Frau Piel, Sie haben nun zwei Jahre als ARD-Vorsitzende vor Augen: Was steht ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste?
Monika Piel: Manches ist von außen gesetzt – vor allem das neue Gebührenmodell, das in diesem Jahr durch alle Landtage gehen wird. Alle müssen zustimmen, sonst wird es keinen neuen Gebühren-Staatsvertrag geben. Da kommt auf uns großer Aufwand zu.
Nur Aufwand oder auch Risiko?
Auch Risiko. In diesem Jahr stehen etliche Landtagswahlen an. Jeder wird die Debatte im Landtag nutzen, um eigene Interessen einzubringen. Wir stehen damit vor einer riesigen Kommunikationsaufgabe.
Droht da noch Widerstand?
Zumindest nicht für den privaten Bereich. Die angestrebten Regeln für Haushalte sind leicht nachzuvollziehen. Viele werden zudem entlastet: Fast zwei Millionen Gebührenzahler sollen dann nicht mehr wie bisher gleich mehrere Gebühren zahlen. Kritisch könnte aber noch die Debatte um die Beitragspflicht für Gewerbetreibende werden.
… weil Unternehmer stärker belastet werden sollen?
Nicht in Gänze. Ihr Anteil am Gebührenaufkommen soll in etwa gleich bleiben. Wer aber in die Details schaut, der stellt fest: Hier soll umgeschichtet werden – und zwar zugunsten der kleinen Betriebe, also etwa der Handwerksmeister und Ladenbetreiber. Aber es versucht jeder, irgendwie weiterhin Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen.
Planen Sie Gegenmaßnahmen – etwa ein Treffen mit Herrn Sixt?
(lacht) Nein. Noch im Dezember sollte ich eigentlich Frau Sixt während einer Veranstaltung treffen, doch dann war sie leider nicht da. Dabei hatte ich mich zuvor extra intensiv über die Modalitäten bei den Autovermietern informiert. Aber möglicherweise wird die ARD-Vorsitzende ja zu Landtagsdebatten eingeladen und muss dort Rede und Antwort stehen.
Und was steht noch auf Ihrer Agenda weit oben?
Auch das ist längst von außen gesetzt: ARD und ZDF sollen auch 2013 und 2014 keine Beitragserhöhung bekommen. Wir müssen damit voraussichtlich sechs Jahre mit stabilen Beiträgen haushalten. Das bedeutet, dass wir dadurch noch nicht einmal mit einen Inflationsausgleich rechnen können, von einem Ausgleich für den Kostenanstieg im Mediengeschäft mal völlig abgesehen. Wir müssen deshalb massiv sparen.
Wie werden Sie da vorgehen?
Wir alle wollen die Programmetats schonen. Die Konsequenz lautet: Wir müssen uns – unserer föderalen Struktur zum Trotz – mit starken Synergien innerhalb der ARD anfreunden.
Wie viel Spielraum dafür sehen Sie denn tatsächlich? Ihr eigener Sender, der WDR, als finanzstärkste aller neun ARD-Anstalten, hat es da einfacher als andere. Der RBB malt schon Krisenszenarien an die Wand und droht mit der Schließung mehrerer Sender.
Die Sender sind ja letztlich alle autonom, daher kann ich konkret nur von meinem eigenen sprechen. Der WDR ist vom Gebührenrückgang natürlich auch sehr stark betroffen. Wir bilden in diesem Punkt neben dem MDR sogar die Spitze.
Wie reagieren Sie konkret?
Wir sparen in drei Jahren 150 Millionen Euro ein und bauen hundert Planstellen ab. Damit wird es aber nicht getan sein: Denn dadurch werden wir erst einmal jedes Jahr mit noch weniger auskommen müssen – besonders im Verhältnis zum dann bereits erniedrigten Niveau. Wir werden dafür in der Folge richtig in unsere Strukturen eingreifen müssen. Das betrifft alle ARD-Anstalten parallel.
