Häuptlinge ohne Indianer

Simone Hellmann

arbeitet als freie Journalistin in Hamburg.

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Spätestens im Juni also wird der Hamburger Jahreszeiten-Verlag (kurz Jalag) sämtlichen Redakteuren und Grafikern kündigen, sofern sie keine Leitungsfunktion haben. Kein Wunder, dass sofort sarkastische Sprüche wie „Nur noch Häuptlinge“ oder „Hier kocht der Chef“ die Runde machten: Einen solchen Kahlschlag hat die Branche noch nicht gesehen. Und alle fragen sich: Wie soll das Jalag-Modell – eine Zeitschriftenproduktion ohne Mittelbau – funktionieren? Die Antwort: Künftig werden Hefte wie „Für Sie“, „Der Feinschmecker“ oder „Zuhause wohnen“ nur noch von sogenannten Blattmacherteams produziert. Zu ihnen gehören Chefredakteure, Vizechefs, Art-Direktoren, Textchefs und Ressortleiter. Dazu kommt die meist neugeschaffene Position des stellvertretenden Ressortleiters, was im Klartext heißt, dass pro Ressort noch ein weiterer Redakteur übernommen wird. Macht im Schnitt elf bis 16 Festangestellte pro Titel. Das sei genug, findet Jan Pierre Klage. Er ist einer von immerhin fünf Geschäftsführern im Jalag und hat derzeit die Aufgabe, das neue Organisationskonzept den schockierten Mitarbeitern plausibel zu machen. Das sieht im Weiteren vor, dass Bildredakteure, geschäftsführende Redakteure, Chefs vom Dienst und Honorarabwicklung in Teams zusammengefasst werden, die dann mehrere Objekte betreuen. Und nachdem die Schlussredaktionen bereits Ende 2009 ausgegliedert wurden, wird es künftig auch keine festangestellten Grafiker im Jahreszeiten-Verlag mehr geben.

70 redaktionelle Vollzeitstellen sollen insgesamt gestrichen werden. Die Pressemitteilung zu dieser ungewöhnlichen Massenentlassung trägt den Titel „Konzentration, Kreativität und Qualität“. In diesem Zusammenhang von „Qualität“ zu sprechen, ist einigermaßen gewagt. „Das ist ein Ausdruck höchster Not und keine Qualitätsoffensive“, sagte etwa „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo bei den diesjährigen Lead Awards, bei denen der Jalag als Sponsor auftritt (s. a. Interview S.26ff). Von „der Abschaffung des Redakteursberufs“ spricht gar Ulrike Kaiser, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Und die „taz“ schrieb: „Es klingt wie der feuchte Traum marktradikaler Muftis: Im Zelt dürfen künftig nur noch die Häuptlinge arbeiten, die Indianer müssen sich in der Prärie durchschlagen.“

Um diese wilde Prärie geht es. Es ist anzunehmen, dass einige der geschassten Redakteure künftig als Freie ihren alten Job verrichten werden – „projektbezogen“, wie es heißt – um die Möglichkeit zum Einklagen wegen Scheinselbstständigkeit zu vermeiden. Geschichten von außen einzukaufen oder Redakteure tageweise zu buchen, ist auch heute schon bei den Verlagen gang und gäbe. Im Jalag arbeiteten nach Betriebsratsangaben im letzten Jahr allein 247 Freie. Bisher springen sie vor allem als Urlaubs-, Krankheits- oder Schwangerschaftsvertretung ein. Nun werden sie die normale Produktion am Laufen halten.

Bei der 14-täglichen „Für Sie“ (Auflage 430.000) zum Beispiel zahlt man einem freien Redakteur einen Tagessatz von 210 Euro. Für, sagen wir, acht Tage im Monat bekommt man mit 1680 Euro also eine günstige Fachkraft, muss kein Urlaubs- oder Krankengeld zahlen und hat die Freiheit, sie auch mal nur sechs Tage einzubestellen. Für eine zugekaufte Geschichte von vier bis fünf Seiten wiederum zahlt die „Für Sie“ derzeit 700 bis 800 Euro. Das ist für einen freien Journalisten ein vergleichsweise gutes Honorar. Doch auch hier werden die Preise weiter gedrückt. So berichtet ein freier Mitarbeiter, von einer Fünf-Seiten-Strecke, für die es nur 300 Euro geben sollte, weil sie sich angeblich in einem Tag machen ließe. In diesem Niedriglohn-Bereich bewegen sich nach Angaben von Mitarbeitern auch die Honorarsätze der Stadtillustrierten „Prinz“, die seit Jahren mit roten Zahlen kämpft.

Das heißt: Durch die Entlassungswelle wird die Dumpingspirale auch im Jalag weiter anziehen. Schon im letzten Jahr war es nach Insiderangaben einem Chefredakteur zu peinlich, seinem gekündigten Schlussredakteur ein Angebot für eine freie Mitarbeit zu machen. Das Honorar war schlichtweg zu gering. Es ist daher auch kein Grund zur Hoffnung, wenn die Geschäftsführung von einer „Erhöhung der Budgets für den Einsatz freier Journalisten“ spricht. Denn nicht die einzelnen Honorare werden erhöht, sondern der gesamte Topf für Auftragsarbeiten. „Ein Taschenspielertrick der Geschäftsführung“, kritisiert René Bickel, Betriebsratsvorsitzender und seit 42 Jahren beim Jalag tätig. „Denn die Personalkosten werden ja drastisch verringert.“

