Erstaunlich, mit wie wenig Fantasie man Journalist sein kann. Und wie oft das Vorurteil über ein Urteil aus eigener Erfahrung triumphiert. Das iPad von Apple, der meistverbreitete Tablet-Computer der Welt, taugt in der Vorstellungswelt vieler Journalisten und Verlagshierarchen gerade mal so als Papierersatz. Man versucht also – wenn überhaupt! – mehr oder weniger erfolgreich, die eigene Illustrierte oder Zeitung auf das iPad zu bringen. Und dann schaut man, ob sich jemand dafür interessiert. Aber warum sollten sich eigentlich die Leser für Lesestoff auf dem iPad interessieren, wenn sich die Lesestoffproduzenten in ihrem Alltag diesem Gerät verweigern? Das kommt mir vor wie ein Metzger, der selbst Vegetarier ist. Wie will der mich von den Vorzügen seiner Wurst überzeugen?
Mit iPad am roten Teppich
Seit dem Deutschland-Verkaufsstart im April 2010 schreibe ich alle abendlichen Aktualisierungen meiner Gesellschaftskolumne in der „Berliner Zeitung“ auf dem iPad. Was mich inzwischen immer wieder verwundert: Ich habe noch nie einen meiner Kollegen am roten Teppich einer Premiere mit so einem Gerät hantieren sehen. Dabei ist das iPad für die schnelle, aktuelle Arbeit ideal. Die große Touchscreen-Tastatur ist – wie jede Tastatur – natürlich Gewohnheitssache. Wenn man mit ihr aber erst einmal drei oder vier Texte geschrieben hat, flutscht es sogar im Zehnfinger-Schreibsystem.
Im Vergleich dazu macht der Akku bei vielen Laptops schnell schlapp. Beim iPad muss ich mir keine Gedanken darüber machen, ob eine Steckdose in der Nähe ist.
Nach einigen kostenpflichtigen Fehlgriffen im App-Store habe ich inzwischen auch das richtige Schreibprogramm für die Arbeit gefunden: „Documents to go Premium“ bietet neben der gewohnten Word-Oberfläche eine Möglichkeit, die in der aktuellen Arbeit für eine Zeitung unverzichtbar ist. Das Programm zeigt in einem Informationsfenster an, welche Anzahl an Zeichen man erreicht hat. Wer einen genau passenden Text liefert, gehört zu den unkomplizierten und damit tendenziell beliebteren Kollegen des Spätdienstes in der Redaktion. Und für den heimischen Rechner kann man ein passendes Programm laden, mit dem sich die Synchronisation von Ordnern zwischen dem stationären Computer und dem iPad ganz einfach erledigen lässt. Wenn sich beide Geräte im Empfangsbereich desselben Funknetzwerkes befinden, muss nur auf einem der Geräte der „Sync“-Button betätigt werden und schon befinden sich auf beiden wieder alle Dateien der „Sync“-Ordner auf dem aktuellsten Stand. Man kann also die Arbeit an einem Text auf dem großen Rechner beginnen, im Café auf dem iPad fortsetzen und zu Hause am Computer beenden.
Das Gerät als Magnet
Ich habe den Eindruck, dass die Texte auf dem iPad besser werden. Mit einer Fingerbewegung über den Bildschirm lässt sich das Geschriebene flotter bewegen als mit Scrolltasten. Das ist gut für den Überblick. Die flache Bauform ermöglicht es, auch bei einem Dinner am Tisch zu schreiben, bei dem es definitiv unhöflich wäre, sich hinterm Laptop zu verschanzen. Selbstverständlich sollte man sich bei den Tischnachbarn trotzdem entschuldigen und mit Hinweis auf den Redaktionsschluss um Verständnis bitten.
Das iPad hat in freier Wildbahn kaum echte Feinde. Wenn ich, wie beim Bundespresseball Ende November, die Ledertasche aufklappe und an einem Stehtisch damit beginne, meine 120 Zeilen Text zu schreiben, dann wird die Sympathie für dieses Gerät immer wieder zum Problem. Wildfremde Menschen verwickeln mich mit der Anbahnungsfrage „Ist das ein iPad?“ in Gespräche. Und manch einer versteht zarte Hinweise („Wenn der Text rechtzeitig in die Redaktion kommen soll, muss ich jetzt aber wirklich …“) nicht. An dieser Stelle herzlichen Dank an die Frau des gesprächigen Fremden beim Presseball, die ihren Mann netterweise Richtung Tanzfläche verschleppt hat.
Technik mit Suchtfaktor
Komiker Oliver Kalkofe ließ sich auf einer Premierenfeier mal zehn Minuten lang von mir zeigen, was man mit dem iPad machen kann, und stand dann mit der Bemerkung auf: „Mist, jetzt muss ich mir auch eins kaufen!“. Deutsche-Welle-TV-Direktor Christoph Lanz sprach mich auf dem Bundespresseball auf mein iPad an und erklärte seine Beschaffungsstrategie: „Meine Frau hat jetzt die Chance, mir das Ding zu Weihnachten zu schenken. Wenn nicht, kaufe ich es mir direkt danach selbst.“ Und die Mitarbeiterin einer bekannten Hamburger PR-Agentur erzählte mir von der wundertätigen Wirkung des iPads in den Händen ihrer Chefin, die bisher immer alles diktiert hatte: „Sie schreibt plötzlich eigenhändig E-Mails. Damit hatte ich schon lange nicht mehr gerechnet.“
Wer jetzt denkt: das klingt ja gut, da werde ich also künftig meine Arbeit komplett auf iPad-Betrieb umstellen, der irrt gleich dreifach. Erstens wird für die Anmeldung und Aktivierung des iPads ein Rechner mit Internetzugang und installierter iTunes-Software (Apple- oder Windows-Version) benötigt. Und unter ergonomischen Gesichtspunkten ist das Dauertippen auf dem iPad wohl auch nicht so empfehlenswert (diesen Satz habe ich gerade unter den Schmerzen einer Sehnenscheidenentzündung geschrieben). Außerdem ist die ständige Verfügbarkeit so eines Geräts in einem Mehrpersonenhaushalt völlig illusorisch. Wer Kinder hat, wird immer darum kämpfen müssen, auch mal das iPad in die Hände zu bekommen.
Erschienen in Ausgabe 01+02/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Andreas Kurtz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.