Blasen und Phrasen

„Granularität“

Nach unserer Spezialausgabe mit Wowereit-Phrasen wollen wir uns wieder auf neumodisches Wortgeklingel konzentrieren. Zu den kommenden „Buzzwords“ gehört die „Granularität“. Im Kern bezeichnet der Ausdruck, wie fein, scharf oder auch differenziert ein bestimmtes Produkt oder System ist. Fotografen kennen den Begriff auch als Angabe über die Feinkörnigkeit eines Bildes. Je mehr Körner, desto feiner bzw. höher die Granularität. Je mehr Daten, desto wichtiger wird es, diese genau in Kategorien aufzuteilen, um sie besser bewerten zu können. Die Welt, so scheint es, strebt zu einer höheren Granularität. Alles wird hochauflösender, schärfer, bis ins Detail einsehbar, siehe Digitalfotografie, Google Street View oder Wikileaks (dass die Gesellschaft dabei gleichzeitig zu mehr Komplexität und Unordnung tendiert, mag als ein nur auf den ersten Blick zutreffendes Paradoxon erscheinen. Tatsächlich legt erst die hohe Granularität den Blick auf das Chaos frei). Nach den Wissenschaftlern, die wie selbstverständlich mit dieser Maßeinheit hantieren, verwenden nun auch Manager sehr gerne diesen Begriff. Sie schwadronieren darüber, wie „granular“ ihre Unternehmen strukturiert sind. Während sich die Chefs alter Schule meistens aus der Vogelperspektive über ihre Läden äußern („gut aufgestellt“, „breites Portfolio“ etc.), geht es mit diesem Begriff für moderne Manager hinein in den Mikrokosmos Firma. Wer darum von Granularität spricht, der zeigt, dass er nicht nur nach Chemieunterricht klingende Fachbegriffe draufhat, sondern sein Unternehmen aus dem Effeff kennt.

„Wir brauchen dringend holistische Ansätze“

Dieser Satz fiel uns auf einem der vielen Kongresse der Medienbranche in den Schoß. Es wäre natürlich möglich, eine Forderung nach „holistischen Ansätzen“, etwa der Werbewirkungsforschung, auch einfacher auszudrücken. Aber wieso, wenn es kompliziert kompetenter klingt und vage an „Star Trek“ erinnert? Denn in dieser US-Serie gab es das legendäre Holodeck – einen Raum, der virtuelle Welten darstellen kann. Es gibt ja mehr Trekkies da draußen, als man denken möchte, auch unter Journalisten. Aber zurück zu den „holistischen Ansätzen“. Gemeint ist ein ganzheitliches Denken, das alle relevanten Aspekte und Perspektiven eines Themas oder einer Aufgabe einbezieht. Doch „ganzheitlich“ klingt eben zu sehr nach Öko und Nachhaltigkeitsbericht und zu wenig nach coolem und modernem, also messbarem Management. Zudem: Wer von „holistischem Denken“ spricht, sagt damit auch en passant, dass es in seinem Job wahnsinnig komplex zugeht. Aufgaben, mit denen sich ein CEO konfrontiert sieht, lassen sich demnach nur durch „holistische Ansätze“ bewältigen. Alle anderen Herangehensweisen, wir ahnen es, sind von gestern und zum Scheitern verurteilt.

„Authentisch“

Dieses Modewort wurde neulich bereits im „SZ-Magazin“ gegeißelt. Zu Recht. Ob es nun um TV-Moderatoren, Werbekampagnen, Sportler oder auch nur die eigene Beziehung geht – heute hat per se erst mal alles möglichst „authentisch“ zu sein. Also unverfälscht, kompromisslos, echt. Alles, was vermeintlich nicht „authentisch“ ist, kommt auf die Halde der Dinge und Personen, mit denen man sich besser nicht länger umgibt. Denn sie machen das eigene Leben zu einer Lüge. Wenn nun also ein Politiker „authentisch“ sein will oder ein Hersteller seine „authentischen“ Produkte anpreist, will er an die Sehnsucht der Menschen nach dem Wahren, Guten, Schönen appellieren. Weil wir alle wissen, wie verlogen die Welt ist, positionieren sich diese Menschen oder Produkte als Zufluchtsorte im Dschungel der Falschheit. In Wahrheit ist Authentizität aber auch nicht mehr als eine weitere Inszenierung der Realität. Weil wir uns manchmal nach solchen Inszenierungen sehnen, klappt die Masche mit dem Authentisch-Sein so gut.

„Awareness“

Ursprünglich kommt die Sache mit der „Awareness“, so glauben wir uns jedenfalls zu erinnern, aus dem Umfeld von humanitären Organisationen. Die versuchen nämlich regelmäßig, „Awareness“ für alle möglichen Probleme dieser Welt zu wecken – Krankheiten, Umweltzerstörung, Krieg, Folter. Deutsche Begriffe wie „Bewusstsein schaffen“ kommen viel zu esoterisch-gefühlsduselig daher, die englische Version klingt dringlicher, konkreter. Mittlerweile wird „Awareness“ überall dafür geweckt, wo es bisher an Aufmerksamkeit fehlte. Also nicht nur für die Krisenherde dieser Welt, sondern auch für Konsumgüter, Kinofilme oder günstige Kredite. Die Werbebranche misst ihre Leistung in der „Awareness“, die ein von ihr beworbenes Produkt bei den Konsumenten erreicht. Darum ist es nur recht und billig, wenn in einem Gespräch mit einem Manager möglichst einmal das Wort fällt, „Awareness“ ist sein Metier.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 48 bis 48. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.