Es kommt darauf an, womit sie erkauft sind. Vier Argumente, die den Kompromiss mehr als fragwürdig machen:

1. Die Vergütungsregel führt für Honorare eine Kappungsgrenze ein. Der Anspruch freier Tageszeitungsjournalisten auf eine „angemessene Vergütung“ ergibt sich aus dem Urhebervertragsrecht. Urheber und Verwerter, so sieht es die Vertragsrechtsnovelle von 2002 vor, sollen sich darauf verständigen, was unter „angemessen“ zu verstehen ist. Stimmen sie einer „gemeinsamen Vergütungsregel“ zu, ist die Definitionslücke des Gesetzes ausgefüllt. Weil kein Verlag Anlass hat, höhere Honorare zu zahlen als solche, die der Urheber auch einklagen könnte, werden mit einer Vergütungsregel Honorarobergrenzen eingezogen. Nicht nur für die nächsten Jahre, sondern auf unbegrenzte Zeit. Denn anders als ein Tarifvertrag kann eine Vergütungsregel nicht „gekündigt“ werden. Wenn es bei etwaigen Nachverhandlungen zu keiner Einigung kommt, werden Gerichte sich im Streitfall weiterhin an der Vergütungsregel orientieren.

Eine Vergütungsregel, die Honorare auf einem solchen Niveau wie jetzt geschehen festschreibt, deckelt die Vergütungen jedoch nicht nur, sondern birgt auch die Gefahr, dass höhere Honorare auf das Niveau des neuen Standards heruntergezogen werden. Dass in der Vergütungsregel selbst erklärt wird, dies solle nicht geschehen, ändert daran nichts – es gibt keine Sanktion für den gegenteiligen Fall. Man mag diese „Nebenwirkung“ in Kauf nehmen, wenn die neuen Vergütungssätze gegenüber dem status quo eine signifikante Verbesserung darstellen. Gibt es jedoch nur eine geringe Verbesserung am unteren Ende des Honorarspektrums, droht durch den „Mindestlohn“ ein breitflächiges Preisdumping.

2. Die Vergütungsregel schadet Online-Autoren. Die Vergütungsregel legt fest, dass es angemessen ist, wenn für die „aktuelle elektronische Ausgabe“ kein zusätzliches Honorar gezahlt wird. Was parallel zur Printausgabe auf beliebigen „redaktionell zuzuordnenden“ Internetseiten oder im Angebot einer verlagseigenen iPhone-Application veröffentlicht, für das iPad lizensiert oder in sonstigen elektronischen Medien verbreitet wird, soll es grundsätzlich für lau geben. Damit reicht die Regel weit über den Tageszeitungsbereich hinaus in den Online-Markt hinein. Um sich die Konkurrenz vom Hals zu halten, die ihnen durch Internetmedien erwächst, wollen die Tageszeitungen ihre Texte im Netz verschenken – was sie sich nur leisten können, da sie selbst nichts dafür zahlen müssen. Leidtragende dieser protektionistischen Politik sind jene Journalisten, die auf gerade erst im Entstehen begriffenen neuen Märkten mit innovativen Geschäftsmodellen Geld verdienen wollen und dabei gegen die Konkurrenz großer Verlagshäuser anschreiben müssen. Anders als diese können sie ihr Geschäft nicht mit Vertriebs- und Werbeeinnahmen aus dem Printmarkt quersubventionieren. Man stelle sich den Aufschrei der Verleger und Gewerkschaften vor, wenn zum Beispiel Google auf die Idee käme, kostenlose gedruckte Tageszeitungen zu vertreiben – finanziert durch Werbeeinnahmen im Internet.

3. Die Vergütungsregel gibt den Anspruch auf, an jeder Nutzung angemessen beteiligt zu werden. Ob Kameraleute, Literaturübersetzer oder Journalisten: Die Position von Urhebern, die eine angemessene Beteiligung an der Nutzung ihrer Werke einklagen wollten, ist in letzter Zeit von unterschiedlichen Gerichten gestärkt worden. Die Vergütungsregel fällt jenen, die für ihre Rechte einzutreten bereit waren, nun in den Rücken, da sie festlegt, dass für zusätzliche Verwertungen keine oder nur geringe zusätzliche Vergütungen gezahlt zu werden brauchen. Zwar sind Buyout-Regelungen nicht per se mit dem Urheberrecht unvereinbar. Allerdings hat der Bundesgerichtshof unlängst sehr hohe Anforderungen an solche Buyouts gestellt (Az. I ZR 38/07). Ein Total Buyout, also eine umfassende Abtretung sämtlicher Rechte gegen ein Pauschalhonorar, kann nach Ansicht des BGH nur dann legitim sein, wenn damit jegliche potenzielle Nutzung des Textes bis siebzig Jahre nach dem Tod des Autors angemessen bezahlt sei. Je umfangreicher die Rechteinräumung, desto höher muss das Honorar sein. In der Vergütungsregel für freie Tageszeitungsjournalisten werden den Verlagen jedoch umfangreiche Nutzungsrechte eingeräumt, für die allenfalls ein geringer Aufschlag auf das Grundhonorar gezahlt werden soll – bei allerlei digitalen Verwertungen sogar überhaupt keiner. Wo ausnahmsweise prozentuale Beteiligungen vereinbart sind, werden sie nicht nach der tatsächlichen Nutzung bemessen, sondern nach undurchsichtigen und unkontrollierbaren Nettoverlagserlösen. All dies verstößt klar gegen ein Leitbild des deutschen Urheberrechts, den Beteiligungsgrundsatz. Damit wird eine mühsam erstrittene Rechtsposition ohne Not aufgegeben.

