Kurze Röcke oder graue Mäuse

Es ist der alte Konflikt: Der Marketingchef gähnt über die langweilige Pressevorstellung („sitzen da wie im Politbüro“), der PR-Chef mokiert sich über die lasziven Damen auf dem Messestand („lenken nur vom Produkt ab“). Verständigen können sich die höchst unterschiedlichen Protagonisten nicht: Der eine schwört auf seine Show, der andere glaubt fest an die Kraft der Argumente. Und beide sind für die Kommunikation verantwortlich.

Diese Trennung war in der Vergangenheit unstrittig. In einer Marketing-dominierten Welt verwischen allerdings die Grenzen: Zauberer und Bänkelsänger treten zuweilen auch auf Presseveranstaltungen auf, und Kommunikationsleute oder ihre Unternehmenschefs verlaufen sich beim Versuch, Thomas Gottschalk zu imitieren. Scheitern inbegriffen. Es geht um das Kernproblem: Wie erreiche ich wen mit meiner Botschaft? Der Pfarrer, der in der Kirche den mäßigen Besuch des Gottesdienstes beklagt, beschwört die falschen Schäfchen. Will er sein Gotteshaus füllen, muss er im Freizeitpark das himmlische Paradies lobpreisen.

Hauptsache Show

Diese Binsenweisheit scheint aber ausgerechnet im Kommunikationsgeschäft unterzugehen. Wer gegensteuern will, muss sich fragen: Wie viel Marketing verträgt PR? Wie viel Show ist bei Presseveranstaltungen hinnehmbar? Wer gibt in der Kommunikation die Richtung vor?

Marketing und Öffentlichkeitsarbeit sind in Unternehmen getrennte Bereiche mit einer gemeinsamen Botschaft als Schnittstelle. Marketing spricht Menschen an, die marken- oder produktaffin sind. Also potenzielle Kunden, Händler und Importeure. Der Pressechef hingegen müht sich um ein Publikum, das in aller Regel keine emotionale Bindung zum Unternehmen hat, dem es im Zweifel gleichgültig ist, ob es mit seiner Berichterstattung das vermeintliche Objekt der Begierde beschädigt oder nicht. Journalisten sind nicht dazu da, einen Gegenstand hochzujubeln. Dafür gibt es die Anzeigenseiten, die bezahlte Kommunikation also. Wenn Marketingmanager Veranstaltungen organisieren, brauchen sie die Show. Potenzielle Kunden wollen emotional aufgeladen werden, um ihren Speichelfluss anzuregen. Schließlich sollen sie am Ende ihr Geld über den Tresen schieben und das begehrte Objekt kaufen.

Anders die Journalisten. Sie überzeugt man nur mit Glaubwürdigkeit. Der Kommunikationschef erfüllt ja – anders als der Marketingchef – gewissermaßen eine öffentliche Aufgabe. Er muss auch die schlechten Zahlen kommunizieren und Kritik am Produkt zulassen. Und er darf niemals den Wettbewerber diskreditieren. Für Unternehmenschefs, die sich im täglichen Konkurrenzkampf beweisen müssen, eine schier unerträgliche Kasteiung.

Journalisten wollen nicht gekrault werden

Manager sind auch nicht automatisch gute Kommunikatoren. Sie können sich in aller Regel nicht in ihr Publikum hineinversetzen, vor allem, wenn dieses Publikum nicht ihre Sprache spricht. Journalisten gefallen sich aber durchaus in der Rolle des Provokateurs, nicht aus übler Laune heraus, sondern um mehr zu erfahren als die bescheidene Information einer vorgestanzten Antwort. Der Journalist lebt von der „frischen Ware“ Information, der potenzielle Kunde dagegen von Bestätigung. Und anders als der Kunde will der Journalist auch nicht hinterm Ohr gekrault werden. Hinter jeder Streicheleinheit vermutet er den Versuch der Korrumpierung – ein Versuch wiederum, der dem Käufer schmeichelt.

Entscheidend ist also nicht mehr Show für die PR. Das Entscheidende ist: Wer ist die Zielgruppe und wie muss sie angesprochen werden? Ist das geklärt, ergibt sich beinahe von allein die Antwort, wie die Botschaft auf ihre jeweils spezifische Art an den Mann gebracht werden soll. Nur so entsteht Kommunikation aus einem Guss.

Sicher, Menschen – und damit auch Journalisten – gewinnt man nicht allein durch Argumentationsgeschick. Man gewinnt sie durch Akzeptanz. Und Akzeptanz entsteht über Sympathie. Sympathisch ist aber nicht, wer sein Produkt marktschreierisch anpreist. Sympathisch ist, wer bescheiden auftritt und Widerspruch zulässt.

Journalisten müssen nach der Presseveranstaltung schreiben, also arbeiten. Dafür brauchen sie Steckdosen für ihren Laptop. Jedenfalls keinen Zauberer, der sie von der Arbeit abhält. Und für die Steckdosen ist der Kommunikationschef verantwortlich. Er muss sich in die Welt seiner Klientel hineinversetzen. Und seine Klientel sind nicht Kunden, sondern Kritiker. Empathie nennt man diese Fähigkeit.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 60 bis 60 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.