Kerndebatte

In welchem Medium auch immer: Klatsch und Tratsch sind das wichtigste Schmiermittel der Gesellschaft“, schrieb einmal der Philosoph Norbert Bolz. Gedruckt hat das der „Spiegel“, im Jahr 2001.

„Ehefrau oder Geliebte. Wer gewinnt? Seit dem Fall Seehofer wird eines der brisantesten Fragen des menschlichen Miteinanders wieder heftig diskutiert“, titelte der „stern“, im Jahr 2007. Die Idee zur Story hatte das Hamburger Magazin damals der „Bunte“ in München zu verdanken – die die nebeneheliche Liaison des Politikers damals publik gemacht hatte.

Und nun also wirft der „stern“ einen harten Stein auf die „Bunte“ – und bezichtigt die Kollegen, sich indirekt mit unlauteren Methoden Informationen aus der privaten Grauzone prominenter Zeitgenossen beschafft zu haben (siehe Seite 20 ff.). Die Empörungswelle schlägt hoch, bei den Politikern wie in der Branche. Doch um was geht es wirklich in der Debatte, besser gesagt, um was sollte es gehen?

Die Fragen, die die Auseinandersetzung zwischen „Stern“ und „Bunte“ – über die Klärung der kontrekten Vorwürfe unlauterer Methoden hinaus – aufwirft, besagen viel über den aktuellen Zustand der Medien.

Zum einen: Darf man Recherche „outsourcen“ an externe Mitarbeiter? „Die Recherche ist ein sensibles Geschäft, und deshalb gehört sie zum Alleinstellungsmerkmal der klassischen Medien. Den Kern des Alleinstellungsmerkmals aber sourct man nicht aus. Hier braucht die Redaktion die Kontrolle bis ins letzte Detail.“ So argumentiert der ehemalige Intendant des Deutschlandfunks, Ernst Elitz, und hat dafür viel Beifall erhalten. Doch was ist mit der (wachsenden) Heerschar an freien Journalisten, deren Rechercheleistungen zum Rückrat vieler Redaktionen geworden sind – angesichts der grassierenden Sparmaßnahmen, des anhaltenden Stellenabbaus und der damit einhergehenden „Arbeitsverdichtung“ in allen redaktionellen Bereichen. Gleichzeitig wächst der Druck, exklusive Nachrichten und Berichte zu liefern – die einem Blatt Öffentlichkeit und Auflage verschaffen und damit auch die Aufmerksamkeit die Anzeigenkunden. Wie lässt sich in dieser Situation auch in der Zusammenarbeit mit externen Freien „die Kontrolle bis ins letzte Detail“ gewährleisten? Der Pressekodex gibt die Standards vor, nicht aber das erforderliche „Controlling“ in den Redaktionen.

Zum anderen: Wer darf tatsächlich „Investigativen Journalismus“ für sich reklamieren – und vor allem wozu? Neu ist, dass nicht nur der „Spiegel“, sondern auch die „Bunte“ das Recht darauf für sich beanspruchen. Und damit auch die Rechtfertigung für das Agieren in einer Grauzone wie sie der Pressekodex beschreibt: „Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.“ (Richtlinie 4.1)

Das Problem ist nur: Wer bstimmt das öffentliche Interesse, und wer befindet darüber? Hans Leyendecker beantwortet das in der „Süddeutschen“ so: „Themen, die beim investigativen Recherchieren aufgegriffen werden, müssen sich durch politische und gesellschaftliche Relevanz auszeichnen. Ist die Ewigkeitsfrage – „wer auf wem?“ – wirklich von Bedeutung für die Gesellschaft?“ Mit mehr oder weniger guten „Antworten“ auf diese Frage beschäftigen sich nun schon seit Jahren die Gerichte und haben Juristen in Berlin und Hamburg reich und berühmt gemacht. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Doch gerade Hans Leyendecker hat auch darauf hingewiesen, dass „bei allen sich aufdrängenden ethischen Fragen, ein Blick über den Kanal möglicherweise beruhigend wirken“ könne: „Verglichen mit den aggressiven Blättern in England beispielsweise ist der deutsche Fall seltsam provinziell.“

Stimmt. Wehret den Anfängen: Die Diskussion, wie hierzulande Gossen-Methoden á la News of the world & Co zu vermeiden sind, ist wünschenswert. Aber mindestens ebenso über die Rolle der klassischen Medien in einer immer transparenteren Welt von Google street view & Co, worauf Patricia Riekel zu Recht verweist (siehe Seite 21).

In dem Essay für den Spiegel schrieb Norbert Bolz übrigens damals schon: „Das Internet bringt hier eine gegenüber den Massenmedien entscheidend neue Dimension ins Spiel, denn es schaltet die kritischen Zwischeninstanzen aus. Gerüchte und Skandalberichte wuchern ohne redaktionelle Kontrolle und in atemberaubender Geschwindigkeit.“

Die vom „Stern“ ausgelöste Debatte über die Grauzonen des Journalismus wäre dann mehr als nur eine Empörungswelle, wenn sie über solche Aspekte nicht nur hinwegschwappen würde.

Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 03/2010 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.