Die Kraft der Gruppe

37 Teile sind bisher in der Serie „Die Millionen- falle“erschienen und ein Ende nicht in Sicht. Wie wurde das Reporterteam für diese aufwändigen Recherchen zusammengestellt?

Florian Ludwig: Die Berichterstattung war von vornherein als ressortübergreifende Teamarbeit angelegt. Wirtschaft, Wissenschaft und Lokalredaktion sollten als Team arbeiten und ihre Kapazitäten bündeln. Ich hatte Kontakte in die Sparkasse, die eine entscheidende Rolle spielt.

Lisa Inhoffen: Bei mir als Lokalredakteurin waren es die guten Drähte ins Rathaus und Stadthaus, bei unserer Gerichtsreporterin Rita Klein die Kontakte zur Justiz. Wolfgang Wiedlich, bei uns Ressortleiter Wissenschaft, hatte als Präsident der „Telekom Baskets“ selbst gerade einen Millionenbau als Bauherr hinter sich gebracht und kannte sich im Bauwesen am besten aus.

Wolfgang Wiedlich: Eigentlich wurde das Team nicht aufgestellt, sondern verschiedene Kollegen aus verschiedenen Ressorts erhielten Material von Informanten zugespielt. So wurde für alle sichtbar, dass die Dinge beim WCCB ganz anders lagen, als vom Rathaus dargestellt. Und so wurde die Zeitung als Ganzes aktiv.

Ludwig: Als Team haben wir uns zusammengesetzt und die einzelnen Puzzlestücke, die jeder hatte, zusammengesetzt. Damit bekamen wir relativ schnell ein ganz neues Bild der Sachlage. Diese Recherche sollte eigentlich in eine einzige Doppelseite münden. Doch dann kam alles ganz anders.

Wann stellte sich denn heraus, dass aus dem Thema ein Dauerbrenner werden würde?

Wiedlich: Kurz bevor die Doppelseite erscheinen sollte, bekam das Politik-Ressort am 21. August letzten Jahres per Post einen Umschlag mit vielen Dokumenten zugesendet. Auf dem Verteiler standen „Spiegel“, „Bild“, „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Express“ und viele mehr. Als Absender war jemand angegeben, der längst gestorben war. Der Redakteur, an den er adressiert war, hatte an dem Tag Spätdienst, so dass der Umschlag erst gegen 18 Uhr geöffnet wurde.

Ludwig: In dem Moment dachten wir: Die anderen kommen morgen damit raus und haben acht oder neun Stunden Vorsprung. Wir hatten ja noch nicht einmal die Dokumente angesehen. Doch am nächsten Morgen hatte kein anderer etwas dazu veröffentlicht. Dann schauten wir etwas näher ins Kuvert und wussten warum: Es waren Schlüsselpapiere, die man nicht ohne Vorkenntnis der Zusammenhänge verstehen konnte. Die passten genau in unser Puzzle.

Inhoffen: Dadurch, dass eine Gruppe gebildet worden war, sind alte Strukturen aufgebrochen und Scheuklappen entfernt worden. Wir hatten nun Kontakte zur Sparkasse, zum Thema Bauen, zur Stadtverwaltung, zum Rat, alles in der Gruppe vereint. Und jeder brachte eine unterschiedliche Perspektive ein.

Ludwig: Jeder von uns hat auch das Informationspaket anders gelesen, jeder hat dabei auf andere Details geachtet. So haben wir uns gegenseitig korrigiert.

Wiedlich: Die Informationen kamen auch von Bürgern, die unmittelbar mit dem Projekt befasst waren oder es aus anderen Zusammenhängen kennen. Teilweise wissen wir zum Schutz der Informanten voneinander nicht, wer wessen Informant ist. Und teilweise hatten wir auch externe Berater mit hoher Kompetenz in verschiedenen Bereichen, die uns als Bonner Bürger ehrenamtlich geholfen haben, die Papiere richtig zu interpretieren. Es war und ist schon ein richtig breites Bürgerprojekt.

Wie hat sich die Dramaturgie der Serie entwickelt? Gab es thematische Schwerpunkte oder wurde sie eher von der Aktualität getrieben?

Ludwig: Sowohl als auch. Es gab zwei Stränge. Einmal die Aktualität mit Verhaftungen, Durchsuchungen, eine Insolvenz folgte auf die nächste. An der Stelle war immer klar, jetzt müssen wir dem Leser erklären, was wir wissen. Das waren aktuelle „Millionenfalle“-Folgen. Der andere Teil waren Erklärstücke wie das asiatische Strategem oder das Eigenkapital. Irgendwann hatten wir auch eine Theorie, die wir aber damals noch nicht belegen konnten. So entstand die Idee, die Theorie einmal im Rahmen eines fiktiven Freizeitparks namens Heiterborn journalistisch darzustellen.