Wo setzen Sie an?
Die vordringlichste Frage ist dabei, welche Produktionsapparate wir noch individuell vorhalten müssen und wo wir Kräfte bündeln können. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen: Bei echten Synergien fallen Arbeitsplätze weg. Weil wir dabei aber niemanden auf die Straße setzen wollen, gilt es, Stellen nicht neu zu besetzen bzw. manch einen auf einem anderen Posten einzusetzen.
Auf was würden Sie denn verzichten, um mit gutem Beispiel voranzugehen?
Wir denken darüber nach, was wir zum Beispiel mit dem Produktionsapparat für die Samstagabendshows machen. Da sind wir ja vom WDR unmittelbar beteiligt, zusammen mit dem SWR. Da gibt es Einsparpotenziale.
Vergleichbar mit Verlagen, die ihre Druckzentren zusammenlegen, aber ihre Redaktionen halten?
Genau. Zusammenlegungen oder Kooperationen bei Verwaltung und Technik ja, bei redaktioneller Hoheit nein. Wobei nichts gegen gegenseitige Übernahmen zu sagen ist. Wir teilen uns mit dem NDR beispielsweise vor allem im Hörfunk immer mehr Strecken – insbesondere in der Nacht –, die der eine für den anderen mitproduziert. Von Januar an wird beispielsweise der NDR die Nachtnachrichten für einige WDR-Wellen liefern. Im Fernsehen arbeiten wir mit Koproduktionen, bei denen wir uns Kosten teilen. Hier wollen wir als große Sender mit gutem Beispiel vorangehen. Gleichzeitig bauen wir im Digitalen um: Bisher hat in der Regel jede Landesrundfunkanstalt ihre eigene Technik und Software, eigene Systeme, die nicht immer kompatibel sind. Das wollen wir künftig vereinheitlichen, um über den Weg gemeinsamer Anschaffungen Kosten zu sparen und zugleich reibungsloser zusammenarbeiten zu können.
Da hat früher jeder gemacht, was er wollte?
Manchmal. Aber ob Sie es glauben wollen oder nicht: In der ARD passiert inzwischen richtig viel! Bereits unter meinem Vorgänger Peter Boudgoust wurde da viel verändert: Zum Beispiel wird keine Anschaffung über 250.000 Euro mehr getätigt ohne vorherige Abstimmung aller, damit keine unnötigen Planungskosten entstehen. Wir schreiben bereits jetzt häufig gemeinsam aus, ob nun bei Versicherungsleistungen oder bei Soft- und Hardware. Wir haben uns außerdem auf etliche technische Standards geeinigt. Nehmen Sie allein die Fernseh-Übertragungswagen: Die kosten gut 10 Millionen Euro das Stück – und sind inzwischen so vereinheitlicht, dass jeder Sender damit arbeiten kann. Wir lagern zudem unsere Verwaltungs-IT aus – und planen dies künftig auch für die Produktions-IT.
Also doch noch keine vereinte Kraft?
Die anderen werden sicher nach und nach folgen. Bei solchen Projekten wie Synergien kann die ARD leider nicht einfach einen großen Hebel umlegen. Dafür sind die Strukturen der einzelnen Häuser viel zu unterschiedlich. Der WDR beispielsweise hat schon immer in Teilbereichen der IT mehr auf freie Mitarbeiter gesetzt als andere und ist deshalb auch flexibler, wenn es darum geht, Teile des Ressorts auszulagern. In diese Richtung zu wirken, das sehe ich auch als eine wichtige und kontinuierliche Aufgabe für mich im ARD-Vorsitz. Das Thema kommt jedenfalls völlig unausweichlich auf uns zu.
Wie viel der föderalen ARD-Struktur bleibt da denn übrig – am Ende etwa nur noch das Programm, bei zentralisierter Verwaltung?
