Mehr Meinungsfreiheit

Die Fälle. Darf über die Hanfzucht eines Politikersprösslings berichtet werden? Oder aus einem anwaltlichen Antwortschreiben zitiert werden? Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese Fragen mit einem klaren Ja beantwortet – und hob Verbote der Gerichte in Hamburg und Berlin auf.

* Vor dem Oberlandesgericht Hamburg ging es um eine Hanfpflanze, die der Sohn der damaligen FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper auf der heimischen Veranda großzog. Diese wurde im Rahmen einer Homestory mit seiner Mutter von Journalisten entdeckt. Die konnten natürlich nicht widerstehen – und veröffentlichten die Geschichte vom Hasch im Haus der Liberalen. Der Sohn verklagte nicht den Autor dieser Erstveröffentlichung, sondern einen anderen Journalisten, der nach diversen weiteren Veröffentlichungen und einer Pressemitteilung der zwischenzeitlich ermittelnden Staatsanwaltschaft die Geschichte im Internet aufgriff. Das Landgericht Hamburg und in der Berufung das Oberlandesgericht verboten die Veröffentlichung.

* In Berlin ging ein Anwalt gegen die Verwendung wörtlicher Zitate aus seinem Antwortschreiben an Autoren einer Webseite vor, mit dem der Jurist die Verwendung von Fotos von der Kanzleihomepage untersagte. Das Online-Medium hatte zuvor – nicht eben freundlich – um eine Veröffentlichungsbefugnis gebeten. Die Webseitenbetreiber verzichteten daraufhin auf die Bildveröffentlichung, zitierten aber wörtlich aus dem Anwaltsschreiben. Dies wurde in Berlin in zwei Instanzen verboten.

Die Entscheidungen. Ob und wann persönliche Informationen und Zitate veröffentlicht werden dürfen, bestimmten die Gerichte bislang hauptsächlich über eine Abwägung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

Die Karlsruher Richter haben jetzt klargestellt, dass das Informationsinteresse zwar ein Faktor ist – aber bei weitem nicht der einzige. Vielmehr stehe die Meinungsfreiheit eben nicht unter einem allgemeinen Vorbehalt des öffentlichen Interesses. Die Meinungsfreiheit habe „wertsetzende Bedeutung“ und verbürge die „Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in Kommunikation mit anderen“. Auch dürften nicht die Richter entscheiden, ob ein Informationsinteresse gegeben sei – dies sei Aufgabe der Medien. Mit anderen Worten: Allein mit mangelndem Informationsinteresse der Öffentlichkeit kann ein Verbot künftig kaum mehr begründet werden.

Die Folgen. Verfassungsrichter sind im Allgemeinen sehr zurückhaltend in der Wahl ihrer Worte. Da kommt es fast einem Wutausbruch nahe, was – nahezu wortgleich – in der Begründung der Beschlüsse zu lesen war: Die Auffassung der Richter deute auf ein „grundlegendes Fehlverständnis“ der Meinungs- und Pressefreiheit hin, zudem stelle es eine „bedenkliche Verkürzung“ dieses Grundrechts dar, wenn ein Äußerungsverbot lediglich auf das geringe Informationsinteresse der Öffentlichkeit gestützt würde. Derart harte Worte lassen darauf schließen, dass die Richter das restriktive Treiben der Kollegen in Hamburg und Berlin nicht länger mit ansehen wollten. Für Journalisten fast ein Grund zum Feiern: So deutlich haben sich die Männer in den roten Roben selten auf ihre Seite geschlagen. Das lässt hoffen – auf mehr Meinungsfreiheit und weniger Verbote.

Erschienen in Ausgabe 06/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 70 bis 70. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.