Darf man … verschweigen?

Von Stefan Niggemeier

In der „Hausmitteilung“ des „Spiegels“ las es sich wie ein glücklicher Zufall, dass es gelungen war, ein Interview mit Thomas Gottschalk nach dem „Wetten, dass …?“-Unfall zu bekommen: Es sei eine „private Verabredung“ gewesen, die „schon monatelang feststand“: Redakteur Thomas Tuma und Gottschalk „wollten sich bei den Vorbereitungen zum ZDF-Jahresrückblick treffen“.

Das ist so haarscharf um die Wahrheit herum formuliert, dass es wie eine besonders dreiste Lüge wirkt: Die beiden trafen sich nicht bei den Vorbereitungen, sondern zur Vorbereitung des Rückblicks. Der „Spiegel“-Redakteur hat den ZDF-Moderator dabei journalistisch beraten.

Das NDR-Medienmagazin „Zapp“ hat die Verbindung der beiden öffentlich gemacht. Laut „Hamburger Abendblatt“ will die „Spiegel“-Chefredaktion von Tumas Engagement gewusst und nichts dagegen gehabt haben, dass er das Interview führt.

Tatsächlich möchte man fragen: Wo ist der Schaden? Jeden Tag bekommen Journalisten exklusive Informationen und Zugänge aufgrund guter Beziehungen. Die guten Beziehungen sind in diesem Fall nur greifbarer als sonst. Und wäre es besser gewesen, wenn Tuma Gottschalk zu einem Interview überredet hätte, das dann aber ein Kollege geführt hätte?

Tuma sagt, er habe für die Beratung Gottschalks kein Honorar genommen. Vermutlich soll das die Sache weniger heikel machen, doch warum sollte Tuma kostenlos für Gottschalk arbeiten, es sei denn als Freundschaftsdienst? Und dann führt er nicht nur ein Interview unter Freunden, sondern bestätigt seinem Kunden oder Kumpel in der „Hausmitteilung“ auch noch mit der Autorität des unbefangenen „Spiegel“-Redakteurs, sich „als gereifter und sogar angriffslustiger Krisenmanager“ gezeigt zu haben, der sich seiner Verantwortung durchaus bewusst sei.

Wenn die Chefredaktion tatsächlich meinte, dass es unproblematisch ist, Tuma dieses Interview führen zu lassen, hätte sie die Verbindung der beiden nicht verschleiern müssen. Und das Verblüffende an einer solchen Offenlegung ist: Es wäre dadurch tatsächlich weniger problematisch geworden, weil der Leser die Chance gehabt hätte, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob die Umstände den Inhalt trüben oder nicht.

Ein interessantes Paradoxon: Wenn man meint, dass ein möglicher Interessenskonflikt unproblematisch ist, kann man ihn auch öffentlich machen.

Ich habe 2010 an der Produktion der „Echo“-Preisverleihung mitgearbeitet. Natürlich war damit klar, dass ich keine Kritik über die Sendung verfassen würde; ich wäre auch nicht darauf gekommen, ein Interview mit den Moderatoren zu führen. Aber wie weit reicht der Bann? Ab wann ist Berichterstattung mit Disclosure der eigenen Nebentätigkeit möglich? Kann ich noch unbefangen über andere Sendungen der Produktionsfirma schreiben?

Es gibt eine Grenze, aber es fällt mir schwer, sie eindeutig zu verorten. Der einzige unangreifbare Schritt wäre es, als Journalist auf jede Form solcher Engagements zu verzichten. Ist das die einzige Lösung? Ist das eine Lösung?

Journalisten sind selten neutral. Ihre Berichterstattung wird nie ungefärbt sein von Sympathien, früheren Erlebnissen, persönlichen Interessen und anderweitigen Engagements. Ab wann ist es sinnvoll, solche Faktoren zu nennen? Ist es im Sinne der Leser, wenn Zeitungen vollgestellt werden mit Warnschildern, die auf mögliche Interessenskonflikte der Autoren verweisen?

Davon ist der deutsche Journalismus so weit entfernt, dass die Frage müßig ist. Es ist bei uns weniger anrüchig, trotz eigener Befangenheit über eine Sache zu berichten, als diese Befangenheit offenzulegen. Einen Tiefpunkt markiert die „Zeit“-Gerichtsreporterin Sabine Rückert im Vergewaltigungs-Prozess gegen Jörg Kachelmann. Seit Jahren arbeitet sie mit dem Staranwalt Johann Schwenn zusammen und bereitet seine spektakulären Fälle publizistisch auf. Der Verteidigung Kachelmanns legte sie diesen Anwalt in einer E-Mail dringend ans Herz, was schon eine erstaunliche Grenzüberschreitung darstellt. Als Kachelmann Schwenn dann tatsächlich engagierte, schrieb Rückert in der „Zeit“ ein Dossier, in dem sie – versorgt mit detailliertesten Interna – diese Entscheidung feierte und Partei für die Verteidigung ergriff.

Es ist ein Artikel, in dem es auch um die zweifelhafte Rolle der Medien in diesem Prozess geht, aber nicht um ihre eigene. Rückert hat es geschafft, in fast 25.000 Zeichen Text nicht zu erwähnen, wie eng sie dem Mann verbunden ist, über den sie da berichtet. Es gibt dafür eigentlich nur eine Erklärung: Die „Zeit“ glaubt, dass ihre Leser die vermeintliche Objektivität der Berichterstattung dann anzweifeln würden. Sie täten es zu Recht. Und werden deshalb bewusst getäuscht.

Und womöglich braucht dieser Text eine Offenlegung, dass der „Spiegel“ mir vor einigen Monaten vorgeworfen hat, nicht sauber zu trennen, für wen und über wen ich schreibe.

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Erschienen in Ausgabe 01+02/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 65 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.