Das wäre ideal. Am Föderalismus wollen wir letztlich festhalten. Wir wissen alle, dass diese Struktur zwar sehr umständlich sein kann, aber dass sie eben auch ein Höchstmaß an Vielfalt garantiert. Und die muss sich die ARD um jeden Preis erhalten!
Aber womit fangen Sie, als ARD-Vorsitzende, denn nun tatsächlich als Erstes an?
Erste Schritte habe ich bereits unternommen – indem ich mich mit Matthias Döpfner im Axel-Springer-Verlag getroffen habe. Wir müssen versuchen, mit den Verlegern eine mehr als friedliche Koexistenz zu erreichen, vielleicht sogar echte Kooperation. Das ist mir eine wirklich wichtige Sache.
Wie würde die in Ihrem Idealentwurf aussehen?
Wir haben die Verleger gefragt, in welchem Bereich sie vom öffentlich-rechtlichen Angebot am meisten beschwert werden. Da werden mir vor allem die Online-, insbesondere die App-Aktivitäten genannt. Der NDR bietet ja inzwischen eine „Tagesschau“-App an. Und wir wollen zudem eine „Sportschau“-App starten, da ist der WDR federführend …
… obwohl Sie gerade mit den Verlegern verhandeln wollen, die an kostenlosen Apps der ARD heftig Anstoß nehmen?
Diese beiden Apps bilden nichts von dem ab, was wir nicht ohnehin schon auf unsere Webseiten bringe
n, sondern bieten mobilen Nutzern lediglich eine optimierte Darstellung und Bedienung – nutzen also lediglich einen anderen Verbreitungsweg. Aber ich nehme die Befürchtung der Verleger sehr wohl zur Kenntnis, dass Gratis-Apps deren Geschäftsmodell kaputt mache.
Und wie reagieren Sie darauf?
Wir sollten uns alle fragen, wie wir aufeinander zugehen können – so wie Döpfner und ich das bereits getan haben.
Was kam dabei heraus?
Dass wir durchaus in der Analyse einer Meinung sind. Ich verstehe – auch wenn das gar nicht mein Geschäftsfeld ist –, dass die Verlage für ihre journalistischen Inhalte eine Bezahlung einfordern. Allerdings ist es ein Fakt, dass Sie damit allein keine Gewinne erzielen können. Das ist nur mit zusätzlichen, anderen Einnahmequellen möglich. Als WDR-Intendantin habe ich daher zu Matthias Döpfner gesagt: Wenn Sie im Verlegerverband durchsetzen, dass alle Verlage ihre Apps kostenpflichtig anbieten, dann würde ich dafür kämpfen, dass auch die ARD-Apps kostenpflichtig werden.
Ist das denn so einfach möglich, für ohnehin schon gebührenfinanzierte Inhalte?
Leider nicht. Wir kommen hier in den kommerziellen Bereich, den wir an unsere kommerziellen Tochterfirmen abgeben müssen. Über diesen Weg könnten wir allerdings auch kostenpflichtige Add-ons bieten. Es wäre ohnehin Quatsch, für etwas Geld zu verlangen, das eins zu eins unserem kostenlosen Angebot im Netz entspricht. Entscheidend aber ist die Marktlage insgesamt. Nehmen wir nur mal das Beispiel Sport: Es gibt Hunderte kostenlose Sport-Apps. In einem solchen Umfeld könnten wir für eine „Sportschau“-App als gebührenfinanzierter Sender doch kein Geld fordern. Das hat Döpfner eingeleuchtet.