Inhoffen: Die Zeitung ist immer doppelgleisig gefahren. Wir haben diese Serie geschrieben und parallel dazu aus Ratsitzungen, Sondersitzungen und über Verhaftungen auch ganz normal im Lokalteil und manchmal auch in der Politik berichtet.

Wie haben Sie sichergestellt, dass auch Späteinsteiger in die Serie die Zusammenhänge noch verstehen?

Inhoffen: Wenn heute eine „Millionenfalle“-Folge erscheint, steht auf der Seite ein Kasten: „Was bisher geschah.“ 30 bis 40 Zeilen, die grob die Zusammenhänge skizzieren. Außerdem sind alle Folgen in einem „GA Special Die Millionenfalle“ im Netz ( www.general-anzeiger.de) nachzulesen.

Ludwig: Wir haben auch in den Texten selbst auf Einstiegsmöglichkeiten geachtet. Wenn man die Folgen hintereinander liest würde man sagen, da sind zu viele Redundanzen drin. Das liegt aber daran, dass es Punkte gibt, die man immer wieder erklären muss. Manche Spezialisten werfen uns deshalb vor, wir würden oft nur Bekanntes wiederholen. Aber jeden Tag steigen möglicherweise neue Leser ein, die dürfen nicht auf der Strecke bleiben.

Wie haben Sie sich abgesichert?

Wiedlich: Erst mal nur mit dem eigenen Kopf. Ist alles plausibel? Dann mit Schnittmengen: Wenn verschiedene Informanten aus unterschiedlichen Richtungen das Gleiche sagen oder Papiere unterschiedlicher Herkunft, dann konnte man recht sicher sein.

Ludwig: Außerdem haben wir nie etwas geschrieben, womit nur einer von uns einverstanden war. Ohne Gruppenkonsens keine Zeile in der Zeitung. Und jede Folge wurde ausführlich von einem Anwalt gelesen. Es hat bis heute im Übrigen zwar einige Gegendarstellungsbegehren gegeben, aber keines konnte durchgesetzt werden.

Gab es denn brenzlige Situationen bei der Recherche?

Wiedlich: Naja, Bonn ist eine verhältnismäßig kleine Stadt und wenn da die Zeitung vor Ort einen Skandal aufdeckt, ist das kein Sonntagsspaziergang für alle Beteiligten. Es gibt sogar Politiker, die glauben bis heute, der Skandal wäre unter der Decke geblieben; hätte die Zeitung nicht berichtet, das wäre besser für Bonns Image gewesen. Ich frage mich dann, was im September passiert wäre, als eine GmbH nach der anderen Insolvenz angemeldet hatte: So große Decken gibt es gar nicht, um das Offensichtliche zu verstecken.

Inhoffen: Ich habe Dokumente zeitweise beim Pfarrer deponiert. Wir waren besorgt, dass die Staatsanwaltschaft auch bei uns plötzlich vor der Tür steht.

War die Recherche für den „GA“ teuer?

Ludwig: Wir hatten von Anfang an aus der Geschäftsführung das Signal, dass die Recherche auch etwas kosten darf. Aber das Geld haben wir bis heute nicht gebraucht. Wir haben keine Informationen eingekauft.

Wiedlich: Ab und zu ging man mal mit einem Informanten essen, aber alles bewegte sich in der Summe unter 1.000 Euro.

Welche Erkenntnisse aus dem Projekt können auf andere Recherche-Themen übertragen werden?

Wiedlich: Unterschiedlichstes Wissen bündeln, Eitelkeiten über Bord werfen, nur an der Sache orientiert arbeiten. Das sind aber eigentlich urjournalistische Tugenden.

Inhoffen: Sich nicht mit der Sache gemein machen, Abstand wahren, nicht vor den Karren spannen lassen.

Ludwig: Bei solch einer investigativen Recherche muss man eigene Theorien im Team auf Plausibilität überprüfen können. Und es muss jemand sein, der in der Thematik genauso tief drinsteckt. Der sagt dann möglicherweise: „Spinnst du, das kann doch gar nicht sein, weil so und so …“ So haben wir nächtelang die verschiedenen Varianten diskutiert. Deshalb geht es nicht allein, man braucht das Korrektiv der anderen.

Erschienen in Ausgabe 06/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 40 bis 40. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie s
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