4. Die Vergütungsregel wird sich nicht durchsetzen lassen – außer vor Gericht. Was, wenn die Verlage sich nicht an die Vergütungsregel halten? In seiner Broschüre zum Thema (s. Linktipp) rät der djv auf die Frage: „Erkundigen Sie sich bei der Redaktion nach den Gründen. Weisen Sie auf die Vereinbarung hin. Machen Sie die Differenz geltend. Informieren Sie den djv.“ Und dann? Man kann sein Recht einklagen. Lohnt sich das? Eher nicht. Die Verbesserungen gegenüber dem status quo sind so minimal, dass kaum ein Journalist riskieren dürfte, dafür seine Auftraggeber zu verlieren. Im August 2009 musste der „Bonner Generalanzeiger“ einem freien Journalisten noch 17.500 Euro für ungenehmigte Onlinenutzungen nachzahlen. Mit solchen Sperenzien ist jetzt Schluss: Selbst wenn Verlage verklagt werden, müssen sie fortan nur das zahlen, was in der Vergütungsregel als „angemessen“ festgelegt ist. Sie haben folglich keinerlei Grund, die neue Honorarregelung tatsächlich freiwillig anzuwenden.

Sind kleine Verbesserungen für freie Tagesjournalisten besser als keine? Mal davon abgesehen, dass die Bereitschaft der Verleger, kreative Arbeit nach Aufwand statt nach Masse zu bezahlen, durch diese Vereinbarung nicht gerade größer geworden sein dürfte: Erklärtes Ziel der Urhebervertragsrechtsnovelle von 2002 war es, freien Kreativschaffenden eine „angemessene Vergütung“ für ihre Arbeit zu garantieren, nicht einen Mindestlohn einzuführen. Während die Vertreter der Literaturübersetzer oder der Kameraleute sich derzeit noch bemühen, Honorare durchzusetzen, die den Betroffenen ihren Lebensunterhalt sichern, haben die Journalistenvertreter diesen Anspruch zugunsten geringfügiger Verbesserungen am untersten Rand des Honorarspektrums aufgegeben. Die negativen Auswirkungen auf zukünftige Verhandlungen in anderen Branchen, etwa bei den Magazin-Freien, sind derzeit noch gar nicht abzusehen. Aus urheberrechtlicher Sicht stellt sich die Vergütungsregel nicht als pragmatischer Kompromiss dar, sondern als Totalausverkauf hart erkämpfter Rechte.

Debatte:

Was halten Sie von den neuen Vergütungsregeln – und welche Erfahrungen machen Sie damit? Bitte schreiben Sie uns: redaktion@mediummagazin.de. Wir werden über die Entwicklung weiter berichten.

LinktippS:

Fragen und Antworten zu den Vergütungsregeln hat der DJV in einer pdf-Broschüre zusammengefasst : http://bit.ly/cR5ByH

Die dju hat eine „Fair pay“-Kampagne zur Umsetzung der Ver-güt
ungsregeln gestartet: http://dju.verdi.de/freie_journalisten/vergutungsregeln

Die Journalistengewerkschaften dju und djv haben sich mit dem Verband der Zeitungsverleger BDZV nach gut sieben Jahren Verhandlungszeit auf eine gemeinsame Vergütungsregel für freie Journalisten an Tageszeitungen geeinigt, die zum 1. Februar 2010 in Kraft getreten ist. Darin werden Honorarsätze als „angemessene Vergütung“ festgelegt (Details siehe Tabelle). Die Sätze sollen nur für hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten gelten und beziehen sich auf eine Zeile à 37 Anschläge. Sofern nicht anders vereinbart, gilt der Beitrag grundsätzlich als zur Erstveröffentlichung angeboten. Das Honorar muss spätestens innerhalb von drei Monaten nach Ablieferung des Beitrags gezahlt werden. Die Übertragung der Rechte an Redaktionsgemeinschaften sowie im Rahmen von Mantellieferungen ist möglich. Ergeben addierte Auflagen eine höhere Gesamtauflage, ist der entsprechende Aufschlag laut Tabelle zu zahlen. Gratis dazu gibt es die erstmalige Veröffentlichung in der aktuellen elektronischen Ausgabe. Für Archivnutzungen und Datenbanken ist eine Erlösbeteiligung von 55% des Nettoverlagserlöses zu zahlen. ib

Erschienen in Ausgabe 03/2010 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 76 bis 77 Autor/en: Ilja Braun. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.