Die Verleger stören sich jedoch auch daran, wie die ARD-Sender im Netz im regionalen Raum mit Inhalten expandieren, die bisweilen über das Angebot in TV und Radio weit hinausgehen …
… aber doch nicht seit der Einführung der Drei-Stufen-Tests [bei der nach Anforderung der EU-Kommission die Gremien der Sender prüfen müssen, welche digitalen Aktivitäten von ARD und ZDF zulässig sind und ob sie Privatsender und Verleger wettbewerbsverzerrend tangieren, d. Red.]. Wir haben in der ARD Millionen einzelner Seiten gelöscht, allein auf wdr.de etwa 80 Prozent! Uns schreiben deswegen viele empörte Zuschauer, die sogar zu Vergleichen greifen wie: „Das ist ja, als würde man Bibliotheken abfackeln!“ Und leider gibt es eben nicht „die Verleger“. Im Gegenteil: Die Meinungen in ihren Verbänden gehen weit auseinander. Es würde uns schon sehr helfen, wenn da mehr Einigkeit herrschte. Springer, aber auch der WAZ-Konzern vor unserer Haustür haben mit unseren Internetauftritten weniger Probleme. Die WAZ kooperiert schließlich sogar mit uns.
Haben sich eigentlich Ihre Erwartungen an diese damals als wegweisend präsentierte Zusammenarbeit erfüllt – bei der die WAZ Beiträge von Ihnen kauft und sie auf ihr Portal DerWesten.de stellt?
Nein. Ich hatte mir da mehr erhofft. Es ist aber auch so, dass die Gesetzgebung aus Brüssel das sehr verkompliziert. Wir müssen bei einer solchen Zusammenarbeit mit anderen Medien marktkonforme Preise berechnen, unter Einrechnung der realen Produktionskosten und dem üblichen Agenturaufschlag von 25 Prozent, weil die Filme über unsere kommerzielle Tochter, die WDR Mediagroup GmbH, laufen müssen.
Das Hindernis liegt also im Preis? Warum bieten Sie die Filme nicht kostenlos an?
Das dürfen wir gar nicht. Die Auflagen aus Brüssel für unser Geschäft im Digitalen sind dafür viel zu hoch. Da wäre sofort von einer Marktverzerrung die Rede. Deshalb können wir noch nicht einmal eine Mischkalkulation aufmachen, nach dem Motto: Große Verlage zahlen für unsere Videos mehr, kleinere weniger, damit auch die sich das leisten können. Unsere Filme sind nach den uns vorgegebenen Rechnungsmodalitäten sogar teurer als das, was sonst so am Markt zu haben ist. Deshalb hat sich die WAZ am Ende sehr zurückgehalten, in den letzten anderthalb Jahren sogar immer weniger Videos übernommen, auch wenn das derzeit wieder etwas zunimmt. Aber es haben sich keine anderen Verlage angeschlossen. Etlichen war das zu teuer. Andere warten noch mögliche medienpolitische Implikationen ab, vielleicht weil sie befürchten, dass ihnen bei der eigenen Lobbyarbeit eine Kooperation mit uns vorgeworfen werden könnte. Von einer Weiterentwicklung kann man deshalb nicht reden.
Dabei leben andere Sender mit anderen Verlagen funktionierende Kooperationen vor – etwa der SR mit der „Saarbrücker Zeitung“.
Das geht aber auch nur, weil der SR billiger produziert als wir – bedingt durch einen viel kleineren Apparat und andere Tarifverträge. Die kleineren Anstalten zahlen teilweise nur die Hälfte von unseren Honoraren. Das hindert uns sogar an Kooperationen, auch ARD-intern. Nehmen wir den Hörfunk: Da sind die Kosten bei Musik und großen Wortproduktionen wie Features und Hörspielen am größten. Das wiederum führt dazu, dass selbst die Wiederholungshonorare unserer Produktionen teurer sind als eigene Produktionen der anderen Landesrundfunk-Anstalten. Folglich will kaum jemand im Hörfunk mit uns kooperieren, weil unsere Tarifverträge so gut sind.
Sehen Sie da Handlungsbedarf?
Pff, das geht doch gar nicht! Kein Tarifpartner wäre damit einverstanden, wenn wir mal eben die Honorare freier Mitarbeiter senken wollten. Da brauchen wir eine solche Forderung erst gar nicht anzusprechen.