Eine Plattformlösung, wie sie Gruner + Jahr für seine Wirtschaftstitel gewählt hat, bei der für bestimmte Themen ein Redaktionspool gebildet wird, ist auch beim Jahreszeiten-Verlag diskutiert worden. Das kam aber laut Klage nicht in Betracht. Angeblich, so hört man, sei der Verleger gegen ein solches Synergie-Modell, da er die Identität der einzelnen Marken so nicht gewährleistet sehe. Die Alternative, angesichts der wirtschaftlichen Krise einzelne Titel einzustellen, kommt ebenfalls nicht in Frage. Die letzten Objekte, die beim Jalag an den Nagel gehängt wurden, sind „Tempo“ (1996) und „Die Woche“(2002). Verleger Thomas Ganske, dem neben dem Zeitschriftenhaus auch der Buchverlag Hoffmann & Campe gehört und der sich zu der Umstrukturierung bisher ausschweigt, scheint lieber an seinen Heften als an seinen Mitarbeitern festzuhalten. „Wenn es so weit ist, dass ein Verleger sich keine Redaktionen mehr leisten kann, sollte er es lassen“, sagt dazu Hans-Ulrich Jörges. Der „stern“-Journalist war früher Chefredakteur der „Woche“, er kennt Ganske als engagierten Verleger, der an seinen Lieblingsobjekten stets lange festhielt.

Auch die Kurzarbeit, die der Verlag von August bis Dezember 2009 verordnete und bei der die Belegschaft auf zehn Prozent ihrer Bezüge verzichtete, konnte „den Rückgang der Umsätze leider nicht ausgleichen“, so Geschäftsführer Klage. Das Anzeigengeschäft brach weiter ein. Um rund 20 Prozent gingen die Werbeerlöse vergangenes Jahr zurück, 2010 wird es wohl nur etwas besser aussehen. Den mittelgroßen Verlag trifft die Krise mit voller Wucht. Das Problem: Die Titel sind zwar gut im Markt positioniert, aber eben nirgendwo Marktführer. Pragmatisch meinte eine Chefredakteurin dazu im Gespräch mit ihren Mitarbeitern: „Es ist wie in einem Schuhladen, wenn es nicht so gut läuft, müssen eben Stellen eingespart werden.“

So sieht das Organisationsmodell, das sich eine Arbeitsgruppe aus Chefredakteuren, Verwaltungsmitarbeitern und Geschäftsführung mit Unterstützung der Münchner Unternehmensberatung Schmidt Grund Partner ausgedacht hat, den Abbau von zehn Stellen im Verlag und 60 Stellen in den Redaktionen vor, wovon rund die Hälfte auf schreibende Redakteure entfallen soll.

Und was machen dann die Übriggebliebenen? Im Grunde das Gleiche wie vorher: Planen, Themen entwickeln, Strecken gestalten, Geschichten in Auftrag geben und betreuen, Seiten produzieren, kurz: die Maschine am Laufen halten. „Die Redakteure werden weniger Zeit haben zu schreiben“, erklärt Klage, „sondern Trends aufspüren, Freie briefen und die Qualität gewährleisten.“

Um die These zu belegen, dass journalistische Qualität auch mit wenigen Festangestellen zu erreichen ist, wird oft das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ (100.000 Auflage) herangezogen. Seiner sechsköpfigen Redaktionsmannschaft gelingt es in der Tat, jeden Monat ein einzigartiges Heft mit wunderbar ausgeruhten Lesestücken zu veröffentlichen. Das Prinzip allerdings lautet hier: „Redakteure und Freie arbeiten auf gleicher Augenhöhe.“ Wer von seinen Freien Qualität verlangt, dürfe si
e nicht als Journalisten zweiten. Klasse behandeln – inhaltlich wie finanziell.

Schon länger arbeiten im Jalag die Zweimonatszeitschrift „Architektur und Wohnen“ und die „Merian“-Hefte mit einer recht kleinen Stammmannschaft.

Ein Blick gerade auf „Merian“ lohnt sich, z. B. auf das jüngste „Extra“: „Merian Formel 1“. Statt „Extra“ wäre auch die Bezeichnung „Anzeigensonderveröffentlichung“ treffend. Denn, so jubelte der Verlag: „‚Merian‘-Partner Mercedes hat für dieses Heft Fotografen und Autoren Zugang zu Bereichen gestattet, die sonst höchster Geheimhaltungsstufe unterliegen.“ Wie schön. Weniger schön ist, dass bereits 2006 ein „Merian Extra“ vom Presserat eine öffentliche Rüge kassierte. Der Anlass: „In einem Sonderheft über die ‚Traumstraßen der Welt‘ waren auf vielen Bildern auf auffällige Art und Weise Fotos von Audi-Fahrzeugen platziert. Dies bewertete der Presserat nach Richtlinie 7.2 als Schleichwerbung.“ Immerhin wird heute der Finanzierungspartner offen genannt. Aber beschädigt eine solche Kooperation eine unabhängige Marke auf Dauer weniger als ein redaktionelles Synergie-Modell? Auf der hauseigenen Website proklamiert Verleger Thomas Ganske für sein Verlagshaus: „Wir machen Tiefwurzler, keine Flachwurzler.“ Zur Zeit klingt das wie aus einem Poesiealbum der frommen Wünsche.

Zur Debatte um das Jalag-Modell siehe auch die Kolumnen von Anton Hunger (Seite 28) und Oliver Gehrs (Seite 97).

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.