Nachgefragt bei Wulf Schmiese

Der Moment kommt, früher oder später. „Zeig doch mal deinen Führerschein“, sagt der Kollege aus der Grafik zum Redaktionsleiter. Woraufhin Männer mit Seitenscheitel sich charmante Beleidigungen anhören müssen: „So ein Wilder warst du also.“ Und „interessante Frisur“, hören die Damen, die ihre Zeit als Dauerwellenstar gerne aus ihrer Frisurbiografie ausradieren würden.

Unser prominentes Foto-Opfer Nr. 9 (nach Dietmar Pieper, Peter Kloeppel, Peter-Matthias Gaede, Martin Sonneborn, Nikolaus Förster, Moritz Döbler, Annette Dittert, Christoph Keese und Christoph Lütgert) ist Wulf Schmiese. Schmiese promovierte im Fach Geschichte und absolvierte seine journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Er war 1998 bis 2001 politischer Korrespondent der „Welt“, zuerst in Bonn, dann in Berlin. 2001 gehörte er zur Gründungsredaktion der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und war zuletzt als politischer Korrespondent der „FAZ“ tätig. Seit April steht Schmiese vor der Kamera und moderiert für das ZDF das „Morgenmagazin“.

Schmieses Fotokommentar: „Das Foto stammt aus dem Sommer 1996. Ich lebte in New York und arbeitete an meiner Promotion in Geschichte. Mit einem Freund zusammen wohnte ich in Harlem: Tagsüber saßen wir in der Uni-Bibliothek, abends auf der sonnenwarmen Dachpappe unseres Hauses, hörten Oasis, tranken Corona-Bier, sahen die Skyline im Abendrot versinken und fühlten uns herrlich frei. Deutschland, die Berliner Uni und mein Professor waren unendlich weit weg. Jeden Morgen schauten wir neugierig im Faxgerät nach, ob Nachrichten aus der fernen Heimat eingegangen waren. Internet nutzten wir nicht, wir wussten noch gar nicht so genau, was das war. Es gab zwar schon German News, einen steinzeitlichen E-Mail-Service, in dem Studenten der Uni Karlsruhe deutsche Radionachrichten transkribierten, die lasen sich aber sehr langweilig: ‚SPD-Fraktionsvorsitzender Scharping empfängt DGB-Vorsitzenden‘ oder so. Am Telefon erfuhr ich eines Tages, dass ich einen Platz an der Henri-Nannen-Schule bekommen hatte. Zum September 1996 ging ich nach Hamburg. Plötzlich war mein Leben wieder komplett verschult: Jeden Morgen pünktlicher Beginn – meine Mutter hat mir damals sogar eine kleine Schultüte geschickt und ich war wirklich stolz. Nach der Ausbildung traten meine Mitschüler dann sofort tolle Jobs bei ‚stern‘, ‚Spiegel‘ oder ‚Geo‘ an, während ich noch meine Promotion beenden musste. Das hätte wohl unendlich lange gedauert, wenn nicht im Sommer 1998 das Angebot gekommen wäre, bald für die ‚Welt‘ nach Bonn zu gehen. Das machte mir den nötigen Druck, fertig zu werden. In Bonn erlebte ich dann noch das Ende der alten Bundesrepublik, die letzten Monate von Kanzler Kohl. Das aus der Nähe zu erleben, war richtig spannend.“

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.