Anders als Ihr Vorgänger, der Jurist Peter Boudgoust, sind Sie Journalistin. Welche Merkmale finden Sie charakteristisch und notwendig fürs öffentlich-rechtliche Profil?
Ich würde mit der Information anfangen. Es kann sich wirklich sehen lassen, wie viele unterschiedliche politische Magazine wir in einer Woche zeigen. Und ich würde die Dokumentationen nennen …
… gleich an zweiter Stelle?
Ja, doch. Dokumentationen sind für mich ein starkes öffentlich-rechtliches Merkmal!
Sind die denn im Gros noch zeitgemäß?
Auch hier möchte ich mich nur auf die Formate im WDR beziehen. Und da kann ich klar sagen: Ja. Wir haben es geschafft, gesellschaftspolitische Dokumentationen ins Programm zu heben – und immer wieder auch weiter ins Erste. Dabei bin ich nicht nur auf unsere Themenpalette stolz – die von Integration über Wirtschaft bis hin zu Politischem reicht –, sondern auch auf die verschiedenen Herangehensweisen. Immerhin haben wir in unserem Dritten mehrere wöchentliche Formate mit unterschiedlichen Schwerpunkten, von „Die Story“ über „Menschen hautnah“ bis hin zu „Hier und heute“.
Um die „Story“ und auch um „Monitor“ hat sich ein ganzes Team junger Autoren geschart, die sich auch mit neuen Formaten, wie dem jungen Politmagazin „Echtzeit“, ausprobieren konnten. Das hat es sogar auf den Testsendeplatz am Sonntag um 23.30 Uhr im Ersten geschafft – jetzt aber findet es nicht mal mehr im WDR Platz. Warum?
Das hat einfach nicht funktioniert – und war auch für mich sehr enttäuschend. Wir haben in diese Richtung schon einiges gewagt, müssen aber feststellen: Junge Leute lassen sich mit Politischem kaum fassen, so jung die Sendungen auch daherkommen mögen. Im Sport klappt das schon eher, wie sich bei uns mit der Bundesliga-Latenight „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ zeigt. Ansonsten weiß ich aber langsam auch nicht mehr weiter, wenn wir uns die Quoten-Hits der jungen Leute ansehen, die bis auf wenige Ausnahmen wie den „Tatort“ nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen laufen. Anbiedern oder gar albern sein, das wollen wir ja auch nicht.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Was bei jungen Leuten läuft, ist vor allem Sport, Unterhaltung und Musik. Im ARD-Kanal auf Youtube sind beispielsweise vor allem Comedy und Musik, so etwas wie „Dittsche“ und „N
ightwash“, gefragt. Wir geben aber natürlich auch nicht auf! Der WDR denkt gerade über eine neue Talkshow für junge Leute auf unserem Digitalkanal Einsfestival nach. Ich fordere zudem meine Redaktionen auf, auch schräg zu denken. Hier wird niemandem ein Vorwurf gemacht, wenn etwas floppt, bloß weil versucht wurde, etwas Neues zu probieren. Und es ist ja nicht so, als würde nichts funktionieren, das nach Information riecht: ARD-Formate wie die „Naturwunder-Show“ und „Frag doch mal die Maus“ – beide aus dem WDR – kommen in einer klassischen öffentlich-rechtlichen Mischung aus Information und Unterhaltung bei Jungen gut an. Hinzu kommt allerdings ein anderes Problem: die Quotenmessung im Informationsbereich; RTL weist die „Scripted-Reality“-Geschichten bei der Quotenmessung als Information aus. Wir aber halten das für Fiktion, weil es geschriebene Geschichten sind, keine Realität. Das Argument „RTL schafft es ja auch, junge Menschen mit Information zu erreichen – warum ihr nicht?“ halte ich deswegen für problematisch.
