Tokio. Diesen Moment werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ich hatte mich mit einer Freundin getroffen, deren Mann im japanischen Außenministerium arbeitet, und die Familien der 28 japanischen Studenten betreut, die im Februar bei dem Erdbeben in Christchurch ums Leben gekommen waren. Wir hatten viel über das Ausmaß der Zerstörungen in Neuseeland gesprochen. Dann begann das Gebäude zu ruckeln, als wenn ein Riese es schütteln würde. Wir rannten auf die Straße, auf der Autos hüpften, statt fuhren. Hochhäuser wankten, Glasfenster knirschten.
Das stärkste je in Japan gemessene Erdbeben erschütterte den Nordosten des Landes, löste einen gewaltigen Tsunami aus, der Tausende Menschenleben forderte und aus dem AKW Fukushima eine radioaktive Zeitbombe machte.
Während ich in Tokio versuchte, meine Kinder aus den verschiedenen Schulen nach Hause zu bekommen und Notfalltaschen zu packen, brach in deutschen Redaktionen Hektik aus. Da das Handynetz in Japan unmittelbar nach dem Beben zusammengebrochen war und auch das Festnetz über Stunden nicht funktionierte, lief mein E-mail-Fach über. Es drängten sich Anfragen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Printmedien, Radio, TV – alle waren froh, dass sie auf der Weltreporter-Seite jemand fanden, der aus Tokio berichten konnte. Egal was. Hauptsache, es kam aus dem Land, das gerade von einer Dreifach-Katastrophe überrollt worden war.
Für mich als freie Journalistin begann die Zusammenarbeit mit bis dahin völlig unbekannten Kollegen. Es war fast unmöglich, die vielen Anfragen zu sortieren. Letztlich antwortete ich auf die ersten zehn oder zwölf. Mit einigen Redaktionen besprach ich per Skype Inhalt, Länge und Honorar. Einzelne Kollegen nahmen sich Zeit zu fragen, ob es mir und meiner Familie gut ginge und ob es mir trotz der beängstigenden Nachbeben möglich wäre zu arbeiten.
Ein Gespräch musste ich abbrechen, weil ein Nachbeben so heftig war, dass ich Schutz unter dem Schreibtisch suchte. Aus Deutschland hörte ich die Kollegin fragen: „Oh, ist es wirklich so schlimm?“ Ja, es war wirklich schlimm und ich habe noch nie unter solchem Druck geschrieben. Nicht alle Redaktionen kapierten das. Seelenruhig bot mir eine Zeitung, die in einer deutschen Landeshauptstadt erscheint, ein Zeilenhonorar von 0,75 Euro an. „Das ist unser üblicher Satz“, schrieb die Kollegin, die nie wieder etwas von mir hörte. Ein lokaler Radiosender begehrte eine Live-Schalte und fragte nach meinem Honorar. Ich nannte das, was andere Stationen zahlten, und bekam die patzige Antwort: „Das übersteigt unser Monatsbudget um ein Vielfaches!“ Auch nicht toll: Die Redaktion einer großen Tageszeitung bestellte einen Text, den ich pünktlich lieferte. Leider hatten die Kollegen aus ungeklärter Ursache Panik bekommen und einen anderen Text vorgezogen. Um das Ausfallhonorar musste ich kämpfen, und das, während viele Landsleute aus Angst vor einem Atomunglück Japan verlassen hatten.
Doch mit einigen Redaktionen klappte die Zusammenarbeit wunderbar. Etliche Kollegen wünschten in den Tagen nach dem 11. März alles Gute und viel Durchhaltevermögen. Es kam Lob für die Texte, zwei große Zeitungen erhöhten sogar nachträglich das Honorar, „weil sie unter solchem Druck für uns gearbeitet haben“.
Nach drei Wochen ließ das Interesse der deutschen Medien an Japan merklich nach, Gaddafi und Westerwelle sei Dank. Jetzt ist es wieder an mir, Texte anzubieten. Keine Frage, das ist mir lieber als der Massenandrang wegen einer Katastrophe, die ich zufällig miterlebt hatte.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 32 bis 32. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.