Für die ganz jungen Zuschauer hat sich Ihr Vorgänger Peter Boudgoust zum Abschied einen Jugendkanal nach Kika-Vorbild gewünscht. Ziehen Sie mit?
Ich glaube kaum, dass ein Jugendkanal von ARD und ZDF derzeit durchsetzbar ist. Wir müssen doch an allen Ecken und Enden sparen. Außerdem ist die Gruppe der Zuschauer ab 13 Jahren extrem heterogen. Ein einheitliches Programm für Jugendliche funktioniert da nicht. Davon bin ich überzeugt.
Und wenn Sie einfach bündeln, was auf den bestehenden Sendern verteilt läuft?
Gute Idee, aber wir haben für diese Zielgruppe so gut wie kein Programm. Das müsste sehr teuer von A bis Z neu produziert werden.
Dagegen ist das Instrument der sozialen Netzwerke à la Facebook und SchülerVZ gratis zu nutzen. Wäre das eine Alternative?
Soziale Netzwerke finde ich durchaus wichtig, um junge Menschen zu erreichen. Wir gehen damit aber trotzdem eher vorsichtig um. Derzeit durchlaufen einige unserer Redaktionen eine Pilotphase – ich bin gespannt auf die Ergebnisse und die Erfahrungen, die die Kollegen und Kolleginnen machen. Und bei aller Sehnsucht nach Interaktivität unterliegen diese Aktivitäten natürlich bei Öffentlich-Rechtlichen besonderen Spielregeln: Alles, was da unter unserem Label passiert, muss von unseren Redaktionen auch betreut werden. Nun bauen wir personell aber eher ab als auf. Da gilt es abzuwägen, welcher Aufwand bloß Spielerei ist und was sich wirklich lohnen könnte.
Radio Eins Live ist auf dem Gebiet sehr engagiert. Ist der Sender auf dem richtigen Weg?
Zweifellos. Das geht so weit, dass wir im Internet alle jungen Formate auch unter diese Dachmarke stellen, weil sich Eins Live bei jungen Leuten etabliert hat. Eins Live ist mit seinen täglich mehr als drei Millionen Hörern ein echtes Unikat. Wir haben nichts Vergleichbares, deshalb müssen wir auch hier weiter experimentieren. Gut möglich, dass wir uns bei Gelegenheit sagen: Wir müssen umschichten, zugunsten von Eins Live.
Sind Sie eigentlich selbst in den Netzwerken unterwegs – auf Facebook oder Twitter?
Nein. Das ist sicher auch altersbedingt, aber ich spüre in mir jedenfalls nicht den Drang, ständig eigene Mitteilungen in die Welt zu schicken. Und die Meinungen anderer höre ich mir immer noch lieber direkt an.
Wie lange kann sich die ARD den Luxus von Dritten Programmen leisten, die wie Vollprogramme daherkommen – und wie der BR gar gegen die „Tagesschau“ eigene News senden?
Hier bewegen wir uns wieder in dem Konfliktfeld der autonomen Sender. Und auch hier kann ich deswegen nur eine persönliche Meinung von mir geben. Beim Bayerischen Rundfunk ist es so, dass er sich für den Weg „Bayern first“ entschieden hat – ganz offiziell, mit Zustimmung seiner Gremien. Da vermisse ich manchmal schon ein bestimmtes Engagement für die ARD. Ich hoffe, dass sich das auch zeitnah wieder ändert. Meiner Meinung nach müssen das Regionale und die Zulieferungen für die ARD gleichberechtigt behandelt werden. Ein gutes Gemeinschaftsprogramm ist auf die Mitarbeit aller angewiesen – ohne Kooperationen geht es einfach nicht. Das Regionale muss zwar weiterhin als eine Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine wichtige Rolle spielen, darf aber auch nicht die Oberhand haben.
Unser Eindruck ist, dass die Auslandsberichterstattung in der ARD nicht mehr den Stellenwert genießt wie früher. Ist das gewollt?
Wirklich? Dabei haben wir weder die Zahl der Studios noch die der Korrespondenten gedrückt! Meine Beobachtung ist eher, dass die Auslandsberichterstattung für das Publikum nicht mehr so wichtig ist wie früher. Das habe ich schon als Moderatorin des „Presseclubs“ gemerkt: Wann immer wir ein Auslandsthema gewählt haben, hat sich die Quote von Anfang an halbiert. Gerade seit der Wiedervereinigung kommen vor allem Inlandsthemen bei den Leuten an. Das heißt aber nicht, dass wir mit unserem Engagement nachgelassen hätten. Im Gegenteil: Allein wir im WDR-Fernsehen haben erst vor ein paar Jahren ein weiteres Auslandsmagazin eingerichtet. Auslandsberichterstattung ist für mich weiterhin eine sehr wichtige Aufgabe und ein Unterscheidungsmerkmal. Der WDR produziert nicht zuletzt viele „Brennpunkte“ fürs Erste zu Entwicklungen im Ausland.
Der „Brennpunkt“ steht doch selbst oft im Brennpunkt, wegen seiner unklaren Linie, welche Themen die ARD für bedeutsam hält.
… und deshalb wird nach jeder Ausstrahlung wieder aufs Neue darüber debattiert. Aber Sie wissen doch selbst so gut wie ich, dass man dafür nicht einfach ein klares Raster heranziehen kann. In der aktuellen Gemengelage muss ad hoc entschieden werden, was relevant sein könnte. Da kann es auch mal zu falschen Entscheidungen kommen. Als das ZDF Anfang Dezember nach dem Unfall „Wetten, dass …?“ abbrach, haben alle Zeitungen rauf und runter über den Gesundheitszustand des jungen Mannes berichtet – auch wir in unseren Nachrichten. Das war sogar Aufmacher, als am gleichen Tag eine junge Frau in Köln morgens erstochen auf einer Parkbank gefunden wurde. Dieser Fall aber war allen nur eine kleine Meldung wert. Manche Themen entwickeln eine Eigendynamik, gegen die schwer anzukommen ist.
Sie werden nun noch mehr als bisher für die ARD den Kopf hinhalten – auf Podien, in den Medien. Welchen Stil wollen Sie prägen?
Ich weiß, dass das notwendig ist. Ich finde aber auch, dass Podien und Kongresse oft nicht weiterführen: 20-Sekunden-Statements und mit schlagzeilenträchtigen Argumenten anderen vors Schienbein treten halte ich nicht für zielführend. Da liegen mir die Hintergrundgespräche eher, wie jüngst mit Döpfner.
Sind Sie auch für einen Schlagabtausch zu haben – wie Peter Boudgoust, der sich bei FAZ-Herausgeber Schirrmacher in einem offenen Brief über Angriffe beschwerte?
Das kommt auf den Einzelfall an. Wir stehen ja auch unter einem nicht geringen Druck durch unsere Mitarbeiter und Gremien, die uns sagen: „Das könnt ihr euch doch nicht alles gefallen lassen!“
Vier persönliche Fragen
Sie sind Journalistin geworden, weil …
Monika Piel: … ich jeden Tag etwas Neues erleben wollte und ich es ungeheuer spannend finde, mich ständig in Neues hineinzuarbeiten. Und ich bin mit voller Überzeugung Journalist beim Öffentlich-Rechtlichen geworden, weil man hier unabhängig arbeiten kann.
Ihr journalistisches Vorbild ist/sind …
… viele, zum Beispiel Gisela Marx, Werner Höfer und Hanns Joachim Friedrichs.
Günther Jauch wird für die ARD …
… hoffentlich eine gute Sonntagabend-Unterhaltung leisten.
Frauen führen …
… anders als Männer – in der Regel sachorientierter.
Medium:online
Was die WDR-Intendantin und neue ARD-Vorsitzende Monika Piel sonst noch über ihre Pläne für ihre zweij